Danuše Nerudová konnte in den Umfragen zuletzt kräftig zulegen.

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Generationenwechsel auf der Prager Burg: Zum ersten Mal wählt Tschechien im Jänner ein Staatsoberhaupt, dessen politische Karriere nicht unmittelbar mit der Samtenen Revolution des Jahres 1989 verbunden ist.

In den 33 Jahren seit dem Sturz der kommunistischen Diktatur gab es nur drei Präsidenten im Land. Den Anfang machte Václav Havel, der Dichter und Dissident, den die Wende ins höchste Staatsamt gespült hatte. Havel war zunächst Präsident der Tschechoslowakei; nach deren Teilung Anfang 1993 leistete er noch weitere zwei Amtszeiten ab – nunmehr an der Spitze der selbstständigen Tschechischen Republik.

2003 folgte ihm der konservative Ökonom Václav Klaus nach. Klaus war zwar nicht aus den Dissidentenkreisen um Havel hervorgegangen, hatte sich bei diesen aber als Finanzminister angedient und es bis zum Regierungschef gebracht, bevor er – damals noch vom Parlament – zum Präsidenten gekürt wurde.

Direktwahl seit 2013

Zehn Jahre später schlug die große Stunde des Miloš Zeman. Nach einer Verfassungsänderung war er das erste direkt gewählte Staatsoberhaupt. Auch Zemans politische Karriere geht auf die Revolutionstage im November 1989 zurück. Eine flammende Rede gegen die kommunistischen Machthaber vor 800.000 Menschen hatte ihn berühmt gemacht. Später machte er die Sozialdemokratie zur stärksten Kraft und wurde ebenfalls Premier. Bei seiner Wahl zum Präsidenten 2013 hatte er sich aber längst von seiner Ex-Partei losgesagt und sich als polternder Linkspopulist profiliert.

Nach zwei Amtszeiten darf Zeman nun nicht mehr antreten. Acht Männer und eine Frau bewerben sich am 13. und 14. Jänner um seine Nachfolge. Umfragen zufolge haben nur drei davon eine reale Chance, zwei Wochen später in die Stichwahl einzuziehen: Ex-Premier Andrej Babiš, der frühere Armeegeneral Petr Pavel und die Ökonomin Danuše Nerudová, ehemalige Rektorin der Mendel-Universität Brünn.

Flucht in die Immunität?

Babiš, Multimilliardär und Chef der liberal-populistischen Partei Ano, hatte seine Kandidatur erst relativ spät bekanntgegeben. Irgendwie will das weitgehend repräsentative Präsidentenamt auch nicht so recht passen zu dem 68-Jährigen, der sich selbst als Managertyp sieht und das Land stets "wie ein Unternehmen" führen wollte.

Ex-Premier Andrej Babiš will ganz nach oben.
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Nach der Parlamentswahl im Oktober 2021 musste Babiš sein Amt als Premier räumen, neuer Regierungschef wurde Petr Fiala mit seiner rechtsliberalen Fünf-Parteien-Koalition. Da die Sozialdemokraten und die Kommunisten bei derselben Wahl aus dem Abgeordnetenhaus flogen, erhebt dort nun ausgerechnet Babiš den Alleinvertretungsanspruch für die sozial Schwachen im Land. Angesichts von Teuerung und Energiekrise dürfte er sich bei der nächsten Parlamentswahl damit durchaus Chancen ausrechnen.

Warum also liebäugelt der "Macher" Babiš dennoch mit dem eher gemächlichen Präsidentenamt? Viele sehen einen Zusammenhang mit dem Prozess rund um sein Freizeitressort Čapí hnízdo (Storchennest). Babiš sitzt auf der Anklagebank, weil er unrechtmäßig EU-Förderungen für Klein- und Mittelbetriebe kassiert haben soll. Ein Urteil wird noch im Jänner erwartet. Babiš, der den Vorwurf zurückweist, könnte sich bei einem Schuldspruch in die präsidiale Immunität retten wollen, vermuten seine Gegner.

Gegen prorussische Kräfte

Konkurrenz bekommt er unter anderem vom ehemaligen Armeegeneral Petr Pavel. Der heute 61-Jährige war Chef des tschechischen Generalstabs und danach Vorsitzender des Nato-Militärausschusses, also ranghöchster Militär des Nordatlantikpakts. Vor der Wende war Pavel, wie Babiš, Mitglied der Kommunistischen Partei. Dass er dennoch das Vertrauen der Nato-Partner gewinnen konnte, hat manche überrascht.

Petr Pavel geht als ehemaliger General ins Rennen.
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Wer sich nun aber einen kantigen Karrieristen vorstellt, der mit markigen Sprüchen ins höchste Staatsamt drängt, liegt falsch. Der weißbärtige Mann pflegt das Image des Besonnenen. Mit seiner KP-Vergangenheit geht Pavel, der sich heute als "konservativ mit sozialem Gewissen" beschreibt, offensiv um, präsentiert sich als jemand, der aus seinen Fehlern gelernt habe. Seine Armeekarriere streicht er dafür umso deutlicher hervor: Das Wort "General" ist in seiner Kampagne praktisch allgegenwärtig – im Kampf gegen "populistische, korrupte und prorussische Kräfte", wie er sagt.

Favoritin der Jüngeren

Letzteres ist auch im Sinne der 43-jährigen Ökonomin Danuše Nerudová, die in Umfragen jüngst zulegen konnte. "Putins Russland" bezeichnet sie als derzeit größte Bedrohung für das Land. Wie Pavel ist Nerudová parteilos, wie er genießt sie Unterstützung aus der Regierung, die selbst niemanden ins Rennen schickt. Innenpolitisch aber tritt sie deutlicher für liberale Werte ein, für die gleichgeschlechtliche Ehe, für eine aktivere Rolle Tschechiens im Kampf gegen den Klimawandel – Themen, mit denen sie vor allem bei den Jüngeren punkten kann.

Dass Nerudová die erste Frau auf der Burg wäre, bringt ihr häufig den Vergleich mit der slowakischen Präsidentin Zuzana Čaputová ein. Das mag sich nach Rückenwind anfühlen, doch ständig als "tschechische Čaputová" bezeichnet zu werden ist für Nerudová auch ein Klotz am Bein – quasi die permanente Aufforderung, ihr eigenes Profil zu schärfen.

Dies gelingt ihr zuletzt aber immer besser. Auch dadurch, dass sie sich als zukunftsorientiert darstellt, während "die Herren Gegenkandidaten" mit ihrer KP-Geschichte beschäftigt seien. Die Abgrenzung vom früheren Regime, sie spielt immer noch eine Rolle im Land. Generationenwechsel hin oder her. (Gerald Schubert, 30.12.2022)