Der junge Pelé revolutionierte die Welt des Fußballs.

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Bei der WM 1958 in Schweden erzielte Pelé auf dem Weg zum Titel sechs Treffer.

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1970 feierte Pelé mit Brasilien in Mexiko seinen dritten WM-Titel.

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Gemeinsam mit Diego Maradona teilt sich Pelé den Legendenstatus des 20. Jahrhunderts.

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Edson Arantes do Nascimento ist tot, Pelé bleibt für immer.

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Es war ein 17-jähriger schwarzer Brasilianer, der dem Fußball die Schönheit zurückgegeben hat. Vier Jahre nach dem WM-Sieg der Deutschen über die tänzelnden Ungarn holte sich Brasilien in Stockholm die erste Krone. Zwei Tore beim 5:2 über Schweden erzielte ein schmächtiger Bursche, ein gewisser Pelé. Verteidiger Sigge Parling meinte danach: "Beim fünften Tor hätte ich am liebsten applaudiert."

Diese Einstellung der Gegner steigerte sich nach und nach zur Gottesfurcht. "Ich habe mir vor dem Spiel immer wieder eingeredet, dass auch er nur aus Fleisch und Blut besteht", stöhnte Italiens Tarcisio Burgnich nach dem 1:4 im WM-Finale 1970, "aber ich hatte mich geirrt". Und die "Sunday Times" titelte tatsächlich so: "Wie wird Pelé buchstabiert? G-O-T-T."

Fast anderthalb Jahrzehnte lang war Edson Arantes do Nascimento in ballesterischen Angelegenheiten das Maß aller Dinge. Solche Figuren gibt es im Fußball immer wieder, von Matthias Sindelar über Diego Maradona bis Lionel Messi. Pelé ist dennoch etwas anderes gewesen. Mit – und teilweise tatsächlich unter – ihm mauserte sich der Fußball zur, ja: Weltreligion, deren bestimmendes Ritual der Tanz um das Goldene Kalb wurde.

1.088 Tore für den FC Santos

In dieser Zeit wurde aus Pelé, dem Sohn einer Wäscherin und eines kickenden Straßenhändlers aus dem Bundesstaat Minas Gerais, das Kultobjekt dieses Rituals, das ab den 1970er-Jahren im Vierjahresrhythmus immer abenteuerlichere Formen annahm.

Edson Arantes do Nascimento begann sein Leben noch in der alten Zeit, was unter anderem zur Folge gehabt hatte, dass er in Brasilien geblieben ist. Von 1956 bis 1974 spielte er beim, oder besser: war er der FC Santos, für den er in 1.114 Spielen 1.088 Tore erzielte. Erst danach wechselte er – manche sagen wegen ökonomischer Fisimatenten – zu den echten Goldenen Kälbern und verbrachte zwei Jahre bei Cosmos in New York.

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Mit und unter Pelé wurde Brasilien zum Inbegriff des ballesterischen Schönen, etwas, das zuvor nur dem österreichischen Wunderteam und der goldenen Mannschaft der Ungarn gelungen ist. Aber die beiden waren bloße Eintagsfliegen. Pelé dagegen wurde bei vier WM-Teilnahmen dreimal – 1958, 1962, 1970 – Weltmeister. Zur Schönheit gesellte er also den praktischen Nutzen. Pelé wurde so auch zum Lehrmeister. An ihm nahm der argentinische Nachbar Maß und, weniger erfolgreich, die portugiesische Mutter. Und so ließe sich sagen, dass es eine ballesterische Zeit vor und eine nach Pelé gibt.

Einer der beliebtesten Menschen

Nach dem Ende seiner aktiven Fußballerlaufbahn wandelte er nicht nur – aber klarerweise schon auch – als Litfaßsäule durch die Welt. Lukrative Werbeverträge – er war nicht nur einer der bekanntesten, sondern auch der beliebtesten Menschen des Planeten – ermöglichten eine gewisse ökonomische Sorgenlosigkeit, nachdem er mithilfe falscher Freunde zuvor Lehrgeld hatte zahlen müssen. Edson Arantes do Nascimento nutze seine Öffentlichkeitswirksamkeit auch fürs Politische. Geprägt durch Unterentwicklung und Militärdiktatur, fühlte er sich als "Sozialist aufgrund meiner religiösen Prägung".

Als solcher gelangte er schließlich auch in ein Amt. Von 1995 bis 1998 bot er als "Sonderminister für Sport" dem allmächtig scheinenden Präsidenten des Weltfußballverbandes Fifa, seinem Landsmann Joao Havelange, mit Hingabe die Stirn.

Als Sportfunktionär trat Havelange seinen Dienst in dem Jahr an, in dem aus Edson Arantes do Nascimento Pelé wurde. Von 1958 bis 1975 war er Präsident des brasilianischen Sportbundes, wo er – so do Nascimento – ein mafiaähnliches Netzwerk etablieren konnte, das er von 1974 bis 1998 in der Fifa zu implementieren suchte. Havelanges Fifa-Präsidentschaft war jene Zeit, in welcher der Fußball zum Megadeal explodierte. Und als ein Wappentier dafür diente Pelé.

"Pelé ist unsterblich"

Der Tormann im Team seines Vaters hieß Bilé, und weil der Sohn so angetan von ihm war, meinte er, er wolle einmal einer sein wie dieser Bilé. Also nannte man den kleinen Edson Pelé – dieser Pelé unterschied stets strichgenau zwischen sich und dem Edson Arantes do Nascimento. Der sei ein Bürger wie du, ich und alle anderen. Jener aber, Pelé also: Frage nicht!

"Der Bürger Edson Arantes do Nascimento", ließ er anlässlich der Bewerbung um Olympia 2016 die Welt wissen, die sich damals schon freute auf die Fußball-WM 2014, "hat gelacht, geweint, viele Schmerzen erleiden müssen, viele Triumphe ausgekostet. Er ist sterblich."

Aber, nein, ABER: "Pelé ist unsterblich, wird immer der Traum aller Kinder bleiben, wird immer strahlen, wird nie Schmerzen empfinden müssen."

Und nun also beginnt diesbezüglich die Probe aufs Exempel.

Am Donnerstag starb Pelé im Alter von 82 Jahren. Erst im Herbst wurde ein Tumor im Dickdarm diagnostiziert. Er unterzog sich einer Chemotherapie, gratulierte noch Neymar zur Einstellung seines eigenen Torrekords in der Seleção und Argentinien zum dritten WM-Titel, ehe sich sein Zustand vor Weihnachten drastisch verschlechterte. (Wolfgang Weisgram, 29.12.2022)