Vivienne Westwood, Modedesignerin und Aktivistin.

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"Diese Frau war einmal ein Punk" stand auf einem der Cover der englischen Zeitschrift "Tatler" im fernen Jahre 1989, auf dem Margaret Thatcher abgebildet war. Zumindest sah die Dame im altmodisch gepunkteten Kostüm und den auftoupierten Haaren aus wie die damalige Premierministerin. In Wahrheit handelte es sich aber um Vivienne Westwood. Die Modedesignerin mit der wilden Vergangenheit galt damals noch als Schreck des britischen Establishments. Zusammen mit ihrem zweiten Ehemann Malcolm McLaren, dem "Erfinder" der Sex Pistols, hatte sie in ihrem Geschäft in der Londoner King's Road die Teddy-Boys, die Punks und später die Fetischisten aller Couleur mit den wagemutigsten Outfits versorgt.

Als Westwood Ende der Achtziger aber für den "Tatler" als Thatcher posierte, war sie bereits auf dem besten Weg, sich mit den Äußerlichkeiten des Establishments zu arrangieren – beziehungsweise ihnen auf die Spur zu kommen: Seitdem Westwood ihre erste richtige Modeschau präsentiert hatte (1981 die berühmte "Piraten"-Kollektion, mit der sie den "Romantikern auf hoher See" huldigte), hielt sie die Mode- und Kostümgeschichte gefangen.

Kleidungsstücke zerlegt

Sie zerlegte historische Kleidungsstücke – und nähte sie wieder zusammen. Das Wissen, das sie sich dabei aneignete, setzte sie in Kollektionen um, die häufig vom viktorianischen Zeitalter, vom Rokokostil und der Koketterie Frankreichs beeinflusst waren. Im Zentrum ihrer wegweisenden "Mini-Krini"-Kollektion von 1984 stand die Krinoline, jene Unterfütterung, die im 19. Jahrhundert den Überrock steif abstehen ließ und heute noch als Symbol der frauenverachtenden Mode jener Zeit gilt.

Die Queen und Vivienne Westwood im Jahr 1999. Wenige Jahre zuvor war ihr der "Order of the British Empire" verliehen worden, die Audienz im Buckingham Palace habe sie ohne Unterwäsche absolviert, bekannte die Designerin.
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Sich in Westwood zu kleiden, hieß, solche Brüche in Kauf zu nehmen. Tragbarkeit und Komfort waren für die Designerin, die Ende der Achtziger für drei Jahre als Professorin an die Wiener Angewandte berufen wurde, wo sie auch ihren späteren Mann, den um 25 Jahre jüngeren Tiroler Andreas Kronthaler kennenlernte, nicht per se erstrebenswerte Kategorien. "Man hat ein viel besseres Leben, wenn man beeindruckende Kleidung trägt", lautet eine ihrer pointierten Aussagen. Genau so unerbittlich, wie sie sich die Modehistorie aneignete, hielt sie aber auch an der festen Idee fest, durch Mode politische und gesellschaftliche Zustände thematisieren zu können.

Vivienne Westwood 2008 mit Ehemann Andreas Kronthaler. Kennengelernt hatten sich die beiden in den Neunzigerjahren, als sie Gastprofessorin an der Universität für angewandte Kunst Wien war und er ihr Student.
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Tochter von Handwerkern

Seit den rebellischen Jugendjahren in der Londoner Punkszene, während der ihr Körper für vielerlei Interventionen herhalten musste, begriff sie den menschlichen Körper als ihr Medium. Anders als manche Designer, die dem weiblichen Körper seine Charakteristika am liebsten nehmen würden, betonte sie mit Vorliebe alle Kurven und Rundungen.

Vivienne Westwood und Andreas Kronthaler posieren gemeinsam mit dem Model Bella Hadid nach der FW 2020/21-Show.
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Die 1941 in einer mittelenglischen Kleinstadt als Tochter von Handwerkern geborene Designerin brachte das Korsett wieder in die Mode zurück, aber nicht, um Frauen als Objekte, sondern um sie als frei agierende Subjekte darzustellen. Sie huldigte der britischen Schneiderkunst und zog ihren Models Büstenhalter über die Oberteile.

In den vergangenen Jahren engagierte sich Westwood für den Umweltschutz, so wie hier 2018 gegen Fracking.
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In die Geschichte ging der Moment ein, als Naomi Campbell in ihren extrem hohen Westwood-Plateau-Pumps auf dem Laufsteg hinfiel. Damals schrien Feministinnen auf, der Westwood verzieh man aber ihre forsche Aneignung von eigentlich als frauenfeindlich verschrienen Kleidungsstücken. Die bis um die Jahrtausendwende in einer kleinen Londoner Sozialwohnung lebende Designerin galt bis zuletzt als eine der radikalsten Vertreterinnen einer aufgeklärten, politischen Mode.

Umweltengagement

Während ihr Lebens- und Kreativpartner Andreas Kronthaler in den vergangenen Jahren die Kollektionen betreute und das Unternehmen umstrukturierte, engagierte sich Westwood zunehmend für den Umweltschutz. Die Britin erklärte gar, der Klimawandel sei ihr wichtiger als die Mode.

Schon vor einem Jahrzehnt rief Westwood am Ende ihrer Modeshow mit einem Banner zur "Climate Revolution" auf, sie verteidigte gemeinsam mit dem früheren "Baywatch"-Star Pamela Anderson den umstrittenen Wikileaks-Gründer Julian Assange, protestierte gegen Fracking und die Klimapolitik, fuhr in einem Panzer vor dem Haus des ehemaligen Premierministers David Cameron vor und wiederholte in Interviews ihr Mantra: "Kaufen Sie nichts!"

Video zu Vivienne Westwood.
DER STANDARD

Am Donnerstag ist Vivienne Westwood im Alter von 81 Jahren in Clapham, South London, verstorben. "Bis zum letzten Moment", heißt es in einem Statement des Unternehmens auf der Plattform Instagram, habe Westwood die Dinge getan, die sie liebte: "Sie designte, arbeitete an ihrer Kunst, schrieb ein Buch und veränderte die Welt zum Besseren."

Westwood hinterlässt ihren Ehemann sowie zwei Söhne, den Fotografen Ben Westwood und Joseph Corré, den Gründer der Dessousfirma Agent Provocateur.

Die Marke Vivienne Westwood, die heute zu den wenigen unabhängigen internationalen Luxusmodeunternehmen gehört, wird von Andreas Kronthaler weitergeführt. Westwood habe ihm viele Dinge, mit denen er weitermachen könne, mitgegeben, sagte der Österreicher. Er wird die Arbeit der Designerin in ihrem Sinn fortsetzen, wenn auch ohne die Lautstärke einer Vivienne Westwood. (Stephan Hilpold, red, 29.12.2022)