Klimakrise, explodierende Baukosten und Abrisswut – wie kann es für die Architektur weitergehen?
Illustration: Maik Novotny

Wie es nicht weitergeht:

Kippendes Klima

Die Berichte der Uno und des IPCC deuten darauf hin, dass das 1,5-Grad-Ziel nicht haltbar ist und die ersten irreversiblen Klima-Kippunkte passiert wurden. Dieses Szenario macht klar, dass vieles nicht mehr weitergehen kann wie bisher, dass wolkige Worte und Verweise auf technologische Lösungen nicht helfen.

Diesel in den Köpfen

Lobau-Autobahn gecancelt, aber die Stadtstraße baggert sich eine Schneise durch Transdanubien. Die Steinzeit-Verkehrspolitik mächtiger Wiener Bezirkskaiser macht 20-jährige Radwegplanungen zunichte und "rettet Parkplätze", als seien sie seltene Tierarten, und in Linz ruiniert die Westumfahrung Stadtbild und Stadtklima für immer. Vollbremsung, bitte!

Explodierende Baukosten

Ob Beton, Stahl oder Holz: Das Bauen ist 2022 enorm teuer geworden. Nicht gut, denn vor allem gemeinnützige Wohnbauträger kommen dadurch ans finanzielle Limit, und einige Wohnbauvorhaben liegen vorerst auf Eis.

Abrisswut in Stadt und Land

Gründerzeithäuser, Bauernhäuser, Wirtshäuser. Abgerissen, abgebrochen, demoliert. Man muss kein ultrakonservativer Ornamentverehrer sein, um hier eine Gedanken- und Kulturlosigkeit zu diagnostizieren. Und, nein, das Argument "Is’ eh ned denkmalg’schützt" überzeugt nicht mehr.

Stoppschild für die Baukultur

Seit 2004 gibt es den Österreichischen Baukulturreport, schon damals wusste man, dass Flächenfraß und Bodenversiegelung eingedämmt werden müssen. Man muss es nur tun. Kümmern sollte sich darum eine Agentur für Baukultur, die zwischen Bund, Land und Gemeinden vermittelt und den Bürgermeistern vor Ort hilft. Doch nach viel engagierter Vorarbeit in allen Bundesländern erfolgte 2022 das Veto durch das Finanz- und das Klimaministerium. Dabei wäre so eine Agentur nicht teuer, erst recht nicht, wenn man den Mehrwert guter Architektur (Faktor vier bis 15 laut deutscher Städtebauförderung) mit berechnet. Dass dieser Schritt aufgrund ministerieller Befindlichkeiten ausbleibt, ist ein Ärgernis. Denn gute Architektur und sparsamer Umgang mit Boden haben mit Kultur ebenso zu tun wie mit Ökologie. Es gibt kein Entweder-oder.

Künstliche Intelligenz

Viel wird davon geredet, wenig weiß man. Also fragen wir am besten die künstliche Intelligenz selbst, welche Gefahren drohen, wenn AI die Architektur übernimmt. Der Chatbot ChatGPT gibt folgende Antwort: "Algorithmen können Vorurteile reproduzieren, wenn sie mit einseitigen Daten gefüttert werden, zum Beispiel Architektur von und für alte weiße Männer erzeugen. AI fehlt das kreative Flair eines menschlichen Designers, andererseits können diese Systeme so erfolgreich werden, dass sie Menschen ersetzen. Ein Risiko besteht zudem bei der Datensicherheit." Wenn die Roboter vor sich selbst warnen, ist Obacht geboten!

Alles wird hässlicher

Hässliches Wien: leblose Erdgeschoßfronten mit Tiefgarageneinfahrt und Müllraum. Hässliches Tirol: irgendwie herumstehende XXL-Häuser hinter Thujenhecke und Plastikzaun. Hässliches Niederösterreich: Gewerbegebiete an jedem Kreisverkehr und Baumarkt-Banalitäten, die durch das Anmalen mit Baumarktfarben nur noch schlimmer werden. Hässliches Oberösterreich: sowieso. Burgenland: ein baukulturelles Trauerspiel. Salzburg: geht so. Kärnten und Vorarlberg: Lichtblicke. Österreich, reiß dich zusammen!

Wie es weitergeht:

Europa ist fertiggebaut!

"Verbietet das Bauen", forderte der Autor Daniel Fuhrhop 2015. Was damals arg polemisch schien, klingt jetzt vernünftig. 2022 forderten deutsche Architekten ein Abrissmoratorium, die Initiative Countdown 2030 tut dasselbe in der Schweiz. Die Richtung ist eindeutig: Architektur kann und darf kein Wegwerfprodukt mehr sein. Es gibt genug Bausubstanz, die man einfach reparieren und adaptieren kann. Dieses vergessene Wissen gilt es wieder zu heben, auch an den Architekturfakultäten, die immer noch den Mythos des entwerfenden Einzelgenies propagieren. Dabei ahnt schon die Bauwirtschaft selbst den Richtungswechsel, und für 2023 sind neue Normen angekündigt, die das Umbauen erleichtern sollen.

Weniger Abrisse

Es war höchste Zeit, als die Wiener Bauordnung 2018 die vor 1945 errichteten Altbauten unter Schutz stellte, doch immer noch wird, dank zahlreicher Schlupflöcher und nie ganz klarer Bewertungskriterien, munter abgerissen. 2023 steht die große Wiener Bauordnungsnovelle an, und die Stadtverwaltung signalisiert ernsthaftes Bemühen, den Anti-Abriss-Paragrafen zu verschärfen.

Explodierende Baukosten

Ob Beton, Stahl oder Holz: Das Bauen ist 2022 enorm teuer geworden. Gut so, denn die Bauwirtschaft ist für rund 40 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich, eine Denkpause ist also mehr als willkommen. Denn Baumaterialien um die halbe Welt zu transportieren und dem Traum ewigen Wachstums nachzuhängen, wird es nicht mehr spielen.

Gemeinsam zur Energiewende

"Raus aus Öl und Gas!", heißt es beim Klimaministerium, und auch in der Umweltmusterstadt Wien soll das Umrüsten der Haushalte auf erneuerbare Energien bis 2040 erfolgen. Schön, doch passiert ist bisher nicht sehr viel. Immer noch gibt es in Österreich rund 840.000 Gas- und 500.000 Ölheizungen. Hier gilt es also, aufs, Pardon, Gaspedal, zu drücken. Engagierte Architekten und Bürger haben mit innovativen Energiegemeinschaften wie dem Smart Block Geblergasse längst die Wegweiser aufgestellt.

Mehr Grün!

Lange Zeit schien das architektonische Greenwashing weltweit auf dem Vormarsch zu sein. Auf jeder Hochhausvisualisierung von Kapstadt bis Kagran wucherte Alibi-Gebüsch herum, das in der Praxis entweder nie gepflanzt wurde oder schnell verdorrte. Das hat sich geändert, denn dank der Forschung weiß man inzwischen, wie Fassaden und Dächer vernünftig begrünt werden können und welche klimatischen Auswirkungen das hat. Und auf den Straßen und Plätzen wuchern heute Stauden, Ranken und XL-Bäume in nie gekanntem Ausmaß.

Die Einfamilienhaus-Bremse

Wollte man die österreichische Bevölkerung auf die Ein- und Zweifamilienhäuser des Landes aufteilen, ergäbe das 4,16 Bewohner pro Wohneinheit. Das heißt: Es gibt eigentlich genug. Anstatt diese Wohnform, die im 20. Jahrhundert im Doppelgespann mit dem Auto die Welt unterjochte, mit Pendlerpauschale und Fördergeld noch mehr zu privilegieren, könnte eine Einfamilienhaus-Steuer die aufwendige Infrastruktur bezahlen, die das Häuslbauen erst möglich macht, und eine Reparaturförderung Häuser, die es schon gibt, sanieren.

Alles wird schöner

Es gibt sie, die Lichtblicke der Baukultur, das zeigen die vielen Preise, die vorbildhafte Architektur auszeichnen, ganz ohne erhobenen Zeigefinger – und oft hilft ein Blick über die Grenzen, etwa ins ausgesprochen schön bebaute Südtirol. (Maik Novotny, 2.1.2023)