Andrew Tate liebt große Posen, selbst nachdem er von Greta Thunberg geowned wurde.

Foto: Screenshot @Cobratate, Twitter

"Hallo, ich bin Andrew Tate, der sachkundigste Mensch der Welt", sagt der Mann in die Kamera. Vor ihm steht eine offene Flasche Ballantines. Kameraschwenk: "Und ich bin Chuck The Cuck", also etwa "Chuck der Gehörnte", sagt Tristan Tate in die Kamera. "Und ich mag es, meiner Frau zuzusehen, wie sie es mit anderen Männern treibt." Das Ganze soll wohl ironisch wirken, tut es aber nicht. In dem inszenierten Zwiegespräch des selbsternannten Genies Andrew Tate mit seinem Bruder erklärt der ehemalige Kickboxer, warum jeder eine Waffe besitzen sollte – völlig unironisch.

Bei der Razzia der Polizei am Donnerstag wurden tatsächlich Waffen im Hause Tate gefunden – legale CO2-Modelle, die echt aussehen sollen. Das passt gar nicht zu all den Videos, die sie auf Instagram gepostet haben: voller Waffen, mit Sturmgewehren und Maschinenpistolen. Zum Glück war nichts davon echt. So wie vieles im Leben der beiden Brüder.

Waffen, Autos, Sex und Alkohol

Waffen sind aber nur ein Nebenschauplatz. Zu sagen, die Tates protzen gerne, wäre eine Untertreibung. Luxusautos, Supercars und schöne Frauen, so sehen sich die Brüder gerne. Dazu kommt noch ein Hauch von postsowjetischem Gopnik-Gangstertum, jener osteuropäischen Subkultur, deren Anhänger gerne in Jogginganzügen herumlungern und dabei massenweise billigen Alkohol trinken. Das freilich ist bei den Tates auch fake: Beide sind Millionäre. Sie wuchsen nicht in rumänischen Plattenbauten auf, sondern sind in den USA geboren und in Großbritannien aufgewachsen.

So inszeniert sich Tristan alias Talisman am liebsten: umgeben von schönen Frauen.
Foto: Instagram, Tristan Tate

Nur dem Alkohol sprechen beide entsprechend ihren selbstgewählten Images und gemäß gängigen Ostblock-Stereotypen zu, sogar im Fitnessraum steht die Whiskyflasche auf dem Tisch. Aber sieht man sich genauer an, wie die beiden zu ihrem Geld gekommen sind, findet man schnell eine düstere Welt aus Ausbeutung, Frauenfeindlichkeit, Gewalt bis hin zu Vergewaltigung und Betrug. Cobra und Talisman, wie sich Andrew und Tristan nennen, wurden aufgrund des Verdachts des Menschenhandels, der Vergewaltigung und der organisierten Kriminalität festgenommen. Sie sollen junge Frauen gezwungen haben, Pornos zu filmen. Plötzlich ist der Gangster kein Fake mehr, sondern echt.

Der Schachmeister

Dabei war der Weg der Tate-Brüder so nicht vorgezeichnet. Ihr Vater war der erste schwarze Schachmeister der USA, Emory Andrew Tate jr. war hauptberuflich in der U.S. Air Force tätig. Genaueres darüber ist nicht bekannt, Papa Tate soll aber an Geheimoperationen mitgearbeitet haben, von denen auch seine Familie bis heute nichts weiß. Was auch daran gelegen haben dürfte, dass Emory Tate flüssig Russisch, Spanisch und Deutsch sprach. Ihm verdankt Andrew Tate seinen eigentlichen Vornamen: Emory III. Die Mutter Eileen Ashleigh stammt aus dem englischen Luton, einer 200.000-Einwohner-Stadt nördlich von London, und war im Catering tätig.

Nach der Scheidung der Eltern wuchsen die Tate-Brüder mit ihrer Schwester Janine dort auf. Gerne verweisen beide auf ihre Kindheit, die von extremer Armut geprägt gewesen sein soll. Auch das ist fake. Die Eltern ermöglichten Andrew und Tristan früh ihren Traum vom Kickboxen, während Schwester Janine Jus studierte. Aber die Geschichte vom Gossenkind, das auf der Straße Kickboxen lernte und zum Millionär wurde, verkauft sich eben in sozialen Medien besser.

Als junge Erwachsene wurden Andrew und Tristan beide erfolgreiche Kickboxer. Tristan wurde 2012 sogar britischer Meister. Doch Andrew war der Erfolgreichere des Duos. Er wurde 2009 im Alter von 23 Jahren erstmals Erster auf der Europa-Rangliste, 2011 gewann Andrew seinen ersten internationalen Titel und galt als der zweitbeste Kickboxer der Welt. 2013 erreichte er den Höhepunkt seiner Kickbox-Karriere: Er wurde amtierender Champion in gleich zwei Gewichtsklassen. Reich wurden die Tates damit nicht, obwohl Andrew gut von Sponsoren- und Preisgeldern leben konnte.

Andrew und Tristan gingen den Weg klassischer C-Promis und landeten im Reality-TV. Während Tristan 2011 in der vierten Staffel von "Shipwrecked: The Island" mitwirkte, ging Andrew 2016 ins "Big Brother"-Haus. Doch da wurden erstmals seine homophoben und rassistischen Kommentare auf Twitter bekannt und lösten eine Welle der Empörung unter den Zusehern aus. Als dann noch ein Video auftauchte, in dem Andrew eine Frau mit einem Gürtel schlägt, war es dem Sender zu viel, er warf Tate nach nur sechs Tagen aus der Show. Kurz darauf erschien ein zweites Video im Netz: Es zeigt, wie Andrew Tate eine Frau auffordert, ihre von ihm verursachten Hämatome zu zählen. Die Tates zogen ihre Lehren daraus: Frauenhass ist kontrovers, Kontroversen bringen Aufmerksamkeit, und Aufmerksamkeit kann man zu Geld machen.

Frauenverachtung als Businessmodell

Tates Frauenfeindlichkeit wurde zum Geschäftsmodell. Tate gab Opfern von Vergewaltigung eine Mitschuld, denn wer sich in die Lage bringe, vergewaltigt zu werden, trage eine Verantwortung. Er selbst gehe nur Beziehungen mit 18- bis 19-Jährigen Frauen ein, denn an ihnen könne er einen "Abdruck" hinterlassen, postete Tate online. Tate fantasierte weiter, wie er Frauen würgt, ihr Eigentum zerstört und sie zu Hause einsperrt. "Hol die Machete raus, schrei ihr ins Gesicht und pack sie am Hals. Halt die Klappe, Schlampe", sagt er in einem Video und spielte vor, wie er eine Frau misshandeln würde, sollte sie es wagen, ihn des Betrugs zu bezichtigen.

Normalerweise verschwinden solche Gestalten schnell in den obskuren Ecken des Internets, doch Tate fand seine Zielgruppe auf den Mainstream-Plattformen Twitter, Tiktok und Instagram. Dort holte er die Frat-Boys und Incels, junge, frauenverachtende Männer, ab. User, wie es sie auf jeder Social-Plattform gibt. Dort gaben sich die Tates als Playboy-Gurus und entwickelten die "Hustlers University". Die Tates versprachen viel: Geld, Reichtum, Glück, schnelle Autos und schöne, unterwürfige Frauen würden auf die "Absolventen" warten. Die Kosten: 600 Dollar im Jahr für ein paar Videos und Zugang zu einem Channel auf der Kommunikationsplattform Discord.

Doch in Großbritannien wurde das Pflaster für die Tates langsam zu heiß. Als immer mehr Frauen Vorwürfe der Gewalt und Vergewaltigung gegen Tate erhoben, ergriffen sie die Flucht und ließen sich 2017 in Rumänien nieder. Andrew Tate wurde von den großen Social-Media-Plattformen wegen seiner Frauenverachtung gebannt. Doch bald kamen neue Vorwürfe hinzu: die des Betrugs.

Die Tates gründeten ein Webcam-Business und engagierten bis zu 75 Darstellerinnen. Das Konzept: Männer sollten vier Dollar in der Minute zahlen, um mit den Frauen zu chatten. Die besonders zahlungsfreudige Kundschaft wurde in private Channels gelockt. Dort mussten die Frauen ihren Zusehern herzzerreißende Geschichten über eine erfundene Notlage erzählen, um den Gästen so noch mehr Geld zu entlocken. "Es ist ein totaler Betrug, aber die Behörden können nichts dagegen machen", prahlte Tate in einem Video. Tristan sagt, ein Mann habe sein Erbe in Höhe von 20.000 Pfund übergeben, während andere riesige Schulden gemacht hätten.

Das Ende der toxischen Männlichkeit

Doch am 11. April 2022 machten die rumänischen Behörden Ernst und stürmten Tates Anwesen in Voluntari, nahe der Hauptstadt Bukarest. Die US-Botschaft hatte die rumänische Polizei informiert, dass eine US-Staatsbürgerin wahrscheinlich gegen ihren Willen von den Tates festgehalten wurde. Die Behörden fanden sogar zwei Frauen. Beide gaben an, von dem Brüderpaar gefangen gehalten worden zu sein, woraufhin die Direktion zur Untersuchung organisierter Kriminalität und Terrorismus DIICOT der rumänischen Polizei Ermittlungen gegen Andrew und Tristan einleitete. Der Vorwurf: Menschenhandel und Vergewaltigung. Im Haus soll sich auch ein Studio befunden haben, das die Verdächtigen für Pornos mit den Opfern genutzt hätten.

Links Andrew Tate, rechts im Hintergrund sein Bruder Tristan wie sie von der Polizei abgeführt werden.
Foto: INQUAM PHOTOS/Octav Ganea

Am Donnerstag kam es erneut zu einer Hausdurchsuchung bei den Tates. Vier Personen wurden verhaftet, darunter Andrew und Tristan, eine ehemalige Polizistin sowie ein rumänischer Staatsbürger. "Die vier Verdächtigen scheinen eine kriminelle Gruppe gegründet zu haben, mit dem Ziel, Frauen auszubeuten, indem sie sie zwingen, pornografische Inhalte für spezialisierte Websites zu erstellen", teilte die rumänische Staatsanwaltschaft mit. Kurz zuvor hatte sich Tate noch mit Klimaaktivistin Greta Thunberg angelegt und war von dieser auf Twitter vorgeführt worden.

Bislang sind sechs Opfer bekannt. Die Tates und ihre Komplizen stehen in Verdacht die Frauen und Mädchen mit Gewalt und Einschüchterung in verschiedenen Wohnungen um Bukarest festgehalten zu haben, berichtet die APA. Dort seien sie zum Sex und zu Pornodrehs gezwungen worden. Eines der Opfer sei zudem zwei Mal von einem der Festgenommenen vergewaltigt worden.

Nicht alle Tates stehen im Verdacht, einen Menschenhändlerring gegründet zu haben: Tristans und Andrews Schwester Janine arbeitet als erfolgreiche Anwältin in Kentucky, mehr ist über sie nicht bekannt. Zu ihren Brüdern hat sie keinen Kontakt mehr. (Peter Zellinger, 30.12.2022)