Magnus Carlsen beim Nachdenken.

Foto: REUTERS/Pavel Mikheyev

Carlsen mit der fetten Beute.

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Almaty – Zur ersten Partie erschien Magnus Carlsen zu spät und in ungewohnt legerem Outfit. Seine Partie gegen Wladislaw Kowaljou gewann er mit den schwarzen Steinen spielend aber trotzdem – obwohl dem Weltmeister abgesehen von den zwei Bonussekunden pro Zug nur 30 Sekunden für die ganze Partie geblieben waren, als er sich endlich ans Brett setzte.

Der Grund für die Verspätung machte rasch die Runde: Carlsen hatte in der Früh das beliebte Skigebiet von Almaty getestet und war auf dem Rückweg im Stau stecken geblieben. Fürs Umziehen war keine Zeit mehr, aber auch in Trainingskleidung und mit Zeitvorgabe fuhr der Weltmeister den vollen Punkt ein.

Carlsen vs. Nakamura

Damit war das Thema der heurigen Blitz-WM im kasachischen Almaty auch schon etabliert: Magnus Carlsen ist nicht zu stoppen. Nachdem er in der ersten Wochenhälfte bereits mit zehn Punkten aus 13 Partien den Schnellschach-WM-Titel erobert hatte, ging die Nummer eins der Weltrangliste im klassischen Schach am Donnerstag und Freitag nur umso motivierter auf das Double los. Diesmal startete der Carlsen-Express sogar mit fünf Siegen en suite, wobei er in Runde fünf mit einem per Pirc-Verteidigung erkämpften Schwarzsieg gegen den Polen Jan-Krzysztof Duda bereits einem wichtigen Konkurrenten das Nachsehen gab.

Dass trotzdem Spannung aufkam, lag vor allem an einem Mann: Allein Schach-Streamer und Blitzweltranglisten-Führender (Elo 2909) Hikaru Nakamura, der im Schnellschachbewerb noch weit entfernt von Normalform agiert hatte, ging Carlsens Tempo mit. In Runde acht trennten sich die beiden Favoriten unspektakulär Remis. Carlsens Sturmlauf schien damit erst einmal gestoppt: Der Norweger ließ den ersten Spieltag mit vier weiteren Remisen in den Runden neun bis zwölf eher gemächlich ausklingen, wobei er in Runde zehn gegen Schachrijar Mamedjarow recht knapp an seinem ersten Nuller vorbeischrammte. Das gab Nakamura die Gelegenheit, mit Siegen in den Runden elf und zwölf davonzuziehen und nach Tag eins mit fantastischen zehn aus zwölf einen ganzen Punkt zwischen sich und Carlsen sowie vier weitere Verfolger zu legen.

Norwegische Nerven

Zwei Remis-Runden des führenden US-Amerikaners später war dieser Vorsprung aber schon wieder weg, und dann patzten die beiden Favoriten synchron: Carlsen verlor in Runde 15 ausgerechnet gegen seinen möglichen Nachfolger als klassischer Schachweltmeister, Jan Nepomnjaschtschi, während Nakamura parallel von Wladislaw Artemjew besiegt wurde.

Wie fast immer, wenn es eng wird, bewies der Noch-Weltmeister im klassischen Schach in den entscheidenden Momenten dann aber die besten Nerven: Zwar musste Carlsen gegen den Russen Alexei Sarana, der zuvor auch Nakamura bezwang, noch einmal einen Nuller anschreiben. Alle übrigen Gegner der Runden 16 bis 21 konnten dem weltmeisterlichen Druck jedoch nicht standhalten. Am Ende hieß das für den Star des Events: 16 Punkte aus 21 Partien, eine Elo-Performance von 2.904 und Platz eins vor Hikaru Nakamura (15 Punkte) und dem jungen Armenier Haik Martirosjan (15 Punkte). Als sein Letztrundengegner – der Schnellschach-Weltmeister von 2021, Nodirbek Abdusattorov – aufgab, breitete Magnus Carlsen erleichtert die Arme aus und verließ alsbald mit breitem Grinsen, verfolgt von einer Horde Kameras, den Ort seines Triumphs.

Assaubajewa macht's noch mal

Die österreichische Turnier-Hoffnung Valentin Dragnev spielte insbesondere an Tag eins ein starkes Turnier: Dragnev startete mit einem Schwarzsieg gegen den späteren Carlsen-Bezwinger Sarana und schlug in Runde vier auch Weltklassemann Dmitri Andreikin. Eine Niederlagenserie in den Runden neun bis 13 beraubte den jungen Großmeister dann jedoch aller Hoffnungen, an die vordersten Bretter vorzustoßen. Mit 10,5 aus 21 und Rang 86 gelang Dragnev am Ende dennoch ein sehr respektables Ergebnis.

Der Liebling der Boulevardmedien, Hans Moke Niemann, hatte wie zuvor schon im Schnellschach-Bewerb, wo er nur auf Platz 100 eingekommen war, auch im Blitzen nie etwas mit dem Turniersieg zu tun. Mit zwölf aus 21 und Rang 47 erwischte es Niemann diesmal allerdings nicht ganz so schlimm.

Im Frauenturnier lagen lange Zeit die Russinnen Valentina Gunina und Polina Schuwalowa voran. Beide brachen jedoch gegen Ende hin stark ein – wovon letztlich nicht etwa die chinesische Schnellschach-Weltmeisterin Tan Zhongyi, sondern Lokalmatadorin Bibissara Assaubajewa profitierte: Die erst 18-jährige Kasachin war bereits 2021 in Warschau völlig überraschend Blitzweltmeisterin geworden und konnte ihren Sensationserfolg in heimischen Gefilden nun mit hervorragenden 13 Punkten aus 17 Partien bestätigen. Silber und Bronze gingen an die Inderin Humpy Koneru sowie die knapp vor Schluss abgefangene Polina Schuwalowa. (Anatol Vitouch, 30.12.2022)