Während im Parlament die Regierung angelobt wurde, wurde draußen lautstark gegen diese demonstriert.

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Ende der Demokratie, Eintritt in eine faschistische Ära: Die Kommentare zur neuen Regierung in Israel sind in den ersten Tagen nach deren Vereidigung voll von düsteren Prognosen. Fakt ist, dass die neue Regierung eine Trendwende bedeutet. Sie ist die erste Koalition in der Geschichte des israelischen Staates, an der keine moderaten Kräfte beteiligt sind.

Benjamin Netanjahus Likud-Partei stand schon bisher weit rechts. Wenn man sie daran misst, welche Zusagen sie ihren neuen Koalitionspartnern gemacht hat, kann man sie nun als rechtsextrem bezeichnen. Zwei der Partner sind rechtsextreme Parteien mit einer klar rassistischen und homofeindlichen Agenda.

Die übrigen zwei Parteien sind ultraorthodoxe Kräfte, die das Religionsrecht vor Staatsrecht stellen und eine Verdrängung der Frauen aus allen Machtsphären propagieren. Nur fünf der 30 neuen Ministerinnen und Minister sind Frauen, keiner ist nichtjüdisch. Repräsentative Regierung sieht anders aus.

Die Agenda der Regierung lässt schwere Einschnitte im demokratischen Gefüge befürchten. Die Regierung weitet ihre Macht aus, auch religiöse Autoritäten haben sich mehr Einfluss und Budget gesichert. Der Einfluss von Justiz, Opposition und Zivilgesellschaft wird eingeschränkt. Besonders in Gefahr sind die Rechte von Minderheiten und von Frauen.

Manche der Änderungen sind bereits umgesetzt worden, bevor die neue Regierung im Amt war. Möglich ist das, weil die Minister der neuen Regierung zugleich auch Parlamentsabgeordnete sind und das vor der Angelobung schon waren. Die neue Koalition musste also nicht zittern, dass ihre Reformen vom Parlament abgeschmettert werden: Jeder zweite Knesset-Abgeordnete ist zugleich Minister.

Große Machtkonzentration

Eine dieser Umwälzungen greift tief in die Exekutive ein. Der Rechtsextreme Itamar Ben-Gvir hat als Bedingung für seinen Regierungseintritt ein neues Superministerium verlangt. Da Netanjahu ohne ihn keine Regierung zustande gebracht hätte, wurde ihm dieser Wunsch erfüllt. Dem neuen "Ministerium für Nationale Sicherheit" wurden mehrere Kompetenzen des Verteidigungsministeriums übertragen. Zudem erhält der Minister direkten Zugriff auf Polizeistrategien und laufende Ermittlungen.

Die Gefahr, dass die Polizei für die Zwecke einer rechtsextremen Partei missbraucht wird, ist real. Und nicht nur das: Ben-Gvir wird auch eine eigene Miliz erhalten. Die Grenzpolizei, die derzeit dem Verteidigungsministerium zugeordnet ist, soll Ben-Gvir künftig direkt unterstellt werden. Diese Miliz ist nicht nur in Israel, sondern auch im von Israel besetzten Westjordanland tätig, tritt also gegenüber Palästinensern auf. Bereits jetzt ist die Grenzpolizei im Umgang mit linken Demonstranten und Palästinensern als tendenziell gewalttätig bekannt.

Das alles wäre weniger gravierend, hätte Israel auch in Zukunft ein mehr oder weniger intaktes Rechtsschutzsystem. Wenn die Polizei jemanden grundlos einsperrt, anzeigt oder abstraft, kann man sich heute bei Gerichten dagegen beschweren – bis hin zum Obersten Gerichtshof.

Diesen Weg will die neue Regierung kappen. Höchstgerichtliche Entscheidungen sollen mit einer Parlamentsmehrheit überstimmt werden können. Die Koalition hätte dann de facto absolute Kontrolle.

Rassistische Züge

Ein Merkmal des Faschismus ist Rassismus. Die neue Regierung plant einige Änderungen, die klar zwischen israelischen Arabern und Juden unterscheiden. So sollen Terroristen künftig ausgebürgert und in palästinensische Gebiete abgeschoben werden können – jüdische Terroristen sind davon ausgenommen. Im Westjordanland sollen neue Siedlungen gebaut werden. Illegale Landnahmen durch radikale Siedler sollen nachträglich legalisiert werden. Die betroffenen palästinensischen Grundeigentümer haben keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren.

Auch Menschenrechtsorganisationen müssen zittern: Die für sie teils lebenswichtigen Geldflüsse aus dem Ausland sollen künftig besteuert werden. Für einige NGOs könnte dies das Aus bedeuten. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 30.12.2022)