Für viele Einhörner könnte das Jahr zur Bruchlandung werden. Bei zahlreichen Unternehmen haben Massenkündigungen schon vergangenen Sommer begonnen.

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Wien – Unterschiedlicher hätten die beiden vergangenen Jahreshälften in der Start-up-Szene kaum verlaufen können. Besonders zu Jahresbeginn saß das Geld bei Risikokapitalgebern noch relativ locker, und wie im Rekordjahr 2021 trudelten regelmäßig Meldungen über neue Finanzierungsrunden herein. Insgesamt flossen von Jänner bis Juni 881 Millionen Euro in Start-ups, wie aus dem aktuellen Start-up-Barometer des Unternehmensberaters EY hervorgeht. Spätestens seit Sommer sind die Auswirkungen des Ukraine-Krieges wie die extrem hohe Inflation und die steigenden Zinsen aber deutlich zu spüren. Im zweiten Halbjahr wurden nur noch 125 Millionen Euro investiert – das sind laut EY um 83 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.

"Weltweit ist die Goldgräberstimmung des Boom-Jahres 2021 der Ernüchterung gewichen. Viele Geldgeber:innen sind nervös, die Risikobereitschaft sinkt, ebenso wie die Bereitschaft zu investieren", sagt EY-Experte Florian Haas. Viele Scale-ups und Unicorns hätten vom extremen Expansionskurs auf Überlebensmodus geschaltet. Unterm Strich sanken die Investitionen im ganzen Jahr um 18 Prozent auf eine Milliarde Euro.

Sinnbild Go Student

Fast sinnbildlich für den Verlauf des Vorjahres steht die Wiener Nachhilfeplattform Go Student. Anfang Jänner bekam Go Student eine 300 Millionen Euro schwere Finanzspritze, neue Bestmarke für ein österreichisches Start-up. Doch dann ging es bergab. Im Frühjahr kam Kritik von Tutorinnen und Tutoren wegen der Arbeitsbedingungen, im zweiten Halbjahr dann auch von Angestelltenseite, zudem wurden zweimal unerwartet mehrere hundert Stellen abgebaut. DER STANDARD hat berichtet. Damit ist Go Student aber nicht allein, bei vielen weiteren Unternehmen wurden zahlreiche Jobs gestrichen, ein zweites prominentes Beispiel ist Bitpanda.

Das zweite Mega-Investment ging mit 250 Millionen Euro an die heimische Softwareschmiede TTTech-Auto. Als klassisches Start-up geht das 1.200-Mitarbeiter-Unternehmen freilich nicht mehr durch, unter anderem, weil es den Betrieb seit 1998 gibt. Als sogenanntes Scale-up, ein schnell und effizient wachsendes Unternehmen, scheint TTTech aber auch regelmäßig in Erhebungen wie dem Start-up-Barometer auf.

Konsolidierung

In der Branche gehen die meisten Expertinnen und Experten von einer Marktkonsolidierung im heurigen Jahr aus. Der Fokus werde wieder verstärkt auf funktionierende Geschäftsmodelle gelenkt, und die überhöhten Bewertungen der vergangenen Jahre würden sich wieder normalisieren. Teilweise gab es investorenseitig regelrechte Bieterwettbewerbe, um überhaupt einen Deal abzuschließen – ein Resultat davon, dass sehr viel billiges Geld im Markt war.

"Investorengruppen verlagern ihren Fokus von Potenzial auf Profitabilität. Anstelle eines möglichst ambitionierten Wachstumsziels rücken für Investor:innen Themen wie Effizienz und Performance ganz nach oben auf die Checkliste bei der Due Diligence", sagt Haas. Das Stimmungsbild habe sich innerhalb weniger Monate komplett gedreht – allerdings sei auch das eine Momentaufnahme. Wie nachhaltig der Krisenmodus ist, hänge insbesondere von der Zinspolitik, der Höhe der Inflation und dem Ausmaß der drohenden Rezession ab.

So in etwa sieht es auch das österreichische Investoren-Aushängeschild Hansi Hansmann. Auf Facebook schreibt er in seiner jährlichen kurzen Jahreszusammenfassung, dass die Zeit des "Geldverbrennens" vorbei ist. Die Start-ups, die 2023 den "break even" nicht schaffen, würden eine sehr schwere Zeit vor sich haben.

Wien und Software

Ein paar Trends blieben unabhängig der Krise und der Änderungen im Markt aber auch 2022 bestehen. Die meisten Finanzierungsrunden gab es im Software- und Technologiebereich. Hier wurden laut EY mit 39 Finanzierungsrunden acht mehr gezählt als im Vorjahr. Start-up-Hotspot bleibt die Bundeshauptstadt Wien. Die bestimmenden Themen der nächsten Jahre seien Nachhaltigkeit und Digitalisierung. 55 Prozent des Gesamtvolumens aller Investitionen entfallen auf die zwei größten Finanzierungsrunden von Go Student und TTTech. Unter die Top Five nach Volumen schafften es auch Waterdrop und Plan Radar mit je 60 Mio. Euro sowie der Logistik-Spezialist Byrd mit 53 Mio. Euro. (Andreas Danzer, 3.1.2023)