Die Wienerinnen und Wiener passieren sie unweigerlich auf ihrem Weg zum Flughafen Schwechat: die Raffinerie des teilstaatlichen Öl- und Gasunternehmens OMV, der Österreichischen Mineralölverwaltung, eine der größten Europas und die einzige ihrer Art in Österreich. Trotzdem verschwendeten bis vergangenen Februar wohl die wenigsten Reisenden einen Gedanken an das Gewirr aus glänzenden Rohren und Türmen vor ihren Auto- oder Zugfenstern. Der Ukraine-Krieg änderte auch das. Seit Russland mit seinem Angriffskrieg ein Ringen um Rohstoffe entfacht hat, ist auch hierzulande die Energieversorgung ein zentrales Thema in Vorstandsetagen wie Wirtshausstuben geworden. In der Treibstoffversorgung kommt der Raffinerie in Schwechat eine strategische Bedeutung zu.

Der Komplex liegt am Rande des Wiener Beckens, wo der Fluss Schwechat in die Donau mündet, in einer Stadtgemeinde, die in ihrer Geschichte mehrmals sowohl Niederösterreich als auch Wien zugehörig war. Lässt man den Sicherheitskontrollen hinter sich, fühlt man sich wie im Inneren eines Elektrogeräts angekommen: Tanks wie Transistoren, Rohre wie Kabel, Türme wie Batterien, Leitungen, die sich durch mehrere Ebenen ziehen. Es klackt und brummt, in die Luft steigt stetig Wasserdampf auf.

Harald Zeman vor der Anlage, wo das Öl aus Triest ankommt.
Foto: Heribert Corn

Harald Zeman zeigt auf ein Rohr, das aus dem Boden ragt, silbern, mit einem Durchmesser von etwa einem Meter: "Hier kommt das Öl herauf. 1,5 Stunden dauert es, bis ein Tropfen, der hier ankommt, wieder draußen ist." Zeman ist Anlagenleiter für den Bereich Fuels 1, darunter fallen mehrere der 13 Anlagen der Raffinerie, auch die größte Rohöldestillationsanlage, das Herzstück der Raffinerie, abgekürzt RD4. Hier werden jeden Tag 25.000 Tonnen Rohöl verarbeitet. Der überwiegende Teil stammt aus Kasachstan, Libyen, dem Irak und wird vom Hafen Triest über die Transalpine Ölleitung TAL sowie über die Adria-Wien-Pipeline angeliefert. Das Öl wird zunächst in den Tanks der OMV in St. Valentin, Lustenau, Graz und der Lobau gelagert und anschließend nach Schwechat transportiert.

Von Triest nach Schwechat

Erdöl ist ein Gemisch aus verschiedenen Stoffen, die, hier angekommen, getrennt und neu sortiert werden. Von der unterirdischen Pipeline im Boden aus führt sein Weg zunächst einmal hinauf: Dafür werden sukzessive die Temperatur und der Druck erhöht. In der ersten Kolonne – so heißen die silbernen Türme – wird es durch weiteres Verdampfen und Kondensieren in seine Bestandteile aufgespaltet. So entstehen Gas und Primärbenzin, Petroleum und Gasöl.

Sie sind die Ausgangsstoffe für die weitere Produktion und werden anschließend in verschiedenen Anlagen entschwefelt. Im nächsten Schritt werden die Rohbenzine in der Veredelungsanlage verfeinert und dann in den Rohren der Blending-Anlagen zu Benzinsorten und Dieselkraftstoffen gemischt, ehe ihr Weg in die großen weißen Tanks am Rande der Raffinerie führt. Von dort aus gelangen die Fertigprodukte in die Tankstellen des Landes. Die OMV deckt an die Hälfte des Bedarfs an Mineralölprodukten in Österreich ab.

Aufsteigender Wasserdampf, im Hintergrund die im Sommer beschädigte und inzwischen wieder im Vollbetrieb befindliche RD4-Anlage.
Foto: Heribert Corn

Welche Rolle sie für die Energieversorgung spielt, machten die Auswirkungen eines Unfalls in der Raffinerie im vergangenen Sommer deutlich: Im Juni riss im Zuge einer Wartung die Außenschicht der Hauptkolonne der Rohöldestillationsanlage. Daraufhin wurde in einigen Tankstellen des Landes kurzfristig Benzin und Diesel knapp. Der Vorfall war allerdings nicht der einzige Grund für diese stundenweise "Dry-outs", wie sie im Fachjargon heißen: Russische Importausfälle waren ebenso ein Faktor wie Transporteinschränkungen im Schiffsverkehr, die auf den hitzebedingten Niedrigwasserstand europäischer Flüsse zurückgingen. Seit Oktober ist die 50 Meter hohe Anlage wieder im Vollbetrieb. Das Gerüst steht immer noch.

Von Plastikmüll zu Öl

1800 Menschen arbeiten auf dem Gelände, das so groß ist wie Monaco, etwa die Hälfte machen Fachkräfte von Leihfirmen aus. Von den rund 900 OMV-Angestellten ist wiederum rund die Hälfte im administrativen Bereich tätig, der Rest in der Raffinerie: Sie sitzen in der Messwarte, einem runden Betonklotz aus explosionssicheren Wänden, wo alle Daten zusammenlaufen. Oder sie führen als "Außenoperateure" Kontrollgänge durch, stellen Ventile ein, Pumpen und Kompressoren.

Die OMV ist heute der größte Importeur fossiler Energien und zudem selbst ein wesentlicher CO2-Treiber. Sie sucht, erschließt, produziert Öl und Gas auf der ganzen Welt. Über ihre Tochter OGMT laufen zudem die Gasverträge mit Russland. In Schwechat werden außerdem auch Bitumen zur Herstellung von Asphalt oder Grundstoffe für die chemische Industrie produziert. An die Raffinerie grenzt der Kunststoffhersteller Borealis, an dem die OMV 75 Prozent hält. All das macht das Unternehmen zu einem zentralen Feindbild von Klimaaktivistinnen und -aktivisten.

1.800 Menschen arbeiten auf dem Gelände.
Foto: Heribert Corn

Die OMV betont ihrerseits, schon seit geraumer Zeit die Weichen für eine CO2-ärmere Zukunft zu stellen. Und sie will bis spätestens 2050 klimaneutral werden. Das Unternehmen wandelt sich von einem traditionellen Öl- und Gaskonzern zu einem Chemiekonzern, der mehr auf Nachhaltigkeit und synthetische Kraftstoffe setzt – weg vom Benzin und hin zu Materialien für Verpackungen, Medizinprodukte oder Smartphones. Dass sie dabei verstärkt auf Kreislaufwirtschaft setzt, will die OMVan der Baustelle am nördlichen Rande der Raffinerie nahe der Ostautobahn vorführen: Hier entstand vor vier Jahren die erste "ReOil"-Anlage, in der Kunststoffabfälle zu Rohöl verarbeitet werden.

Ausbau geplant

Aktuell wird die Pilot- zur Demonstrationsanlage ausgebaut. Das langfristige Ziel ist, dass hier bis zu ein Drittel des österreichischen Plastikmülls zu Öl verarbeitet werden kann. Grundlegend für die Technologie war Wolfgang Hofer. Sieben Jahre forschte der Diplomingenieur an der "Geheimrezeptur", die dafür sorgt, dass die hier eingefüllten Berge an Plastikschnipsel als Öl und Gas wieder herauskommen. Es sei "eine ziemliche Lernkurve" gewesen, erzählt Hofer, der für die OMV als Berater für neue Technologien arbeitet. Wenn alles nach Plan läuft, soll die Anlage 2027 hochgefahren werden. (Anna Giulia Fink, 3.1.2023)