Die Terrororganisation Hamas droht Israel mit "explosiver Gewalt" – und das vielleicht schon in den kommenden Tagen: Man werde "nicht tatenlos zusehen", wenn jemand das Heiligtum der Al-Aksa-Moschee verletze, erklärte sie libanesischen Medien.

Israels Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir auf einem Markt in Jerusalem – ein Besuch des Tempelbergs könnte bevorstehen.
Foto: AFP / Manahem Kahana

Der Anlass: Israels neuer Minister für Nationale Sicherheit, der Rechtsextreme Itamar Ben-Gvir, hat am Dienstag erstmals seit seinem Amtsantritt den Tempelberg in Jerusalem besucht. Israelischen Medienberichten zufolge kam er am frühen Morgen in Polizeibegleitung zu der heiligen Stätte in der Altstadt.

Das Areal beherbergt das drittwichtigste Heiligtum des Islam, die Al-Aksa-Moschee. Der Hügel war die historische Stätte des Zweiten Tempels. Eine Minderheit der frommen Juden pilgert auch auf den Hügel, die Mehrheit der Rabbiner sieht dies aber im Widerspruch zur religiösen Lehre. Sie dürfen das Areal derzeit nur zu bestimmten Zeiten betreten und dort keine Gebete verrichten. Es ist ein Ort, der symbolisch aufgeladen ist: Jede kleinste Veränderung am Status quo droht eine Eskalation auszulösen.

Weitere Intifada?

Das wurde Israelis und Palästinensern bereits im September 2000 bewusst: Damals löste ein Besuch des damaligen Oppositionsführers Ariel Sharon die Zweite Intifada aus – eine jahrelange Welle verheerender Gewalt. Der frühere Polizeikommandant Jair Jitzchak war damals Chef der Jerusalemer Polizei. In einem Interview mit dem Sender 2 warnte er davor, frühere Fehler zu wiederholen.

Man könne einem Minister, egal welcher Partei, zwar nicht verbieten, den Tempelberg zu besuchen, sagte Jitzchak; bevor es dazu kommt, sollten aber alle Geheimdienste und die Polizei ihre Einschätzung des Sicherheitsrisikos abgeben und kalkulieren, welches Risiko ein Besuch am Tempelberg für die ganze Region bedeuten könnte. Die letzte Entscheidung solle dann beim Regierungschef liegen – also bei Benjamin Netanjahu.

Es ist ein heikler Moment: Erst vor kurzem hat König Abdullah II. von Jordanien die neue Regierung vor einer Änderung des Status quo gewarnt. Auch in den Geheimdiensten wird Ben-Gvirs Verhalten kritisch gesehen. Doch dieser ist davon unbeeindruckt. Bereits am Dienstag oder Mittwoch will er das Areal rund um die Al-Aksa-Moschee betreten, kündigte er an. Am Montag traten Polizeispitzen zu einer Krisensitzung zusammen.

"Es wird Tote geben"

Es ist nicht das erste Mal, dass Ben-Gvir den Tempelberg betritt. Erst vor wenigen Monaten besuchte er das Areal. Damals war er aber nur ein einfacher Parlamentsabgeordneter.

Der Großmufti von Jerusalem, Ekrima Sabri, rief "arabische und islamische Führer" zur Intervention auf. Der Agentur Safa sagte Sabri, dass Ben-Gvirs "Sturm" auf die Al-Aksa-Moschee allein dazu diene, das Heiligtum unter israelische Verwaltung zu stellen.

Stehen Israel und die Palästinensergebiete nun vor einer dritten Intifada? Jair Lapid, bis vor kurzem Ministerpräsident Israels, warnt jedenfalls davor. "Ben-Gvir darf den Tempelberg nicht betreten. Das ist eine Provokation, die zu Gewalt führen und Menschenleben gefährden wird", sagt er in einem Interview. "Es wird Tote geben."

Jordanien wacht über die heiligen Stätten

Der Eskalationskurs Ben-Gvirs belastet jedenfalls auch Israels Beziehung mit Jordanien schwer. Die Obrigkeit in Amman fungiert als Wächter der islamischen heiligen Stätten in Jerusalem.

Israel hat diese Rolle in den von den USA vermittelten Friedensverträgen Mitte der 1990er-Jahre anerkannt. In einem CNN-Interview sprach König Abdullah II. eine deutliche Warnung aus, sollte der Status quo am Tempelberg verletzt werden: "Wenn man einen Konflikt mit uns anfängt, sind wir vorbereitet", sagte er. "Wir haben gewisse rote Linien. Wenn andere diese roten Linien antasten, werden wir uns entsprechend dazu verhalten." (Maria Sterkl aus Jerusalem, 3.1.2023)