Es ist kurz nach acht Uhr morgens, und ein säuerlicher Geruch liegt in der Luft, der trotz FFP2-Maske in der Nase beißt. In der Großküche in der Klinik Hietzing ist um diese Uhrzeit schon längst Vollbetrieb – dort wird das Mittagessen für rund 800 Patientinnen und Patienten, die aktuell im Spital untergebracht sind, gekocht. Hinzu kommen 190 Portionen, die an die Klinik Penzing sowie an die Kinder- und Jugendpsychiatrie am Rosenhügel geliefert werden. Damit nicht genug: Für 400 bis 500 Mitarbeitende im Haus wird das Essen ebenfalls zubereitet. Der Geruch ist ihrem "Werksessen" geschuldet – in einem überdimensionalen Topf kocht Sauerkraut, die Beilage zur Burenwurst.

Sauerkraut im Großformat.
Foto: Christian Fischer

Nach der Suppe können Kranke an diesem Tag zwischen Spinatstrudel, Rindsbraten oder Gemüsepfanne wählen; danach gibt es Bananenkuchen oder Schokopudding. Wobei: Tatsächlich entscheiden darf nur etwa ein Viertel der Patientinnen und Patienten, wie Christina Schmidt erzählt. Sie ist die Leiterin der Abteilung Küche in der Klinik Hietzing. "25 bis 30 Prozent erhalten bei uns Normalkost beziehungsweise Wahlkost", sagt Schmidt.

Spinatstrudel im Anrollen.
Foto: Christian Fischer

Alle anderen müssen sich an eine bestimmte Diät halten, wegen Unverträglichkeiten oder Allergien. Da ist die Bandbreite extrem groß: 39 "Kostformen" werden in der Klinik Hietzing zubereitet – von laktose- oder glutenfreier Ernährung über eiweißhaltige oder zuckerfreie Speisen bis hin zu entweder kalorienarmer oder -hoher Kost. Für jede Anamnese ist etwas dabei.

Suppe bis Püree

In einer Ecke der Küche sind die Mixer die großen Stars. Laut surrt es da, während Speisen püriert werden. "Wir haben Patienten mit sehr unterschiedlichen Schluckstörungen, sie brauchen spezielle Konsistenzen, von dünnen Suppen bis breiiges und weiches Essen wie Erdäpfelpüree", sagt Schmidt. Und so werden Karotten, Kartoffeln oder Getreide im Akkord gekocht und zermatscht.

Es wird gemixt.
Foto: Christian Fischer

Das klingt nur bedingt appetitanregend. Tatsächlich hat die Spitalsküche Imageprobleme. Dafür gibt es mehrere Gründe, sagt Heidi Szepannek, leitende Diätologin im Spital der Barmherzigen Schwestern in Wien: "Im Krankenhaus herrschen besondere Umstände. Wer dort liegt, dem geht es gesundheitlich schlecht. Man ist mit wildfremden Menschen in einem Zimmer, wo es womöglich nicht gut riecht, man hat Schmerzen, schläft nicht gut. Da ist die Appetitwahrnehmung oft verändert." Das führe dazu, dass man Speisen, etwa Kürbisrisotto, die man in einem anderen Ambiente für absolut in Ordnung oder sogar gut befindet, als nicht wohlschmeckend erlebt.

Dazu kommt, dass vielen Patientinnen und Patienten eine spezielle Kost verordnet wird. Bei einer leichten Vollkost etwa wird auf viele Gewürze wie Zwiebel oder Knoblauch verzichtet – das schmeckt aber automatisch fade, wenn man an kräftiges Würzen gewöhnt ist. Und es gibt noch einen Aspekt: Das Essen im Spital muss aus rein logistischen Gründen entweder warmgehalten oder wieder erhitzt werden. Immerhin müssen innerhalb eines kurzen Zeitraums viele Portionen gleichzeitig fertig sein. "Ein Essen, das warmgehalten wird, leidet optisch und oft auch geschmacklich, dessen sind wir uns schmerzlich bewusst", sagt Szepannek.

Mindestens 70 Grad

In der Klinik Hietzing verlassen die ersten Portionen um 10.15 Uhr bereits die Küche – zuerst werden Speisen für die Klinik Penzing abgeholt, danach werden der Betriebskindergarten und die Patientinnen und Patienten auf dem Rosenhügel beliefert. Eine Stunde später gehen die letzten Mittagsmenüs in ihren Wärmebehältern raus. Die Hygieneleitlinien sind dabei streng: Mindestens 70 Grad muss das Essen haben, wenn es ausgeliefert wird, sagt Küchenleiter Martin Popovits. Er ist unter anderem für die strengen Qualitätskontrollen verantwortlich. Denn bevor die Speisen an die Patientinnen und Patienten gehen, wird gekostet und geprüft.

Durchgekostet wird bei der Qualitätskontrolle.
Foto: Christian Fischer

Essen ist im Krankenhaus das einzige Thema, das jeder kennt und das jeder beurteilen kann. "Ob eine Operation gut funktioniert hat und ob die Genesung voranschreitet, das ist für Laien oft schwer greifbar", sagt Diätologin Szepannek: "Aber beim Essen kennen sich alle aus, die Patientinnen und Patienten genauso wie die Angehörigen." Entsprechend diene die Beschwerde über fad schmeckende Kost auch oft als Kanal, um Emotionen in dieser schwierigen Zeit rauszulassen: "Das Essen ist fast eine Art Blitzableiter für die Ängste und Sorgen, die man im Krankenhaus hat."

XXL-Gemüsepfanne.
Foto: Christian Fischer

Bei so vielen verschiedenen Unverträglichkeiten und Krankheitsbildern sei es auch oft eine Frage des "kleinsten gemeinsamen Nenners", sagt Schmidt: "Da muss man Verständnis haben, dass es nicht immer so wie bei der Mama schmeckt." In Hietzing versucht man trotzdem möglichst viel Abwechslung in den Speiseplan zu bringen: 80 Mitarbeitende inklusive des Hol- und Bringdienstes und 15 Diätologinnen, arbeiten in der Küche. Die Speisen folgen einem Fünf-Wochen-Plan. Einzig beliebte Gerichte – wie Krautfleckerl – doppeln sich in dieser Zeit. Außerdem wird saisonal gekocht. Sprich im Winter gibt es anderes Obst und Gemüse als im Sommer. Und: "Wir kochen mit frischen Produkten und haben keine Fertigware – daher können wir besser auf die Bedürfnisse Rücksicht nehmen und Zutaten variieren."

Rot und Grün

Das Rindfleisch, das in Hietzing verarbeitet wird, sei "komplett bio", sagt Schmidt. Ebenso Brot und Gebäck, Frischeier und Molkereiprodukte oder die "klassischen" Gemüsesorten. Äpfel kommen regional aus der Steiermark, Kartoffeln aus dem Weinviertel. "Das ist uns schon sehr wichtig." Auch Bio-Teigwaren werden verkocht. Die werden gern gegessen. 500 bis 700 Portionen Nudeln schwimmen an diesem Tag in den Töpfen der Großküche.

Suppe gibt es jeden Tag.
Foto: Christian Fischer

Das Lieblingsessen in Hietzing? "Alles, was rot ist", sagt Schmidt lachend: "Von Pasta asciutta übers Gulasch zum Reisfleisch." Und: "Auch der Spinat mit dem Erdäpfelschmarrn ist extrem beliebt." Zufrieden mit dem Essen sind besonders jene, die keine Beschränkungen haben – immerhin kann man nicht jeden Tag bei einem Drei-Gänge-Menü aus drei verschiedenen Hauptspeisen wählen. "Wir hören auch immer wieder, dass es bei uns ja wie im Hotel sei, zu Hause koche man sich nicht so aufwendig", erzählt Szepannek. (Oona Kroisleitner, Pia Kruckenhauser, 5.1.2023)