An Emotionen mangelte es in den vergangenen Jahren nicht, auf keiner Seite. Bei Protesten wurden auch eigenwillige Verkleidungen eingesetzt.
Foto: CHRISTIAN BRUNA/Epa

Die Pandemie hinterließ auch in der Marktforschung ihre Spuren. Online-Befragungen wurden öfter und kurzfristiger eingesetzt, sagt Meinungsforscher Peter Hajek. Die Echokammern in sozialen Medien sind seiner Ansicht nach zwar problematisch, haben aber kaum demokratiegefährdende Wirkung.

STANDARD: Welche Meinungen in der Bevölkerung vorherrschen, wurde für politisch Verantwortliche in der Corona-Zeit besonders wichtig. Wie haben Sie als Meinungsforscher die Pandemie erlebt?

Hajek: Wie in vielen anderen Bereichen wirkte die Pandemie gerade für die Onlinemarktforschung als Katalysator und hat bestehende Entwicklungen beschleunigt. Von der Auftragslage her waren es die bisher besten Jahre. Unsere Kunden hatten Fragestellungen, die sehr schnell geklärt werden mussten. Die Ärztekammer brauchte zu Beginn der Pandemie sehr rasch Auskunft darüber, ob die niedergelassene Ärzteschaft über genug Masken und Handschuhe verfügte. Das Bildungsministerium musste nach einer Einführung neuer Regeln für den Schulbesuch übers Wochenende wissen, ob die Eltern ihre Kinder am Montag zur Schule bringen. Die Beschleunigung zeigte, dass man online mit spezifischen Zielgruppen sehr schnell sehr gut arbeiten kann.

STANDARD: Sie haben auch Studien zu Impfgegnern gemacht. Wie schwierig ist es, das Thema mit den Mitteln der Marktforschung abzubilden?

Hajek: Telefon- und Onlinebefragungen haben eigene Stärken und Schwächen. Mit ihrer begrenzten Zahl an Teilnehmenden kann man online in den weniger bevölkerungsstarken Bundesländern nicht gut Umfragen machen – das zeigte auch die letzte Tirol-Wahl, bei der die Prognosen weit danebenlagen. Die Kombination von Telefon- und Onlinebefragung kann die Schwächen der jeweils anderen Methode aber abmildern. Bei den Impfgegnern zeigte sich wiederum, dass man telefonisch schwerer an sie herankommt als online. Es ist aber nicht so, dass diese Gruppe mit ihrer Einstellung hinter dem Berg hält. Grundsätzlich war es keine große Herausforderung, diese Menschen zu interviewen.

STANDARD: Verschwörungserzählungen und Menschen, die Fakten nicht akzeptieren wollen, waren während der Pandemie omnipräsent. Gibt es bei Ihrer Arbeit Berührungspunkte zu diesen Themen?

Hajek: Wir machen keine Wissenstests. Wir machen Befragungen über die Werte, Einstellungen und Motive der Menschen. Wir wollen die Gefühlsebene der Menschen erwischen. Als Meinungsforscher muss man sich zurücknehmen und intelligent nachfragen. Grundsätzlich glaube ich nicht, dass das Ignorieren von Fakten heute stärker ausgeprägt ist als früher. Dieser Unglauben war immer da, wir beobachten ihn heute nur öfter. Ich sehe da kein überbordendes Problem. Der große Unterschied zu früher ist aber, dass die Menschen einen viel stärkeren Zugang zu diversen Informationsquellen haben und sich dadurch besser informiert und ermächtigt fühlen.

Während der Pandemie kam es wie etwa hier im November 2021 in Wien wiederholt zu Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen.
Foto: EPA/ CHRISTIAN BRUNA

STANDARD: Was sind die Schlussfolgerungen daraus?

Hajek: Das Problem dabei ist natürlich, dass viele der neuen Quellen nicht vertrauenswürdig sind. Jeder sucht sich im Netz das zusammen, was er gerne hören möchte. In der Meinungsforschung können wir nur erheben, woher die Befragten ihre Information beziehen, und nach Korrelationen suchen. Dann sieht man beispielsweise, dass Impfskeptiker signifikant öfter Servus TV konsumieren. Ich halte es aber für naiv zu glauben, dass man mit rationaler Aufklärung hier weiterkommt.

STANDARD: Wie erreicht man die Menschen denn dann?

Hajek: Ich muss sie auf ihrer Gefühlsebene erwischen. Ein Beispiel: 2007 erregte der Fall Arigona Zogaj, die mit ihrer Familie in den Kosovo abgeschoben wurde, Aufsehen. Das Thema spielte später im Bundespräsidentschaftswahlkampf von 2010 erneut eine Rolle. Der Sender ATV ließ die Wirkung eines Interviews mit Fischer (Heinz, Präsidentschaftskandidat, Anm.) damals von uns per sogenannten Perception-Analyzer untersuchen. Das Publikum bestand aus verschiedenen Gruppen, die jeweils Parteien zuordenbar waren. Jede Person hatte einen Drehknopf vor sich, mit dem Zustimmung oder Ablehnung bekundet werden konnte – auf einer ganz emotionalen Ebene.

Zum Thema Zogaj sagte Fischer damals: "Wir können mit Kindern nicht so umgehen." Und da sind sogar die FPÖ-Wähler im Publikum, die stark für die Abschiebung waren, in eine emotionale Zustimmung gegangen. Fischer ist das Thema von einer ganz anderen Seite angegangen – nicht über Integrationspolitik, nicht von der rechtlichen Seite her, nicht mit erhobenem Zeigefinger – und er hat damit eine tiefe emotionale Zustimmung ausgelöst. Das gilt in vielen Bereichen: Sobald ich anfange zu erklären, bin ich schon auf der Verliererstraße. Man muss die Leute auf einer Gefühlsebene ansprechen.

Marktforscher und Politikwissenschafter Peter Hajek.
Foto: imago images/SEPA.Media/Martin Juen

STANDARD: Viele Fachleute sehen heute dank Social Media Polarisierungs- und Fragmentierungstendenzen in der Gesellschaft, die die Demokratie gefährden. Können Sie das bestätigen?

Hajek: Nein. Fragen zu Demokratiezufriedenheit, der Lösungskompetenz der Demokratie oder zu Demokratie versus autoritäre Systeme ergeben seit Jahrzehnten stabile Werte. Die autoritären Potenziale liegen konstant bei zehn bis zwölf Prozent der Bevölkerung. Natürlich ziehen sich die Leute in ihre Echoräume zurück. Aber auch an den Stammtischen saßen früher immer die gleichen Typen, und alle waren einer Meinung.

Wir haben heute allerdings nicht mehr diese großen Gruppen, denen sich sehr viele Menschen zugehörig fühlen – etwa jene der Arbeiterschaft. Die Landschaft ist deutlich kleinteiliger, der Blick auf die Gesellschaft differenzierter geworden. Die Wirtschaft hat auf die gesellschaftliche Fragmentierung am schnellsten reagiert. Beispielsweise gibt es dutzende Modellvarianten einer Automarke, um für jede Lebenswelt ein maßgeschneidertes Produkt zu haben.

STANDARD: In der Wissenschaft gibt es den Trend, Studienergebnisse nachvollziehbarer zu gestalten. Wie geht die Meinungsforschung mit Transparenz um?

Hajek: Wenn uns Manipulation vorgeworfen wird, habe ich ein einfaches Argument. Ich sage, wir legen jederzeit unseren Datensatz und den Weg zu unseren Ergebnissen offen. Jeder kann zu uns kommen und sich das ansehen. Kritik verstummt dann sehr schnell. Noch nie ist tatsächlich jemand zu uns gekommen, um sich die Daten anzusehen. Wer auf Qualität achtet, den stört die Offenlegung nicht – sie stärkt ihn. Kollegen, die ihren Algorithmus hinter der Sonntagsfrage nicht preisgeben wollen, kann ich nur sagen: Wer den Algorithmus hinter dem österreichischen Wahlverhalten kennt, soll sich bitte um den Nobelpreis bewerben. (Alois Pumhösel, 9.1.2023)