Wild wie eh und je: Iggy Pop während eines Konzerts in Frankreich im Mai 2022.
Foto: APA/Francois Nascimbeni

Eigentlich könnte Iggy Pop rein privat als James Osterberg gemütlich daheim in Florida mit einem guten Buch in der Hand im Schatten sitzen und die Füße ins kühlende Brackwasser der Everglades halten. Er könnte darauf hoffen, dass die ebenfalls dort ansässigen Spitzkrokodile und Alligatoren schon ein ordentliches Mittagessen gehabt haben und nicht weiter an ihm interessiert sind.

"Gimme danger, little stranger", das muss ja nicht auf ewig sein. Das Lied hat Iggy Pop immerhin schon vor 49 Jahren gesungen, 1973 mit The Stooges auf dem Album Raw Power. Damals war er Mitte zwanzig und ein wirklich sehr wilder junger Mann. Er ernährte sich von schnellen Drogen und spielte exzessive wie selbstzerstörerische Rock-'n'-Roll-Shows. Iggy Pop sang zu schlichten, allerdings unbotmäßig laut aufgedrehten Gitarren und derben Dschungelbeats den heute als Klassiker geltenden Devianzsong I Wanna Be Your Dog oder den als Urknall des Punk geltenden Golden Oldie Search and Destroy.

Keiner hätte zehn Cent gewettet

Heute hat Iggy Pop 75 Jahre auf dem Buckel und vor allem auf der kaputten Hüfte. Und er tourt mit alten Songs aus dem Repertoire der Stooges und aus seinem späteren umfangreichen wie stilistisch durchaus abwechslungsreichen Solokatalog, das etwa Stücke aus Götteralben wie The Idiot, Lust for Life oder New Values beinhaltet, immer noch um die Welt. Niemand hätte damals zehn Cent darauf gewettet, dass ausgerechnet Iggy Pop so lange in diesem Geschäft überlebt. Im Vorjahr jedoch folgte wieder eine umfangreiche Welttournee, heuer wird er im Vorprogramm der Red Hot Chili Peppers auf Dienstreise gehen. Sein neues, unerwartetes Album Every Loser ist eben erschienen.

Iggy Pop Official

Das gute, einfache, das gesunde Leben findet also auch heute noch nicht daheim am Tümpel mit guter Lektüre, sondern im Bus und in Hotelzimmern statt; mit Musikern, deren Vater oder sogar Opa er sein könnte. Statt Superdrogen gleich zum Frühstück gibt es seit gut vier Jahrzehnten Superfood. Quinoa und Bulgur sind schließlich Getreidesorten und keine hochprozentigen Drinks aus der Hölle. Nur die Wildheit, die ist Iggy Pop geblieben. Für immer nie vernünftig sein! Eine Jugend wird bekanntlich oft erst glücklich, wenn man alt und noch halbwegs gesund ist. Das kann man auch ohne Autodestruktionsprogramm haben.

Möglicherweise das große Finale

Eigentlich war das gemeinsam mit Josh Homme von Queens of the Stone Age 2016 eingespielte, abwechslungsreiche und durchaus eingängige Album Post Pop Depression als (Studio-)Abschied angekündigt. Iggy Pop legte 2019 allerdings mit dem ruhiger und musikalisch freier flottierenden Album Free noch einen nach. Nun erleben wir mit dem unbelehrbar-wilden Album Every Loser möglicherweise das große Finale. Dieses hat es phasenweise durchaus in sich.

Zwar gibt Iggy Pop aktuell auf Here It Is: A Tribute to Leonard Cohen mit Cohens spätem Song You Want It Darker den unten im Keller bei verglimmendem Lebenslicht grummelnden Endzeittroubadour. Auf Every Loser ist von so viel Abschiedsmelancholie aber nur wenig zu hören. Mit Gästen wie Chad Smith von den Red Hot Chili Peppers am Schlagzeug oder Duff McKagan von Guns N' Roses am Bass und dem musikalisch äußerst flexiblen Produzenten Andrew Watt (Justin Bieber, Post Malone, Elton John, Ed Sheeran, Miley Cyrus, Dua Lipa, Ozzy Osbourne ...) erleben wir einen tatsächlich beinahe immerjungen und kräftigen Sänger.

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Der vorab veröffentlichte Song Frenzy mag in seiner Anmutung und einer Akkordfolge aus Peter Burschs berüchtigtem Gitarrenbuch etwas gar einfach auf Bauernpunk gestrickt sein – und auch Strung Out Johnny ist so angelegt, dass ältere Menschen aus der Postpunk-Schule der Wiener Diskothek U4 aus den frühen 1980er-Jahren nicht zu verschreckt sein sollten: Siouxsie and the Banshees treffen The Sisters of Mercy. Das berühmte Einfingerklavier, das einst John Cale als Produzent für The Stooges auf I Wanna Be Your Dog beisteuerte, macht Modern Day Rip Off aber doch zum reinen Vergnügen. Das heutige Gitarrengenudel muss man genervt, aber doch hinnehmen.

Mit weiteren Gästen wie dem verstorbenen Drummer Taylor Hawkins von Foo Fighters, dem Drummer von Blink 182 oder den Gitarristen Stone Gossard von Pearl Jam und Josh Klinghoffer oder Dave Navarro aus dem Umfeld der Red Hot Chili Peppers geht sich das bei schönen Midtempoballaden wie Morning Show oder wüsten Prügeleien wie Neo Punk trotzdem aus. Am Ende steht der für Iggy Pop musikalisch reichlich komplexe Song The Regency. Alte Männer singen im Chor wehmütig gegen das System an, das uns alle böse macht. Für das Gute, gegen das Schlechte. Für immer jung. (Christian Schachinger, 6.1.2023)