Zwischen Nord- und Südeuropa fallen in der Studie Unterschiede in der Umverteilung auf.
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Im Wahlkampf kommt kaum jemand an einem Thema vorbei: Welche sozialen Gruppen erhalten wie viel Unterstützung vom Staat? Insbesondere in den alternden Gesellschaften Europas spielen Generationenverträge eine wichtige Rolle – gerade jetzt, da weite Teile der geburtenreichen Boomer-Jahrgänge in Pension gehen. Wie Sozialausgaben in verschiedenen europäischen Ländern verteilt werden, wurde nun vom Wiener Ökonom Bernhard Binder-Hammer untersucht, der am Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und an der TU Wien forscht.

Wie sich zeigte, werden im österreichischen System Eigenheiten kombiniert, die jeweils für Nordeuropa und Südeuropa charakteristisch sind. Im Norden fördert fiskalische Umverteilung vorwiegend Finanzschwache, im Mittelmeerraum gestattet sie Wohlhabenden generöse Pensionen, stellt das Forschungsteam mit Beteiligung der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) der EU-Kommission im Fachblatt "Journal of the Economics of Ageing" dar.

Viel Umverteilung, viel Geld an Reiche

Insgesamt wurde die staatliche Umverteilung in den 27 Ländern der EU und deren Exmitglied Großbritannien verglichen, genauer: die Geldflüsse aus den Staatskassen zu Haushalten mit geringem oder hohem Einkommen bei Erwerbsfähigen und Menschen im Pensionsalter.

"Staatliche Umverteilung wird oft mit Absicherung für Einkommensschwache gleichgesetzt", erklärte Binder-Hammer in einer Aussendung der ÖAW. Doch auch Pensionszahlungen spielten hier eine wesentliche Rolle, weil Netto-Leistungen für Haushalte mit hohem Einkommen vor allem aus Pensionsgeldern bestünden. "In den Ländern mit der höchsten Netto-Umverteilung sind die Transfers zur Bevölkerung mit den höchsten Einkommen besonders hoch, jene zu einkommensschwachen Haushalten aber besonders gering", berichtet er.

Weniger Umverteilung zwischen Haushalten im Norden, aber mehr Gerechtigkeit

"Während in nordischen Ländern die Umverteilung als Unterstützung einkommensschwacher Gruppen wirkt, dient sie in südeuropäischen Ländern zum großen Teil der Einkommenssicherung Gutverdienender", sagt Binder-Hammer. In Italien, Spanien und Portugal gebe es "sehr generöse Pensionen" für den wohlhabenden Teil der älteren Bevölkerung, der Staat unternehme aber relativ wenig, um einkommensschwache Haushalte zu unterstützen.

"Umgekehrt profitieren in Ländern wie Dänemark oder den Niederlanden vor allem die einkommensschwächsten Haushalte", sagt der Forscher. In Nordeuropa gibt es den Ergebnissen zufolge generell weniger staatliche Umverteilung zwischen Haushalten. Dafür würden aber auch die einkommensstärksten Haushalte kaum von einer solchen zusätzliche Gelder erhalten.

Anpassungspotenzial in Österreich

Österreich liegt nicht nur geografisch in der Mitte Europas, sondern auch bei den Sozialleistungen: Gemeinsam mit Deutschland und Frankreich zähle es zu den Ländern mit großzügigem Pensionssystem, kombiniere das aber mit Unterstützung für Familien und Arbeitslose, berichtet der Ökonom. Die Umverteilung zum einkommensschwächsten Viertel der Bevölkerung beträgt hierzulande sieben Prozent des verfügbaren Einkommens. Damit liege man europaweit "im oberen Mittelfeld".

Der Studie zufolge gibt es vor allem bei der Umverteilung zum einkommensstärksten Viertel der Bevölkerung "Anpassungspotenzial", meint der Experte. Geringe Armutsquoten in allen Bevölkerungsschichten gebe es vor allem in Ländern wie Dänemark und den Niederlanden. Dort halte sich die staatliche Umverteilung zur Bevölkerung im Ruhestand in Grenzen – durch gedeckelte staatliche Basispensionen und zusätzliche kapitalgedeckte Vorsorge. So könne gleichzeitig mehr für Einkommensschwache ausgegeben werden, wie der Wissenschafter erklärt.

Fairness und Generationengerechtigkeit

"Auch in Österreich sollte man die kapitalgedeckte Säule für die Einkommenssicherung von Gutverdienenden ausbauen und über das Umlagesystem nur eine Basisvorsorge für alle anbieten", meint der Bevölkerungsökonom. Dies würde das Sozialsystem und zukünftige Generationen enorm entlasten und sei "angesichts der Bevölkerungsalterung eine Notwendigkeit".

"Auch aus Gerechtigkeitsaspekten wären Einschnitte bei existierenden Luxus- und sehr hohen Pensionen geboten", sagt Binder-Hammer: "Sie über ein Umlagesystem zu finanzieren, widerspricht der Generationengerechtigkeit sowie Fairness und ist ein maßgeblicher Faktor bei den Finanzierungsproblemen." (APA, red, 4.1.2022)