1995–2023: RIP, Internet Explorer.

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Irgendwann gegen Ende der 90er-Jahre war die Pausenhalle eines Gymnasiums im Waldviertel wie leer gefegt. Wer konnte, stand in der Schulbücherei, die wohl noch nie einen derartigen Ansturm erlebt hatte. Es herrschte Gedränge um die besten Plätze. Gleich war es so weit, der Mathematikprofessor würde den ersten PC mit Internetanschluss in der Schule einschalten. Es war auch für die Schülerinnen und Schüler der erste Kontakt mit einer Technologie, von der wir schon so viel gehört hatten – und vor der uns unsere Eltern warnten. Denn wie immer, wenn sie eine Technologie nicht verstanden, lauerte das pure Böse an jeder Ecke.

Der Mathematikprofessor war da aufgeschlossener. Entschlossen uns die neue Technologie vorzuführen, drückte er den Einschaltknopf, und nach minutenlanger gespannter Wartezeit erschien der Bootscreen von Windows 95. Auf dem Desktop lag jenes Icon, das uns die weite Welt und eine technologische Revolution versprach: der Internet Explorer. Ein Doppelklick und eine enorme Ladezeit später geschah nichts, und es herrschte Ratlosigkeit in der auf einmal viel zu klein gewordenen Bücherei: Und jetzt? Wir Kinder hatten uns eine schillernde Glitzerwelt ausgemalt, einen blinkenden Vergnügungspark, das digitale Las Vegas, aber da war: nichts. Nur ein weißer Bildschirm.

Drogen und Pornos

Auch der Herr Professor schien ein wenig ratlos zu sein, und nachdem er sich mit den Händen mehrmals nervös durch die zurückweichende blonde Lockenpracht gefahren war, stellte er eine verhängnisvolle Frage in die Runde: "Wonach sollen wir suchen?" Die Antwort konnte in den Neunzigern eigentlich nur "Nirvana", "Skateboards" oder "Die Simpsons" lauten. Die Auswahl fiel auf Letzteres, also schnell die damals populäre Suchmaschine Altavista angesurft und nach "simpsons" gegoogelt, oder besser gealtavistat. Der Professor fand tatsächlich eine Fanseite mit dem ultimativen Highlight: einem Soundclip von Granpa Simpson. Nach einigen Minuten des Wartens geschah wieder: nichts. Der Internet Explorer wollte keinen Ton von sich geben.

Und bleib bloß in deinem Software-Grab!
Foto: APA/AFP/Courtesy of Kiyoung Jung

Dann die zündende Idee des Herrn Lehrer: Wir suchen nach Ecstasy, der damals neu aufgekommenen Modedroge, vor der wir immer gewarnt wurden. Der pädagogische Ansatz verflog schnell, als sich plötzlich eine Seite auftat, die weniger mit Drogenprävention, sondern mit fleischeslustiger Ektase zu tun hatte. Was wiederum egal war, denn die Bilder luden erst gar nicht, sodass die Kinderaugen von nackter Haut verschont blieben – nicht dass es uns nicht interessiert hätte.

Toll, das war also mein erster Kontakt mit dem Internet: Abstürze, Drogen und Pornografie. Irgendwie hat sich seit damals nicht viel geändert. Nur dass heute die meisten Seiten ohne technische Probleme dargestellt werden. Das liegt aber eher an den Verdiensten von Chrome, Opera, Firefox, Safari und vielleicht noch Edge. Ganz sicher nichts dazu beigetragen hat der Internet Explorer, der schlechteste Browser der Welt, aber unser Tor zur sich ankündigenden digitalen Revolution.

Der erste Browserkrieg

Freilich gab es schon damals Alternativen: den populären Netscape Navigator. Doch Microsoft schaffte es durch Geld, die konsequente Etablierung eigener Standards und der nativen Integration des Internet Explorers ins Betriebssystem Windows, die Oberhand zu gewinnen. Der Marktanteil des Netscape Navigators sank von über 80 Prozent im Jahr 1995 auf unter vier Prozent im Jahr 2003. Der langsame, hässliche, patscherte, verbuggte und absolut uncoole Internet Explorer hatte den Sieg davongetragen.

Uns Jugendlichen war das herzlich wurscht: Ein paar Jahre später bekam auch der Computerraum in der Schule ein Upgrade, und die alten 286er wurden gegen moderne Pentium-Rechner ausgetauscht, und jeder davon besaß einen Internetanschluss. Vorinstalliert war natürlich der Browser von Microsoft und wir konnten Ende der 90er endlich sms.at, uboot.com und dubiose Chat-Seiten nutzen, sehr zum Leidwesen des vergeblich um Aufmerksamkeit ringenden Informatiklehrers.

Microsoft ist selbst am Untergang schuld

Microsoft hatte also den Browserkrieg gewonnen und tat im Großen, was der Internet Explorer auch meistens im Kleinen tat: nichts. Jenes Tool, das auf 90 Prozent aller PCs weltweit installiert war, wurde einfach nicht mehr weiterentwickelt. Nachdem Version 6 des Internet Explorers im Herbst 2001 erschienen war, setzte Microsoft den Sparstift an und löste das Entwicklerteam beinahe vollständig auf.

Fünf Jahre lang erschien keine neue Version, was natürlich für die Nutzer eine Katastrophe war, schließlich blieb die Entwicklung des Internets nicht stehen – nur der Browser kam eben nicht mehr mit. Viel schlimmer wirkte sich die Vernachlässigung des Internet Explorers aber auf die Sicherheit aus. Viren, Würmer und Schadsoftware konnten sich beinahe ungehindert verbreiten, und kaum ein Rechner blieb damals verschont.

Mitte der 2000er-Jahre fiel der Umstieg auf den Firefox nicht schwer.
Foto: HO, Reuters

Cyberattacken wie Operation Aurora zum Jahreswechsel 2009/2010 mit Angriffen auf Google, Adobe, Yahoo und Symantec waren nur durch bekannte Lücken im Internet Explorer möglich. Diese Sicherheitslöcher blieben für Monate, wenn nicht Jahre ungestopft. Das ging so weit, dass Regierungen vor der Verwendung des Browsers warnten.

Microsoft drohte aber auch noch kartellrechtliches Ungemach: Durch die marktbeherrschende Stellung witterten Marktregulatoren weltweit Handlungsbedarf, und Microsoft musste sich verpflichten, im Zuge der Windows-Installation den Userinnen und Usern andere Webbrowser anzubieten. Außerdem wurde bekannt, wie Microsoft den Konkurrenten Netscape aus dem Markt gedrängt hatte. Das alles führte zu schlechter Presse, und der ohnehin fragwürdige Ruf des Internet Explorers war spätestens Mitte der 2000er-Jahre endgültig dahin.

Der lebende Zombie

Genau in dieses Chaos stieß plötzlich die Mozilla Foundation, und dank großzügiger Spenden erschien plötzlich die Rettung in Form von Firefox. Mit großflächigen Zeitungsanzeigen wurde für den alternativen Browser geworben, und plötzlich verlor der Internet Explorer gewaltig Marktanteile. Die Konkurrenz war jung, modern, schnell und unterstützte Technologien wie HTML5 und CSS3, man konnte Tabs öffnen und von der Adresszeile aus gleich seine Lieblingssuchmaschine bedienen. Plötzlich wurde der Internet Explorer nur noch dazu verwendet, Firefox herunterzuladen.

Der Browser von Microsoft wurde zum Zombie. Da half auch der verzweifelte Versuch Microsofts nicht, den Untoten wiederzubeleben. Mitte der 2000er wurden die Entwicklerteams eilig wieder angeheuert und sollten noch einmal Marktanteile zurückholen. Doch es blieb vergeblich: Längst bekriegten sich Firefox und Chrome um die Browser-Krone. Der Internet Explorer spielte nur noch für Unternehmen eine Rolle, die keine Updates vornehmen wollten oder konnten.

Ist Ihr Computer infiziert? Die Antwort lautete zu oft: Ja. Einfallstor war der Internet Explorer.
Foto: dpa-Zentralbild/Jens Büttner

Am 14. Februar 2023 ist schließlich der Todestag für den Internet Explorer vorbestimmt. Den Support für den bald 28 Jahre alten Browser hat Microsoft schon im vergangenen Juni eingestellt. Ausgerechnet am Valentinstag 2023 wird der letzte 404-Vorhang fallen, und der Internet Explorer wird für immer von uns gehen. Er wird als Funke in Microsoft Edge weiterleben, dort darf ein kleiner Rest von ihm im Kompatibilitätsmodus die unrühmliche Aufgabe übernehmen, antike Websites und schlecht gewartete Intranet-Seiten darzustellen – als trauriger Abgesang auf eine Software, die einst die digitale Welt dominierte.

Komm bloß nicht wieder

Lieber Internet Explorer, du hast uns das Tor zur Welt geöffnet, du hast mich durch meine frühe Jugend begleitet, durch dich konnte ich mit meiner ersten Freundin chatten, Referate für die Schule einfach herunterladen, online zocken und gebrauchte Games von meinem Taschengeld kaufen. Du warst ein treuer Begleiter, aber nur, weil ich nicht wusste, was für ein fehlerhaftes, langsames und potenziell gefährliches Stück Abandonware du eigentlich bist. Jetzt ruhe in Frieden auf der ewigen Software-Müllhalde, niemand wird dich vermissen. Niemand, außer mein 12-jähriges Ich, das mag dich immer noch irgendwie – trotz all deiner Fehler. Aber bitte, komm bloß nicht wieder. (Peter Zellinger, 8.1.2023)