Über eine Million Menschen sind in Österreich armutsgefährdet. Viele, die nie an der Gefährdungsschwelle geschrammt sind, geraten jetzt ins Schleudern, weil die Fixkosten enorm gestiegen sind. Da kommt die Meldung richtig: Die Vorstände der heimischen börsennotierten Unternehmen haben heuer schon so viel verdient, wie viele Erwerbstätige im ganzen Jahr verdienen werden.

Konkret rechnet die Arbeiterkammer vor: Bei einem durchschnittlichen Stundenlohn einer solchen Vorstandsperson von 729 Euro bei einem Zwölf-Stunden-Tag dauert es nur vier Arbeitstage, um das durchschnittliche Bruttogehalt der Erwerbstätigen in Österreich (34.776 Euro) zu verdienen. "Fat Cat Day" heißt das wenig schmeichelhaft, wenn die Börsenbosse bereits das Medianeinkommen der Arbeitswelt erreicht haben.

Über eine Million Menschen sind in Österreich armutsgefährdet.
Foto: imago images/photothek/Ute Grabowsky

Alljährlich führt der Fat Cat Day zur selben Diskussion. Ist das ein Symptom enormer, sogar wachsender Ungleichheit, die letztlich das Gesellschaftsgefüge zerreißt? Die Statistik weist Österreich jedenfalls beim sogenannten Gini-Index konstant gute Werte bei der Einkommensgleichheit aus. Die Einkommensschere ist zwar groß, aber ein progressives Steuersystem und hohe Sozialleistungen sorgen für einen Ausgleich.

Also alles okay und bloß die übliche "Neiddebatte", wie die solcherart vorgeführten Großverdiener gern sagen? Außerdem seien die wahren Vermögen ja im materiellen Bestand zu finden, in Grund und Boden, Immobilien, aber nicht im Einkommen. US-Spitzenmanager würden noch viel mehr verdienen, das sei halt der Marktwert für gute Leute in diesen Positionen, regt euch ab.

Gefühl von Fairness

Solche Rechnungen und Vergleiche sind gut zu belegen, greifen aber viel zu kurz. Immerhin: Zwei Drittel haben das Gefühl, dass Österreich ein ungerechtes Land ist, erhob das Market-Institut im Dezember. Auch da gibt es schöne Rechenbeispiele, etwa dass eine Mitarbeiterin eines Lieferdienstes gut einen Tag arbeiten müsste, um sich ein Vorsprechen beim Wahlarzt zu leisten.

Da sind wir schnell bei der Frage, welche Arbeit uns was wert ist. Seit Ausbruch der Pandemie und dem Sichtbarwerden systemrelevanter, tendenziell schlechter bezahlter Arbeit nimmt die Debatte darüber Fahrt auf. Müssen wir mehr umverteilen, Spitzengagen limitieren? Das ist gut so, weil nicht ein nüchternes Zahlenwerk zur Gerechtigkeit die Gesellschaft zusammenhält, sondern das Gefühl von Fairness. Und das ist sichtlich beschädigt – zu sehen an der Pflegedebatte oder der Elementarpädagogik mit ihren krassen Mangelerscheinungen.

Rein rechnerisch sind wir von gefährlichen sogenannten Kipppunkten weit entfernt. Es braut sich allerdings bei anhaltendem Arbeitskräftemangel jetzt mehr zusammen als die gern beiseitegeschobene "Neiddebatte", die immer unterstellt, Menschen würden sich ausschließlich missgünstig vergleichen wollen. Tatsächlich wird für viele die Frage immer drängender: Was bin ich wirklich wert in der Arbeitswelt? Das hat viel mit Sinnsuche, mit entbehrter Wertschätzung im Job und mit einer Verschiebung von Werten zu tun. Aber es hängt auch damit zusammen, welches Leben mir der monatliche Zufluss aufs Konto im Vergleich zu anderen ermöglicht.

Wenn plakative Aktionen wie der Fat Cat Day dafür sorgen, dass Politik und Sozialpartner das nicht aus den Augen verlieren, dann haben sie ihren Zweck erfüllt. (Karin Bauer, 5.1.2023)