Nicht jede Straßenbahn kommt aktuell pünktlich.

Foto: Robert Newald

Von Wartezeiten von bis zu 40 Minuten am Wochenende berichten Öffi-Nutzende etwa auf der Straßenbahnlinie 60 dem STANDARD: "Was ist da los?", schreibt ein Leser. Die 60er-Bim passiert vom Westbahnhof nach Rodaun 24 Haltestellen, es ist eine der längsten Strecken in Wien. Planmäßig benötigt die Linie dafür 37 Minuten pro Richtung. Und an gewissen Randzeiten fährt die Straßenbahn in einem Intervall von 14 Minuten.

"Bei einem Akutausfall verdoppelt sich die Wartezeit leider", sagt Wiener-Linien-Geschäftsführerin Alexandra Reinagl zum STANDARD. Und mit Ausfällen hat der Öffi-Betrieb momentan besonders zu kämpfen. Grippe, Corona und andere Krankenstände verschärften die prekäre Personalsituation in der kalten Jahreszeit zusätzlich. Jeweils 100 Straßenbahnfahrerinnen sowie Buslenker fehlen den Wiener Linien. Dazu kommen kurzfristige, krankheitsbedingte Ausfälle.

Weitere Intervallausdehnung

Um wieder zu gewohnten Wartezeiten zurückzukommen, legte Reinagl am Mittwoch einen Fünf-Punkte-Plan der Wiener Linien für "die Rückkehr zu mehr Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit" vor. Geplant ist neben einer Ausbildungsoffensive und einer Attraktivierung des Jobs im Fahrbetrieb auch eine vorübergehende Intervallausdehnung auf gewissen Strecken. Bereits seit vergangenem November verkehren die Garnituren von elf der 28 Straßenbahn- und neun der 131 Buslinien in längeren Abständen. Ab kommendem Montag, dem 9. Jänner, kommen acht Bim- und sieben Busstrecken mit verlängerten Intervallen dazu. Der normale Fahrbetrieb soll bis Herbst 2023 wieder möglich sein.

Die Ausdehnung der Intervalle soll mehr Regelmäßigkeit bringen und das Personal entlasten. Die Morgenspitze ist davon genauso wenig betroffen wie die U-Bahn. Verlängert werden die Takte vor allem auf weniger frequentierten Strecken unter der Woche ab 9 Uhr, an Samstagen ab 7 und an Sonntagen ab 10 Uhr und innerhalb schlechter ausgelasteter Zeiträume. "Rund 97 Prozent des Fahrplans bleiben unverändert", betont Reinagl.

Durch die Anpassung ergeben sich Intervallausdehnungen von 40 Sekunden (bei 6 Minuten auf 6 Minuten 40) bis maximal 2,5 Minuten (von 7,5 Minuten auf 10 Minuten) bei Straßenbahn und Bus. Die durchschnittliche Dehnung beträgt rund zwei Minuten. An Wochenenden und in der Ferienzeit verlängern die Wiener Linien dadurch bei einigen Straßenbahnlinien das Intervall von zehn auf zwölf Minuten.

Inklusive der bereits umgesetzten Anpassung von November müssen durch die aktuelle bei der Straßenbahn 49 Schichten von Montag bis Freitag an Schultagen weniger besetzt werden, das entspricht einer Leistung von 75 bis 80 Lenkerinnen und Fahrern. Zum Vergleich: Unter der Woche sind im Normalfall 840 Schichten zu besetzen.

Deutschkurse gegen Drop-out

Zwar habe man sich auf den Generationenwechsel, der aktuell für die dünne Personaldecke sorgt, bereits länger vorbereitet – zwischen 2020 und 2023 wurden die Ausbildungsplätze von 380 auf 680 fast verdoppelt. Mit einem habe man allerdings nicht gerechnet: In den vergangenen Jahren sei die Drop-out-Rate in den Fahrschulen stark gestiegen. Rund 30 Prozent der Beginnenden brechen ihre Ausbildung ab. Woran das liegt?

"Viele unterschätzen die Komplexität der Ausbildung", sagt Reinagl. Aktuell wird eine "Modernisierung" geprüft: zum einen, ob manches, was Teil der Lerninhalte ist, veraltet ist. Zum anderen werden digitale Lernformate ausgebaut. "Die Frage ist: Müssen Fahrerinnen und Fahrer genau wissen, aus welchen Bestandteilen die Straßenbahn besteht, oder müssen sie nur das kennen, was kaputt werden kann – wo es ein Lämpchen im Bedienfeld gibt, das aufleuchtet, und sie wissen müssen, was dann zu tun ist", sagt Reinagl. "Diese Dinge diskutieren wir."

Außerdem sei die Ausbildung um fünf Tage verlängert worden. "Wir haben gemerkt, dass es wenig Bereitschaft gibt, außerhalb des Schulsystems zu lernen und zu wiederholen", sagt Reinagl. Die zusätzlichen Tage sind dem Festigen des Lernstoffs mit Coaches gewidmet. Die gesamte Fahrdienstausbildung dauert je nach Vorqualifikation zwischen einem und drei Monaten.

Ebenfalls immer wieder ein Problem: die Unterrichtssprache Deutsch. Deshalb stellen die Wiener Linien Lernunterlagen in "leichter Sprache" zur Verfügung und bieten Deutschkurse als Teil der Ausbildung an. Diese dauern zehn Wochen und werden in der Arbeitszeit durchgeführt. Zusätzlich startete im Dezember auch die erste Bim-Schule ausschließlich für Frauen. Denn: Der Großteil der Fahrenden sind Männer. Um Frauen, auch jene mit Migrationshintergrund, speziell anzusprechen, haben die Frauenschulen gestartet. In der Ausbildung erhalten alle 1.900 Euro.

Für alle, die nicht in den Fahrdienst wollen, bauen die Wiener Linien zudem gerade eine neue Lehrwerkstätte. 22 Millionen Euro werden investiert sowie neue Kooperationen mit Bildungseinrichtungen etabliert.

Mehr Geld, langfristig weniger Stunden

Um den Fahrdienst zu attraktivieren, gibt es ab Jänner auch mehr Geld. Ergebnis der letzten Kollektivvertragsverhandlungen ist eine Erhöhung der Gehälter im Fahrdienst um brutto 210 Euro pro Monat. Den größeren Hebel sollen die Zulagen bilden. Hier gibt es beispielsweise Zulagen für Dienste zu weniger attraktiven Zeiten. Für jede Überstunde erhalten die Mitarbeitenden im Fahrdienst außerdem eine Prämie in der Höhe von drei Euro zusätzlich zu allen gesetzlichen Zuschlägen. Und Überstunden müssen derzeit auch geleistet werden. Auch wenn es sich nur um vergleichbar wenige handle, sagt Reinagl, würden momentan auch Überstunden angeordnet. Das kannte man bei den Wiener Linien bisher nicht. Doch anders komme man derzeit nicht über die Runden.

Langfristig wurde eine Arbeitszeitreduktion bei gleichbleibender Bezahlung vereinbart. Bis 2028 soll die Vollzeit von 37,5 auf 35 Wochenstunden reduziert werden.

Auf das Notwendigste reduzieren will Reinagl Unterbrecherdienste – also Schichten, die ein paar Stunden in der Früh erfordern und dann nach einer mehrstündigen Pause wieder Stunden am Nachmittag absolviert werden müssen.

Weiters im Fünf-Punkte-Plan: ein "Recruiting-Push". Die Werbung um Mitarbeitende bei den Wiener Linien soll 2023 intensiviert werden. Außerdem gibt es ein Programm für jene, die bereits beim Öffi-Betrieb arbeiten: Für erfolgreiche Anwerbungen sollen sie 1.000 Euro erhalten.

Ebenso wird mit externen Partnern evaluiert, welche Möglichkeiten es noch gibt, um die Personalsituation zu entspannen. Der für die Öffis zuständige Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke (SPÖ) erwartet sich durch den Plan, "dass sich die Lage nun schrittweise verbessert und der Plan der Wiener Linien, bis spätestens Herbst wieder in den gewohnt dichten Intervallen unterwegs zu sein, auch hält". Er habe bereits vor einigen Wochen die Wiener Linien beauftragt, "schnellstmöglich für einen derartigen Personalstand zu sorgen, sodass die Straßenbahnen und Busse wieder in einer hohen Zuverlässigkeit sowie in den gewohnt attraktiven Intervallen unterwegs sein können". (Oona Kroisleitner, 4.1.2023)