McCarthy hört im Kongress zu, wie die Abgeordneten abstimmen.

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Am Dienstag hatte Kevin McCarthy gleich drei Niederlagen einstecken müssen – und am Mittwoch kamen noch drei weitere dazu. In mittelweile insgesamt sechs Wahlgängen hat der Republikaner, der gern Speaker des US-Repräsentantenhauses werden will, aus der republikanischen Mehrheit in der Parlamentskammer keine Mehrheit für sich selbst machen können. Rund 20 Mitglieder seiner Fraktion verweigerten ihm auch im vierten, fünften und sechsten Wahlgang um den dritthöchsten politischen Posten der USA die Zustimmung.

Das nötige Quorum von 218 Stimmen im 434 Mitglieder zählenden Kammer bleibt damit weiter unerreicht. Angesichts der unveränderten Situation wächst nun auch unter Verbündeten McCarthys der Druck auf den Kalifornier.

Dabei hatte der Tag für ihn hoffnungsfroher begonnen als der Dienstag geendet war. Der rechte Mentor der Republikaner, Ex-Präsident Donald Trump, hatte sich doch noch zu einer Unterstützungserklärung für ihn bewegen lassen. Zuvor hatte hatte der einstige Verbündete McCarthys, der diesen zu Amtszeiten als "meinen Kevin" bezeichnet hatte, am Dienstag noch eisern, aber sehr beredt, geschwiegen. Nun aber teilte er auf seiner Plattform Truth Social in Blockbuchstaben mit, die Republikaner sollten nicht "EINEN GROSSEN ERFOLG IN EINE RIESIGE & PEINLICHE NIEDERLAGE" verwandeln.

Doch wer damit gerechnet hatte, dass McCarthys weit rechte und rechtsradikale Gegner in der Partei sich dadurch zu einer Zustimmung bewegen lassen, wurde schnell eines Besseren belehrt. Denn Folgen auf deren Stimmverhalten hatte die Empfehlung keine, wie schon nach Wahlrunde eins gegen 18 Uhr unserer Zeit ersichtlich wurde – und was womöglich auch ein weiteren Indiz für den sinkenden Einfluss des ehemaligen Staatschefs in seiner Partei gewertet werden kann.

DER STANDARD

"Ich bleibe, bis wir siegen!"

Kläglich scheiterten auch McCarthys Versuche, die Demokraten zu einer konstruktiven Stimmenhaltung zu bewegen. Damit würde das nötige Quorum sinken und McCarthy mit weniger als 218 Stimmen zum Speaker gewählt werden können. Die Demokraten aber erklärten, sie stünden für solche Manöver der Republikaner nicht zur Verfügung, sie würden mit ihren 212 Stimmen in der Kongresskammer geschlossen gegen einen solchen Antrag und danach bei der Speaker-Wahl erneut für ihren Fraktionschef Hakeem Jeffries stimmen. Rückendeckung bekamen sie von Parteifreund und US-Präsident Joe Biden: Der innerparteiliche Machtkampf der Republikaner sei "peinlich", man gebe damit auf der Weltbühne "kein gutes Bild" ab.

Also blieb McCarthy nichts anderes übrig, als mit aufgesetzt fröhlicher Miene das Plenum zu betreten, Hände zu schütteln, demonstrativ über lahme Witzchen beim Smalltalk zu lachen – und sich dann auch in den Runden fünf und sechs der unvermeidbaren Niederlage zu stellen. Denn er hatte ja tags zuvor versichert: "Ich bleibe, bis wir siegen!"

McCarthy muss zunehmend erkennen: Egal, wer aus der eigenen Fraktion gegen ihn aufgestellt wird, dieser Kandidat ist bloß eine Marionette. Eine, die einfach nur die absolute Mehrheit zunichte machen soll. Dass ein solches Verhalten undemokratisch sei, das richtete zu Sitzungsbeginn McCarthy-Unterstützer Mike Gallagher aus Wisconsin den parteiinternen Kontrahenten recht deutlich und unverblümt aus: Ohne Speaker keine Konstituierung des Repräsentantenhauses – und damit auch kein funktionierender Kongress, keine funktionierende Gesetzgebung. Das Volk habe durch die Wahl im November aber gesprochen – die Abgeordneten mögen sich also diesem Wunsch des Souveräns entsprechend verhalten.

Streit mit Scharfmachern

War es am Dienstag in den Pausen noch ruhig und besonnen zugegangen, so verwandelte sich der Plenarsaal am Mittwoch nach dem abermaligen ergebnislosen Votum in einen Marktplatz hektischer Streitgespräche. Der Texaner Chip Roy und Matt Gaetz aus Florida aus der Riege der ultrarechten Scharfmacher debattierten energisch mit Entsandten aus McCarthys Lager. Überall redeten Abgeordnete eindringlich auf andere ein – nur selten sah man jemanden lässig zurückgelehnt dem Treiben zusehen oder gar unbeschwert scherzen. McCarthy soll mittlerweile auch bei der letzten Forderung seiner Gegner eingeknickt sein. Er ist offenbar bereit, im Fall seiner Wahl die parlamentarischen Regeln so zu ändern, dass bereits ein einziger Abgeordneter seiner Partei ein Misstrauensvotum gegen ihn in Gang bringen kann. Zudem sollen mehr Vertreter des ultrarechen Flügels in Parlamentsausschüsse berufen werden.

Nach einer mehrstündigen Pause und erfolglosen Verhandlungen hinter den Kulissen einigte sich das Haus am Abend (Ortszeit) auf eine Vertagung bis Mittag am Donnerstag (18 Uhr MEZ). Der entsprechende Antrag wurde nur ganz knapp angenommen. Wie es dann weitergeht, ist offen. Einerseits könnten die Zugeständnisse des Kandidaten einige aus dem ultrarechten Flügel zur Aufgabe ihres Widerstandes bewegen. Andererseits wächst auch auf McCarthy der Druck aus dem Lager seiner Unterstützter. Wenn es ihm nicht gelinge, zumindest am Donnerstag ausreichende Unterstützung zu erlangen, solle er einem anderen Kandidaten eine Chance geben, hieß es dort laut Berichten von US-Medien hinter vorgehaltener Hand immer wieder. Freilich ist auch unklar, welcher Republikaner denn sonst eine ausreichende Mehrheit seiner Fraktion hinter sich versammeln könnte.

Vorerst bleibt das in der Rangfolge dritthöchste Amt der USA weiter unbesetzt – und das Repräsentantenhaus als Parlamentskammer ausgeschaltet. Dadurch tritt ein Fall ein, mit dem das Land in seiner Geschichte bisher sehr selten konfrontiert war: Sollte es zu einem – sehr unwahrscheinlichen– Fall kommen, in dem sowohl Präsident Joe Biden als auch dessen Stellvertreterin Kamala Harris ihr Amt nicht wahrnehmen können, würde laut der Verfassung nun die Chefin des Senats pro tempore, zum Zuge kommen. Diesen Posten hat derzeit die Demokratin Patty Murray aus Washington inne. (Gianluca Wallisch, Manuel Escher, 4.1.2023)