Eines der römischen Mausoleen unter der großen Peterskirche.
Foto: AP Photo/Fabbrica di San Pietro in Vaticano, HO

Wir leben in ungewöhnlichen Zeiten. In den letzten Jahren beherbergte der Vatikan zwei Päpste, und keiner davon wohnte in den ihm zugedachten prunkvollen Gemächern des apostolischen Palastes. Der amtierende Franziskus weigert sich nach wie vor, aus dem Gästehaus auszuziehen, das eigentlich für die Kardinäle während der Papstwahl gedacht ist, während Benedikt XVI. seinen Lebensabend ein paar hundert Meter weiter im Inneren der vatikanischen Gärten verbrachte, im Kloster Mater Ecclesiae gleich neben Radio Vatican, das er ohne Erlaubnis seines Nachfolgers nicht verlassen durfte.

VIDEO: Trauerfeier für Benedikt XVI.
DER STANDARD

Nach dem Tod des umstrittenen Papstes übersiedelten seine sterblichen Überreste nun an einen Ort, der mit Leichtigkeit als außergewöhnlichster des an außergewöhnlichen Orten nicht armen Vatikanstaats gelten kann. Unter dem Petersdom, unmittelbar unter den Steinplatten des Bodens, liegt eine verborgene Welt, die nur wenige Menschen je zu Gesicht bekommen. Wir haben es dennoch versucht.

Schnell wird klar, dass hier eigene Gesetze gelten: Für die Verwaltung der Stätte sind nicht die benachbarten Museen, sondern das vatikanische Ausgrabungsamt zuständig, die archäologische Behörde des Kirchenstaats. Ein Anruf bei einer Nummer mit vatikanischer Vorwahl ergibt, dass ein Antrag für eine Besichtigung per Fax eingereicht werden soll. Mangels Zugangs zu einem Faxgerät einigen wir uns auf eine E-Mail. Die Zuweisung des Besichtigungstermins erfolgt vonseiten der Behörde, der Rest der Reise hat sich daran zu orientieren.

Einreise in den Vatikanstaat

Frühmorgens muss zur Linken des Petersdoms eine Sicherheitsschleuse der Gendarmeria Vaticana durchlaufen werden, bevor wir uns zum Grenzposten begeben, wo ein junger Schweizer Gardist in bunter Uniform uns Zugang in den Vatikan gewährt. Wir lassen das Deutsche Kolleg mit seinem malerischen Garten hinter uns und finden uns vor einer kleinen Tür zwischen Petersdom und dessen Sakristei wieder. Das winzige Büro gehört zum Ausgrabungsamt, wo die Anmeldung erfolgt. Eine Rückfrage bestätigt, was wir schon vermutet hatten: Fotos? Sind leider nicht erlaubt.

Eine Archäologin des Vatikans empfängt die kleine Gruppe, die zwischen monumentalen Gebäuden auf die Besichtigung wartet. Der Weg führt durch die mehrere Meter dicke Seitenmauer ins Innere des Doms. Es ist eine Reise in die Vergangenheit: Vor dem heute bekannten Dom Michelangelos und Berninis stand an dieser Stelle eine ältere Basilika, deren Grundmauern hier noch erkennbar sind. Von dem niedrigen Raum, der ein Modell der früheren Peterskirche enthält, geht es eine schmale Treppe hinab zu einer Glastür, die sich elektrisch öffnet. Sofort schlägt einem warme, feuchte Luft entgegen. Dahinter liegt ein Ort, den es eigentlich gar nicht geben dürfte.

Gärten der Kaiserin

Der Vatikan lag in antiker Zeit außerhalb der Stadtmauern. Auf dem Hügel befanden sich die Gärten der Gattin des Kaisers. Unzählige Marmorstatuen in den vatikanischen Museen und in den Gärten selbst zeugen heute noch davon. Am Fuß des Hügels befand sich die private Pferderennbahn des Kaisers Caligula, genau an der Stelle, wo nun das Ausgrabungsamt seine Pforte hat. Hier befand sich ursprünglich auch der nun auf dem Petersplatz stehende Obelisk. Nicht weit davon wurde später ein Friedhof angelegt. Die Totenstadt bestand aus niedrigen Mausoleen mit römischen Kapitellen, in denen betuchte römische Familien ihre Toten beerdigten.

Grund- und Aufriss der römischen Nekropole unter dem Petersdom.
Bild: AP Photo/Fabbrica di San Pietro in Vaticano, HO

Dieser Friedhof ist der eigentliche Grund, warum der Dom hier steht. Laut Überlieferung wurde nämlich der Apostel Petrus im nahen Circus des Nero hingerichtet und unweit davon in einem simplen Erdengrab bestattet. Schon bald begann sich um das Grab ein Kult zu entwickeln. Auf der vermeintlichen Position wurde eine Gedenkstätte errichtet, die später in die erste Peterskirche Kaiser Konstantins integriert wurde. Die an dieser Stelle befindliche Totenstadt wurde allerdings nicht eingeebnet, stattdessen füllte man das Gelände mit Erde auf. Nur die Dächer der Mausoleen wurden abgetragen.

Über Jahrhunderte gab es keine ernsthaften Zweifel an der Erzählung, dass die Kirche, die das Zentrum des katholischen Glaubens bildet, auf dem Grab von Petrus stand. Doch in neuerer Zeit wurde diese Doktrin infrage gestellt. Für Papst Pius XII. war das Grund genug, aktiv zu werden. In den 40ern begannen Grabungen unter dem Petersdom.

Ausgegrabene Totenstadt

Wer durch die Glastür tritt, kann das Ergebnis dieser Bemühungen bestaunen. Es handelt sich um eine perfekt erhaltene römische Totenstadt. Was heute die Anmutung von Katakomben hat, war früher eine schmale Gasse unter freiem Himmel. Die Decke besteht aus Metall, wir sind hier unter dem Kirchenschiff. Nun ist auch klar, warum der Zugang reguliert wird. Auf engem Raum bewegt sich die Gruppe vorwärts. Es gibt Gräber von Erwachsenen und Kindern, Bereiche, die noch nicht ausgegraben sind, und einige prunkvolle Sarkophage. Einer davon ist von besonderem Interesse: Die Inschrift legt nahe, dass es sich bei dem hier Bestatteten um einen Christen handelte. Das ist von großer Bedeutung, denn eigentlich ist nicht klar, warum der Apostel Petrus auf einem traditionellen römischen Friedhof bestattet wurde. Einige der hier Beerdigten waren offenbar zum noch jungen Christentum konvertiert, so die Interpretation. Kreuze und andere christliche Symbole fehlen allerdings.

Der Grund, warum man beim Vatikan Zugang zu dieser sensiblen Stätte gewährt, ist aber ein anderer. Die Grabungen, die nur von eigenen Archäologen des Vatikans durchgeführt wurden – ein Gegenstand von Kritik –, verfolgten keine rein wissenschaftlichen Ziele. Es ging um nichts Geringeres als das Überprüfen der Legende um das Petrusgrab.

Ein Relief aus dem Valeri-Mausoleum in der Nekropole, das in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts unter Kaiser Marc Aurel erbaut wurde.
Foto: AP Photo/Fabbrica di San Pietro in Vaticano, HO

Als wir weitergehen, sehen wir Säulen, die zu der ursprünglichen Gedenkstätte gehören, die sich direkt unter dem Altar des Petersdoms befindet. Auf diesen Bereich konzentrierten sich die Grabungen ursprünglich. Um die Statik des Doms nicht zu gefährden, wurde zuerst ein Tunnel in die Tiefe getrieben, um sich dann von unten zum Altar hin vorzuarbeiten. Und dabei fand das Grabungsteam tatsächlich ein einfaches Erdengrab, wie es die Legende beschreibt. Einziges Problem: Das Grab war leer. Waren die Gebeine fortgebracht worden?

Skelett ohne Füße

Die Geschichte, die man beim Vatikan erzählt, ist einigermaßen komplex. Bei den folgenden Untersuchungen wurden etwas über dem Grab, in einer Mauernische der ersten Gedenkstätte, Gebeine entdeckt, die in ein prunkvolles Gewand gewickelt waren. Bei dem Skelett fehlten interessanterweise die Füße. Das ergibt Sinn, denn Petrus wurde mit dem Kopf nach unten gekreuzigt und um den Leichnam abzunehmen, könnte man die Füße entfernt haben. Auch die Inschrift "PETR" auf der Mauernische deutet darauf hin, dass es sich um Petrus handeln könnte.

Als wissenschaftlicher Beweis kann diese Argumentationskette kaum gelten. Auch die vatikanische Archäologin wählt ihre Worte mit Bedacht, als sie von der Geschichte der Knochen erzählt. Sie beschreibt die Schlussfolgerung als offiziellen Standpunkt des Vatikans, nicht mehr. Übrig bleibt das, was in der christlichen Glaubenswelt so oft als Endpunkt schwieriger Fragen dient: ein Mysterium. Die Gebeine selbst wurden jedenfalls wieder an ihren Fundort zurückgebracht, sie sind durch eine Lücke zwischen antiken Mauerresten zu erahnen, ein Laserpunkt signalisiert ihre Stelle.

Wir verlassen die Totenstadt in Richtung offener, hellerer Räume, den vatikanischen Grotten, die einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich sind. Hier befinden sich die Gräber der späteren Päpste, Sarkophag an Sarkophag aneinandergereiht, jeder von ihnen mit einem kleinen Hinweisschild versehen, das seltsam verknappt zwei, drei Leistungen eines Papstlebens aufzählt. So liegen sie hier in unmittelbarer Nähe zu ihrem Vorgänger.

In dieser Gruft ist ein Grab freigeworden, nachdem Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen wurde und in ein Ehrengrab oben in der Kirche übersiedelt ist. In diesem freien Grab wollte Benedikt XVI., der sich selbst einen "einfachen Arbeiter auf dem Weinberg des Herrn" nannte, bestattet werden. Und so ist es schließlich geschehen. (Reinhard Kleindl, 5.1.2023)