Eines von vier Kraftwerken, mit denen die Firma Riess Energie für ihr Emaille-Werk produziert.

Foto: Riess

Julian Riess nimmt es eher gelassen, wenn auf den Energiemärkten wieder einmal Chaos herrscht. Dabei ist er in einer eher energieintensiven Branche tätig: Sein Unternehmen, das seinen Nachnamen trägt, verschmilzt Töpfe und Geschirr bei 850 Grad mit buntem Glas. Das Ergebnis lässt sich in jeder gut ausgestatteten Großelternküche begutachten – und zunehmend auch wieder in den Wohnungen jüngerer Generationen. Das pastellfarbene Emaillegeschirr von Riess hat Kultstatus.

Produziert wird in Ybbsitz im Mostviertel, der Strom für die Manufaktur kommt zum Großteil aus insgesamt vier eigenen Wasserkraftwerken in der Nähe des Firmensitzes. Julian Riess führt das Unternehmen mit Cousin Richard und Cousine Susanne bereits in neunter Generation. Dass die noch immer andauernde Energiekrise in Europa das Unternehmen nur am Rande berührt, liegt daran, dass seine Vorfahren bereits viel früher auf eine Energiekrise reagiert haben. Nein, nicht die Ölkrise in den 1970er-Jahren – noch früher.

Umstellung von Kohle auf Strom

Bereits seit 1922 wird in Ybbsitz Emaillegeschirr produziert. Damals wurde in den Öfen noch Kohle verheizt. Doch in den 1920er-Jahren schloss das Bergwerk, von dem das Riess-Werk die Steinkohle bezog. "Damals hat man sich gefragt: Wie kann man einen Ofen noch beheizen?", sagt Riess. Gas gab es schließlich noch nicht, ebenso wenig wie ein zuverlässiges Stromnetz. Letztlich fiel die Wahl trotzdem auf elektrisch beheizte Öfen, der Strom sollte aus Wasserkraftwerken an der nahegelegenen Ybbs kommen – und von da kommt er bis heute.

Neben der günstig selbst produzierten Energie wirkte sich die Umstellung auf Stromöfen auch auf die Qualität aus. Denn zuvor verschmutzten Rußpartikel aus der Kohleverbrennung das Geschirr.

Der Preisverfall der erneuerbaren Energien macht die Eigenproduktion erschwinglich.
Foto: APA/AFP/JAVIER SORIANO

Die Lösung war der damaligen Not der Stunde geschuldet. "Ich weiß aber nicht, ob wir das später auch noch gemacht hätten", gibt Riess zu. Schließlich kam irgendwann der Netzanschluss – ein eigenes Kraftwerk hätte sich dann wohl nicht mehr ausgezahlt. "Aber wir haben diese Kraftwerke immer gehegt und gepflegt", sagt Riess.

Heute sei man froh, sie zu haben – aber auch über den Anschluss ans Stromnetz. So könnte man einerseits günstige Energie aus dem Kraftwerk beziehen, bei Niedrigwasser oder Spitzenlasten aber auch Strom aus dem Netz nutzen. Nachts und bei Betriebsurlaub speist Riess Energie ins Netz ein.

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Die Firma Riess mag mit ihrem frühen Interesse für die Selbstversorgung zwar eine Ausnahme sein. Dass Unternehmen ihre Energie selbst produzieren, ist grundsätzlich aber nicht neu. Unternehmen wie die ÖBB oder die Voest besitzen bereits seit Jahrzehnten eigene Kraftwerke, um die enormen Mengen an Energie, die sie verbrauchen, aufzubringen. Mit dem Preisverfall bei Photovoltaik und Windkraft und teurer werdendem Netzstrom wird die Selbstversorgung aber auch für immer mehr mittlere und kleine Unternehmen eine Option.

Beim Interessenverband Photovoltaik Austria nimmt man etwa von Unternehmen eine stark gestiegene Nachfrage nach Solaranlagen wahr. Wer bereits Paneele auf dem Dach hat, schaut sich nach weiteren Flächen abseits der Gebäude um, etwa Parkplätzen oder Freiflächen.

Steigendes Interesse

Auch bei Kleinwindanlagen gibt es laut IG Windkraft ein gesteigertes Interesse. Doch auch die Genehmigung und Errichtung eines kleinen Windrades zur Eigenversorgung sei ein langwieriger Prozess, sagt Stefan Moidl von IG Windkraft. Eher würden Unternehmen dazu übergehen, Strom mittels sogenannter Power Purchasing Agreements (PPA) direkt vom Erzeuger zu beziehen.

Selbst kleine Windkraftanlagen aufzustellen ist kein leichtes Unterfangen.
Foto: iStockphoto

In Zukunft könnte die Rolle von Unternehmen als Energieerzeuger noch größer werden. Denn bisher konnten Firmen – wie auch Privathaushalte – Überschussstrom nur zu einem eher unattraktiven Einspeisetarif an das öffentliche Netz liefern. Das änderte sich vor rund einem Jahr, als Österreich die gesetzliche Grundlage für sogenannte Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften schuf.

In diesen können sich Haushalte, Unternehmen und Gemeinden auf verschiedene Arten zusammenschließen – und etwa den Strom ihrer eigenen Photovoltaikanlagen teilen. Zu welchem Preis und zu welchen Bedingungen die Energie untereinander ausgetauscht wird, können Energiegemeinschaften frei bestimmen. Gewinn zu machen darf nur nicht Hauptzweck des Zusammenschlusses sein.

Netzkosten sparen

Da dabei die überregionalen Netze entlastet werden, sparen sich die Teilnehmenden einen Teil der Netzkosten – je nach Nähe zwischen 28 und 64 Prozent. Wer bei einer Energiegemeinschaft mitmacht, bleibt Kunde oder Kundin bei seinem oder ihrem Stromversorger – zu Blackouts kommt also selbst dann nicht, wenn die Gemeinschaft zu wenig Energie produziert.

Die Druckerei Roser in Salzburg teilt ihren Sonnenstrom mit Haushalten in der Umgebung.
Foto: Druckerei Roser

Die Druckerei Roser in Salzburg war das erste Unternehmen Österreichs, das eine solche privatwirtschaftlich initiierte Energiegemeinschaft gegründet hat. Vierzig Prozent ihres Stroms bezieht die Firma nun über die eigenen Solardächer. An besonders sonnigen Tagen oder wenn an Wochenenden die Druckmaschinen stillstehen, liefert das Unternehmen die überschüssige Energie an derzeit vier Haushalte in der Nähe.

Alles verbunden

Bei dieser Zahl soll es vorerst auch bleiben – auch wenn es viel mehr Interessenten gebe. "Das war alles extremst mühsam", sagt Geschäftsführer Peter Buchegger. Zu der komplizierten Abrechnung und rechtlicher Unsicherheit kam noch ein Streit mit dem Netzbetreiber. "Aber es muss Leute geben, die das vorantreiben", sagt Buchegger.

Langfristig sollen Unternehmen noch stärker in das Energienetz eingebunden werden – durch die sogenannte Sektorkopplung. Bei Stromüberschuss könnten Unternehmen dem Netz etwa Elektrizität entnehmen und in Wasserstoff umwandeln. Betriebe, die viel Abwärme produzieren, vom Serverzentrum bis zur Bäckerei, könnten diese etwa in Fernwärmenetze einspeisen. Haushalte, Unternehmen, Kraftwerke – sie alle sollen in Zukunft noch weiter ineinander verzahnt werden.

Julian Riess plant für seine Emailleproduktion derzeit, abgesehen vielleicht von einem Solardach, kein neues Kraftwerk. "Wir arbeiten mit dem, was wir haben", sagt Riess. Denn mindestens so wichtig, wie Energie erneuerbar zu produzieren, sei es, diese effizient einzusetzen. (Philip Pramer, 7.1.2023)