Lauren Boebert und Matt Gaetz zählen zur Speerspitze jener Republikaner, die Kevin McCarthy als Speaker-Kandidaten ihrer Partei ablehnen.

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Als "my Kevin" hat Donald Trump den nunmehrigen Kandidaten für den Vorsitz des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, einst bezeichnet. Das sollte zweierlei ausdrücken: einerseits eine gewisse Vertrautheit, andererseits aber auch die Formbarkeit des kalifornischen Abgeordneten nach den eigenen Wünschen. McCarthy entsprach, zumindest meist. Nach dem Putschversuch von Trump-Anhängern am 6. Jänner 2021 ging er zwar kurz auf Distanz. Wenig später aber reiste er schon wieder nach Mar-a-Lago, um vor Trump seinen Kotau zu machen.

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McCarthy, einst Mainstream-Republikaner, ist längst zu einem verlässlichen Vertreter der Maga-Linie geworden. So sieht es auch Trump, der am Donnerstag seine Unterstützung für McCarthys Kandidatur als Sprecher des Repräsentantenhauses ausdrückte. Die Partei solle, schrieb er in Großbuchstaben auf seine Plattform Truth Social, nicht "EINEN GROSSEN ERFOLG IN EINE RIESIGE & PEINLICHE NIEDERLAGE" verwandeln. McCarthy werde "einen guten Job machen, und vielleicht sogar EINEN GROSSARTIGEN – WARTET ES AB!"

Genützt hat es, wie die folgenden Ereignisse zeigten, nichts. McCarthy verlor auch den vierten, fünften und sechsten Anlauf für die Wahl ins Speaker-Amt. Gescheitert ist er einmal mehr an einer Gruppe meist extrem rechter Republikaner, die ihm nicht ausreichend zutrauen, ihre Interessen zu vertreten – egal was Trump ihnen empfehlen mag. "Sad!", sagte etwa Matt Gaetz, Krawall-Abgeordneter aus Florida, auf die Nachfrage des Senders Fox News Digital, ob er mit seinem Wahlverhalten nicht mit Trump über Kreuz liege. "Auch wenn mein Lieblingspräsident uns anruft und zum Aufhören drängt, denke ich eher, dass es umgekehrt sein sollte", sagte seine Kollegin aus Colorado, die Waffenfreundin Lauren Boebert, in einer Rede. "Der Präsident sollte Kevin McCarthy anrufen und ihm sagen, Sir, Sie haben nicht ausreichend Stimmen und sollten sich zurückziehen."

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Was aber genau sind diese Interessen, und was wollen die rund 20 Mandatarinnen und Mandatare, denen McCarthy nicht rechts genug ist? Was also könnte er ihnen anbieten? Das alles versucht auch McCarthy selbst gerade herauszufinden, denn im Tausch für das Amt wäre er durchaus zu weiteren Zugeständnissen bereit. Allerdings: Welche Wünsche er den Parteirebellen noch erfüllen müsste, ist gar nicht so leicht herauszufinden.

Zumal es nicht nur um Inhaltliches zu gehen scheint oder um Dinge, die ein Sprecher des Repräsentantenhauses liefern könnte. Vielmehr geht es für viele der aktuellen Neinstimmen um einen demonstrativen Akt und eine Zurschaustellung der Antipolitik, die sie verkörpern. Sie sind Teil des sogenannten "Freedom Caucus", einer Gruppe ultrarechter bis rechtsextremer Abgeordneter, die in der Ablehnung des Wahlergebnisses von 2020 vereint sind und auch darin, dass sie ihren Job vor allem der Wahlempfehlung Trumps verdanken. Sie lehnen auch McCarthy als Person ab, weil dieser, im Gegensatz zu ihnen, schon seit Jahren im Repräsentantenhaus sitzt und weil sie ihn als Wendehals erkannt haben. Und sie eint, dass sie auch nicht am Funktionieren des US-Parlaments interessiert sind, sondern daran, es als Bühne für die Zurschaustellung ihrer Gedankenwelt zu nutzen.

Ein Speaker am seidenen Faden

Dennoch gibt es Punkte, in denen McCarthy den Rebellen weiter entgegenzukommen bereit ist. Schon im Vorfeld hat er beim ihm nahestehenden Club for Growth vorgesprochen, einer Organisation für konservatives Lobbying und niedrige Steuern, die republikanische Kandidaten ihrer Wahl mit Wahlspenden unterstützt. Dieser hat danach angekündigt, in Vorwahlen keine weniger extremistischen Kandidaten zu unterstützen, wenn ein Wahlkreis aktuell schon von den Republikanern gehalten wird.

Zudem will McCarthy mehr extrem Rechte in Ausschüsse berufen. Und darüber hinaus ist er auch zu einem Schritt bereit, der ihm selbst im Fall einer Wahl das Leben äußerst schwer machen wird: Nur eine einzige Abgeordnete soll künftig reichen, um eine Vertrauensabstimmung über den Speaker in Gang zu setzen. McCarthys Amt hinge damit ständig am seidenen Faden, ein falscher Schritt könnte in seine Abwahl münden.

Gemäßigter Trump unglaubwürdig

Dafür, dass Trumps Aufforderung aber so gar keine Folgen hat, gibt es mehrere Erklärungsmodelle. Zum einen die allgemeine Schwächung seiner Position in der Partei. Ob diese Idee hier greift, ist aber fraglich. Denn geschwächt ist der Ex-Präsident ja, weil die von ihm handverlesenen extremistischen Kandidatinnen und Kandidaten in vielen Wahlkreisen gegen zentristische Demokraten verloren. Dass die selbst radikalen Abgeordneten aus dem "Freedom Caucus" den Ex-Präsidenten aber zur Mäßigung aufrufen wollen, ist nicht plausibel.

Bleibt also Erklärvariante zwei, die die "Washington Post" am Donnerstag vorstellte: Die Abgeordneten gehen davon aus, dass es kaum Trump-Wähler gibt, die am parlamentarischen Geschehen besonders interessiert sind oder die stark an McCarthy hängen. Zudem glauben viele nicht, dass Trump den Kandidaten aus Überzeugung unterstützt – denn Mäßigung, wie gering sie auch ausfallen mag, zählt ja gewöhnlich nicht zum bekannten Programm Trumps. Das politische Risiko, deshalb von ihrer eigenen Basis angegriffen zu werden, ist für sie also gering. McCarthy wird wohl noch einige Arbeit bevorstehen, will er sie überzeugen. (Manuel Escher, 5.1.2023)