Die Branche steht vor einer neuen Ära, für die es erst eine Perspektive zu finden gilt.

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Die Tech-Branche steht schon seit langem unter starkem Druck. Nicht nur Start-ups ringen um Investoren und sehen ihre Existenz bedroht. Auch große Konzerne kämpfen mit einbrechenden Aktienkursen und stellen tausende Mitarbeiter vor die Tür. Sorgte im November des Vorjahrs noch Facebook-Mutter Meta mit der Entlassung von 11.000 Mitarbeitern für Aufsehen, steht nun Amazon vor dem größten Stellenabbau seiner Geschichte. Die Folgen wirtschaftlicher Unsicherheit und zunehmender Regulierung zeigen: Die Branche steht vor einer neuen Ära, für die es erst eine Perspektive zu finden gilt.

Wirtschaftliche Unsicherheit

Es war der nächste Paukenschlag in der Tech-Branche, der sich so drastisch nicht angekündigt hatte: Ging man im November noch von 10.000 Jobs aus, die der Onlinehändler Amazon streichen würde, sind es nun 18.000. Von den rund 300.000 Beschäftigten in der Verwaltung des Unternehmens fallen also gleich sechs Prozent weg. Es ist nur ein prominentes Ausrufezeichen einer Entwicklung, die schon seit Monaten im Gange ist.

Große Namen wie Meta, Intel, Microsoft, Twitter, Hewlett-Packard, Seagate, Salesforce und Micron reihen sich in eine lange Liste von Tech-Unternehmen ein, die sich auf harte Zeiten einstellen, den Gürtel enger schnallen – und dabei auch beim Personal den Rotstift ansetzen. War man jahrelang die Schlagzeilen stetiger Expansion und wirtschaftlichen Aufschwungs von der Branche gewohnt, die nach der letzten Wirtschaftskrise 2008 eingesetzt hatten, sorgt die steigende Inflation nun für eine schmerzhafte Unterbrechung.

Zunehmender Regulierungsdruck

Hinzu kommt, dass die EU für die Tech-Branche zunehmend umzusetzen beginnt, was sie am liebsten tut: regulieren. Es ist bezeichnend, dass man "Ordnung im Wilden Westen" schaffen wolle, wie es ein EU-Parlamentarier im Zuge der Einigung auf eine Reform für den Markt von Krypto-Assets formuliert hat. Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch beim Kernstück der europäischen Digitalstrategie ab: Der Digital Markets Act und der Digital Services Act setzen neue Spielregeln für das Internet fest. Regeln, die eben nicht zugunsten dominanter Tech-Plattformen erstellt worden sind.

Zudem kommen laufend Strafen hinzu, die die Unternehmen von der EU aufgebrummt bekommen. Zuletzt wurde der Facebook-Konzern Meta 390 Millionen Euro Strafe wegen illegaler Datennutzung verurteilt. Eines seiner Geschäftsmodelle, personalisierte Werbung auszuspielen, steht somit in dieser Form de facto vor dem Aus. Auch Apple wurde neulich eine Millionenstrafe in Frankreich in Aussicht gestellt, weil das Unternehmen örtliche Datenschutzgesetze im App Store gebrochen haben soll. Die größte Erfahrung dürfte in diesem Bereich aber Google haben: In den letzten Jahren musste der Tech-Riese mehr als acht Milliarden Euro an EU-Kartellstrafen zahlen.

Mit bevorstehenden Regulierungen für den Kryptomarkt und für künstliche Intelligenz nimmt die EU zwei weitere Bereiche ins Visier, die den Spielraum der Tech-Branche tendenziell einengen dürften. Ob und inwieweit die Europäische Union in der Sache recht hat, mag Anlass für eine weitere Analyse sein, aber der entscheidende Punkt in diesem Zusammenhang ist, dass diese Bestrebungen das ohnehin schon angespannte Umfeld nicht auflockern werden. Eher das genaue Gegenteil wird der Fall sein.

Experimentierfreude pausiert

Mit hohen Zinssätzen und dem langsamen Versiegen endloser Geldmittel durch die wirtschaftliche Krise ist auch die Finanzierung von Risiken zurückgegangen – Risiken, die notwendig sind, um das nächste Kapitel in der digitalen Entwicklung aufschlagen zu können. Wesentliche Säulen der Digitalisierung scheinen in den Augen vieler Manager und Anleger aufgestellt und etabliert zu sein. Mit der Krise im Hinterkopf und mangels Risikokapitals setzt man derzeit daher verstärkt auf die wirtschaftliche Perfektionierung bestehender digitaler Räume. Das schließt den Abbau bestehender Jobs zum Leidwesen tausender Angestellter mit ein.

Was "the next big thing" sein könnte, etwa die zunehmende Durchwanderung unseres Alltags mit künstlicher Intelligenz, um mit Chat GPT oder Stable Diffusion nur zwei prominente Beispiele zu nennen, muss also noch auf den richtigen Durchbruch warten. Nämlich so lange, bis sich die Branche konsolidiert haben wird und für neue Experimente wieder richtig bereit ist. Die große Entlassungswelle und der Regulierungsdruck werden dann nur eine Randnotiz zwischen zwei großen Epochen digitaler Entwicklung sein. (Benjamin Brandtner, 5.1.2023)