Zu den wichtigsten Bereichen, in die investiert werden muss, gehört das Bahnnetz.
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Nicht die nächsten Wochen werden entscheidend sein, sondern die nächsten Jahre: Wenn es um Klimaschutz geht, müssen bis 2025 die größten Investitionssprünge geschehen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Metaanalyse der ETH Zürich, die untersuchte, welche Infrastrukturmaßnahmen wie stark gefördert werden müssten, um die Klimaziele der EU zu erreichen. Denn bis zum Jahr 2050 sollen in den Mitgliedsstaaten die Treibhausgasemissionen netto auf null kommen.

Den Berechnungen zufolge braucht es dafür ab sofort jährlich mindestens 302 Milliarden Euro an Investitionen in Infrastruktur bis 2025. Für ihre Analyse, die am Donnerstag im Fachblatt "Nature Climate Change" erschienen ist, zogen die Klimapolitikexpertin Lena Klaaßen und ihr Kollege Bjarne Steffen mehr als 600 Zeitreihen aus 56 Studien heran. Davon wurden 18 in Fachmagazinen mit Begutachtungsverfahren veröffentlicht.

Unklarer Weg zur Klimaneutralität

Im Vergleich mit den bisherigen Investitionen der Jahre 2016 bis 2020 wäre damit jährlich ein Plus von 87 Milliarden Euro notwendig, etwa 40 Prozent mehr. Das Ziel entspricht den Vorgaben des Pariser Klimaabkommens: Die "Nettonull-Emissionen" bis 2050 werden auch als "Klimaneutralität" bezeichnet. Das bedeutet, dass in die Luft abgegebene Treibhausgase weitestgehend zurückgefahren werden. Unvermeidliche Emissionen müssen kompensiert, also aus der Luft entfernt, werden.

Wie dies im Detail umgesetzt wird, ist unklar. Neben dem massiven und langfristigen Aufforsten von Wäldern, die Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Atmosphäre ziehen und speichern, können in geringerem Umfang auch technische Lösungen eine Rolle spielen, die größtenteils aber erst entwickelt werden müssen.

Top-drei-Baustellen

Studienautorin Klaaßen streicht heraus: "Die wichtigsten Investitionsbereiche für kohlenstoffarme Infrastrukturen in Europa sind erneuerbare Kraftwerke, Stromnetze und Eisenbahninfrastrukturen." In diesen drei Bereichen müssen jeweils 24 bis 25 Milliarden Euro jährlich hinzukommen. Generell betrachte die Metastudie aber nur den Teilbereich Infrastruktur, betont Stefan Thomas vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, der nicht an dieser Forschungsarbeit beteiligt war. Die Gesamtkosten seien damit nicht abgedeckt. Auch in anderen Bereichen seien Investitionen nötig, "insbesondere im Gebäudesektor, bei den Fahrzeugen und bei Industrieanlagen".

Fachleute bewerten die neue Metastudie als wichtige Zusammenfassung, die vor allem politischen Entscheidungstragenden Daten an die Hand gibt. Die Arbeit zeige, dass der bisherige Haushalt europäischer Staaten nicht zukunftssicher sei, betont Felix Creutzig vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin. Auch seien die notwendigen Investitionen umsetzbar, doch es fehle an politischem Willen. Wenn es wie in Deutschland 200 Milliarden Euro für eine Gas- und Strompreisbremse gebe, die großteils fossile Treibstoffe subventioniere, "dann kann es auch 87 Milliarden Euro für Zukunftsinvestitionen geben".

Höhere Preise für Verbraucher

Dass es notwendig ist, weniger in Öl- und Gasinfrastruktur zu investieren, zeigt auch die Studie. "Grundsätzlich kommt es bei Infrastrukturinvestitionen darauf an, sie erstens wirtschaftlich attraktiv zu machen – beziehungsweise überhaupt zu ermöglichen – und sie zweitens schneller zu genehmigen, dabei aber Menschen und Umwelt zu respektieren", sagt Stefan Thomas.

"Das qualitative Ergebnis – es braucht viel mehr Geld – ist in der Tat nicht überraschend", kommentiert Michael Pahle, Leiter der Arbeitsgruppe Klima- und Energiepolitik am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), die Studie, "aber die Quantifizierung ist trotzdem sehr hilfreich und relevant." Die Umsetzbarkeit der Investitionen bezieht sich in der Forschungsarbeit lediglich auf den EU Sustainable Action Finance Plan, der dafür nicht ausreicht.

Daher müsse nicht nur die Europäische Investitionsbank (EIB) ihr Finanzvolumen für direkte Investitionen erhöhen, auch auf nationaler Ebene müssen Investitionsbanken eine Rolle spielen. Dazu bräuchte es "öffentliche Investitionsbanken wie die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die es in vielen anderen Ländern jedoch nicht gibt", sagt Pahle. Daher ließe sich aus der Studie ableiten, dass die Transformation ohne höhere Preise für Verbraucher nicht funktionieren kann – auch wenn private Finanzierungen nicht im Paper diskutiert werden.

Flexible Energieversorgung und E-Mobilität

Insbesondere die Veränderungen im Energiebereich werden keine leichte Angelegenheit, verdeutlicht der Informationstechniker Martin Weibelzahl von der Universität Bayreuth. Immerhin sind erneuerbare Energien stärker vom Wetter abhängig, weshalb auch in Flexibilität investiert werden müsse: "Ohne hinreichende Flexibilität riskieren wir bei einem hohen Anteil an wetterabhängigen Erneuerbaren Energien unsere Versorgungssicherheit – und damit unsere Wettbewerbsfähigkeit sowie letztlich unseren Wohlstand."

Mit der Energiewende gehe auch eine Dezentralität einher, "denn sie findet überall statt: auf See, auf dem Land und zum Beispiel auch auf unseren (Haus-)Dächern", sagt Weibelzahl. Deshalb seien auch regionale Investitionsanreize nötig – und eine flächendeckende Digitalisierung, um etwa im Bereich der Elektromobilität die intelligente Steuerung von Ladeprozessen zu verbessern. Ein bloßes Ersetzen von Verbrennermotoren durch E-Alternativen reiche nicht aus: "Wir müssen – auch auf dem Land – neue Mobilitätskonzepte wie das Carsharing weiter ausbauen und stärken."

Striktere Klimaziele in Österreich und Deutschland

In einigen Staaten stehen noch striktere Klimaziele als die EU-Maßgabe auf dem Plan, um die globale Erwärmung – angeheizt durch Treibhausgase – und damit auch extreme Wetterereignisse einzudämmen. Österreich will etwa zehn Jahre früher klimaneutral werden, Deutschland mit 2045 fünf Jahre früher.

Die Grafik aus dem Jahr 2022 zeigt die nötige Entwicklung der Emissionen, um in Österreich bis 2040 klimaneutral zu werden.
Grafik: Oana Rotariu / Der Standard

Den aktuellen Emissionsentwicklungen in Österreich zufolge ist dieser Plan jedoch äußerst optimistisch. Noch dazu gibt es kein Klimaschutzgesetz, das seit zwei Jahren aussteht und die Schritte zu diesem Ziel festlegen soll – wenngleich Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) sich bald mit Koalitionspartner ÖVP einigen will.

In Sachen Schienenverkehr hat der Bund beschlossen, die ÖBB mit bis zu 57 Milliarden Euro für den Bahnausbau zu unterstützen, allerdings in einem großzügigen Zeitraum, nämlich über 30 bis 50 Jahre. Jährlich sind dies in den kommenden Jahren 2,5 bis 3,5 Milliarden Euro. Bis 2030 soll eine Milliarde Euro in Netz und Kraftwerke investiert werden. Auch die Deutsche Bahn benötigt hohe Summen – unter anderem, um die vielkritisierte Unpünktlichkeit im Fernverkehr und die Fahrtintervalle zu verbessern.

Global dürften die fossilen CO2-Emissionen vorläufig weiter ansteigen.
Grafik: Global Carbon Project / Der Standard

Der internationale Trend zeigt bei den fossilen Emissionen derweil nach oben – trotz Einbruchs zu Beginn der Corona-Pandemie. Dies machte zuletzt das neue Global Carbon Budget deutlich, das veranschaulicht, welche Länder einen besonders hohen CO2-Fußabdruck pro Person haben. (Julia Sica, 5.1.2022)