Wer langfristig abnehmen will, sollte auf klassische Diäten verzichten, raten Fachleute.

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Der Jahreswechsel ist vorbei, die Neujahrsvorsätze sind gefasst, jetzt geht es an die Umsetzung. Ganz oben auf der Liste steht bei vielen, wie jedes Jahr: Abnehmen. Im Jänner haben Ernährungsberaterinnen, Diätanbieter und Fitnessstudios Hochsaison, in Social Media stauen sich die garantiert am besten funktionierenden Abnehmtricks geradezu. Der schlanke Körper wird dabei vielfach als eine Art Sehnsuchtsort inszeniert, an dem, hat man ihn nur erreicht, alle Alltagsprobleme nichtig werden. Von Diäten spricht man dabei immer seltener, die sind unsexy geworden. Heute setzt man auf Detox, Intervallfasten, vegane Ernährung oder Clean Nutrition, Nahrungsmittel ohne Zusatzstoffe.

Doch egal, wie man es nennt: Bei all diesen Programmen geht es ums Schlankwerden. Das ist seit Jahrzehnten ein Dauerbrenner, "weil man über die Körperhülle Menschen kategorisiert und oft auch in bestimmte Schubladen einordnet", sagt Karin Lobner, Ernährungswissenschafterin und Psychotherapeutin. Früher ging es dabei in erster Linie um die gute Figur, seit einigen Jahren rückt auch die Gesundheit in den Fokus. Und das Thema beschäftigt mittlerweile alle, auch viele Männer achten auf ihr Gewicht. Denn man ist sich bewusst, dass mit starkem Übergewicht und Adipositas zahlreiche Folgeerkrankungen verbunden sind, von Herz-Kreislauf-Problemen über Krebs bis hin zu Depressionen.

Milliardenschwerer Markt

Dementsprechend ist die Abnehmindustrie ein milliardenschwerer Markt. In Deutschland belief sich der Umsatz von Herstellern von Diätnahrungsmitteln laut Statista Deutschland auf knapp 2,2 Milliarden Euro im Jahr 2019. Nach einem leichten, pandemiebedingten Knick sind für 2023 sogar 2,5 Milliarden Umsatz prognostiziert.

Das ist aber nur ein Bruchteil des schlankmachenden Angebots, dessen Umsatz sich europaweit sogar auf rund 100 Milliarden belaufen soll. Dieses reicht von Nahrungsmitteln, die das Abspecken erleichtern sollen, über mehrtägige Kuren, die mit Online-Unterstützung durchgeführt werden, bis hin zu mehrwöchigen Aufenthalten in Luxus-Gesundheitsresorts. Dort werden dann individuelle Programme zum Erschlanken erstellt, bei denen auch garantiert das Essen schmeckt.

Warum ist das Geschäft mit dem Schlankwerden so riesig geworden? Weil Abnehmen schwierig ist. Wobei eigentlich nicht das Abnehmen selbst das Problem darstellt: "Gewicht verlieren ist recht technisch. Rein wissenschaftlich betrachtet ist es eine sehr einfache Sache. Man nimmt weniger Kalorien zu sich, als der Stoffwechsel verarbeitet", weiß Ursula Pabst, Ernährungswissenschafterin, Buchautorin zum Thema und Expertin fürs Abnehmen. "Alle wissen theoretisch, wie sie abnehmen können, und viele schaffen das auch. Die Schwierigkeit ist, das dann erlangte Gewicht auch zu halten."

Für diese Tatsache gibt es eine Reihe von Gründen. Ein wesentlicher ist die Diversität der Menschen. Der Stoffwechsel ist gesteuert von hormonellen Impulsen, emotionalen Voraussetzungen und einer Reihe externer Faktoren, die sich bei jeder und jedem anders auswirken. Darum, betont Pabst, "funktioniert nachhaltiger Gewichtsverlust nie mit einem Pauschalprogramm, jeder Mensch braucht seinen individuellen Ansatz".

Leben im Überfluss

Dass bei immer mehr Menschen das Gewicht kontinuierlich steigt, dafür gibt es aber einige allgemeingültige Faktoren. Marc Tittgemeyer, Stoffwechselforscher am Max-Plank-Institut in Köln, sieht drei wesentliche Gründe. Der Hauptfaktor: Wir leben in einer Überflussgesellschaft. "Das ist historisch betrachtet ein relativ neues Phänomen, noch im 19. Jahrhundert gab es auch in unseren Breiten Hungersnöte." Mittlerweile steht aber jederzeit und überall Essen zur Verfügung. Die Nahrungsaufnahme ist dabei ein hedonistischer Reiz, der das Belohnungssystem anregt. So ist es möglich, dass man über den Hunger hinaus isst. Das macht biologisch absolut Sinn. Dieses Prinzip hat sich in einer Zeit entwickelt, als Jagen und Sammeln nicht täglich zum Erfolg geführt haben. "Aber heute kann uns genau das zum Verhängnis werden."

Ein zweiter Aspekt ist, dass uns hochkalorische Lebensmittel schmecken, in denen viele Makronährstoffe, also Kohlenhydrate, Proteine und Fette, auf einmal enthalten sind. Viele Süßspeisen sind so konzipiert, aber auch Soßen und Dressings. Auch dafür gibt es eine biologische Prägung: "Muttermilch ist das erste Lebensmittel, mit dem wir in Berührung kommen. Die hat aber eine sehr hohe Energiedichte", erklärt Tittgemeyer.

Der dritte Aspekt ist die Lebensmittelindustrie. Diese bietet unzählige hochverarbeitete Produkte an, die angereichert sind mit Geschmacksverstärkern, Süßstoffen, Enzymen und mehr. Das spezielle Design dieser Nahrungsmittel animiert aber regelrecht dazu, mehr davon zu essen, als einem guttut. Dass zu viele Chips und Fertigpizzen auf Dauer dick machen, ist den meisten klar. Anders sieht es bei künstlichen Süßstoffen aus, die ja als abnehmfördernd angepriesen werden. Doch deren Konsum kann den Appetit sogar steigern. Das konnte eine in Cell Metabolism publizierte Studie, die an der University of Sydney durchgeführt wurde und an der auch der österreichische Genetiker Josef Penninger beteiligt war, zeigen. Süßstoffe gaukeln dem Stoffwechsel vor, dass in einem Produkt wenige Kalorien drin sind. Tittgemeyer erklärt: "Durch den hohen Verarbeitungsgrad fällt es dem Körper aber irgendwann schwer, die Kalorien darin überhaupt noch wahrzunehmen und ein Sättigungsgefühl zu kommunizieren."

Trotzdem können einige besser, andere schlechter mit dem Überangebot an Essen in unserer Gesellschaft umgehen. Hier kommt unter anderem die Genetik ins Spiel. Denn manche Menschen nehmen von Haus aus leichter zu als andere. Mindestens so relevant sind die Hormone. Leidet man etwa an einer Schilddrüsenunterfunktion, ist es fast unmöglich abzunehmen. Weitere Einflussfaktoren für das Gewicht sind Medikamente, Schlafmenge, Umwelteinflüsse, körperliche Aktivität und psychische Faktoren wie Stress.

Strukturierter Zugang

Auch der Ausgangspunkt für die Gewichtsreduktion spielt eine Rolle. Will man nur ein paar Kilo abnehmen, gelingt das vielen mit etwas Disziplin auch langfristig ganz gut. Ist der Stoffwechsel durch starkes Übergewicht aber entgleist, wird es schwieriger. Denn prinzipiell versucht der Körper, seine Ressourcen zu verteidigen, vor allem wenn schon eine Insulinresistenz da ist. Tittgemeyer weiß: "Dann ist Abnehmen keine wirkliche Frage des Willens mehr, der Körper diktiert einfach, er will jetzt Nachschub haben." Für diese Menschen geht es erst einmal darum, wieder ein echtes Hungergefühl wahrzunehmen.

Doch wie kann das gelingen? Sehr oft klappt das tatsächlich am besten mit Unterstützung von außen. Denn auch den Abnehmwilligsten stehen oft ihre etablierten Gewohnheiten im Weg. "Und jede Person, die schon einmal versucht hat, eine Gewohnheit zu verändern, hat wohl festgestellt, wie schwer das sein kann", betont Ernährungswissenschafterin Pabst. Sie unterstützt dabei, diesen manchmal mühsamen Weg realisierbar zu machen, und sieht darin sogar etwas Bereicherndes: "Man kann dabei auch die Welt des Essens neu entdecken und es so zu einer spannenden Erfahrungsreise machen."

Am Anfang dieser Erfahrungsreise steht immer die Analyse der Ist-Situation: Warum möchte ich überhaupt abnehmen? Wie viel soll es sein? Welche Gewohnheiten muss ich ändern, um Abnehmpotenzial zu schaffen? Wann esse ich? Wenn ich Hunger habe, aus Langeweile, um mich abzulenken oder womöglich, um mich zu trösten? Und was kommt dann in den Mund?

Je klarer diese Vorstellungen sind, desto leichter fällt der nächste Schritt: die Struktur schaffen, die zum gewünschten Ziel führt. Habe ich in meinem Alltag Zeit zu kochen und wie oft? Wie viel Bewegung kann und will ich integrieren? Was schmeckt mir, was kann ich weglassen? Pabst betont: "Wichtig ist, ein Essverhalten zu entwickeln, das irgendwann automatisiert wird. Das gelingt aber nur, wenn ich mich nicht jedes Mal aufs Neue überwinden muss, sondern das auch gern tue."

Realistische Ziele

Darüber hinaus muss man sich von angelernten, vermeintlichen Wahrheiten verabschieden (siehe auch unten) und realistische Ziele etablieren. Tatsächlich passiert der Gewichtsverlust am Anfang meist recht schnell, aber vieles davon ist im Körper gespeichertes Wasser. Gerade bei Frauen schwankt das Gewicht zyklusbedingt oft um bis zu zwei Kilo. Pabst weiß: "Pro Woche ist ein Fettverlust von einem halben bis zu einem Kilo möglich. Das ist dann aber auch nachhaltig weg." Wem das langsam scheint, soll bedenken, dass sich das rasch summiert. In einem Jahr kann das 26 bis 52 Kilo Gewichtsverlust bedeuten. Wichtig ist auch, dass man in diesem Prozess nicht auf andere schielt. Denn: "Jeder Stoffwechsel ist anders. Und man kann nur mit dem eigenen arbeiten."

Kein Diätdruck

Ein weiterer Schlüssel zum Abnehmerfolg ist der Verzicht auf klassische Diäten. Natürlich nimmt man mit solchen Programmen ab, weiß Ernährungspsychologin Lobner, aber: "Jede Diät ist so aufgebaut, dass sie in irgendeiner Form einschränkt. Spätestens nach ein paar Wochen verlangt der Körper aber wieder nach den "verbotenen" Nahrungsmitteln. Diesem Verlangen nicht nachzugeben ist eigentlich unmöglich." Oft führt das sogar zu einer Überkompensation, man nimmt das mühsam verlorene Gewicht gleich wieder zu.

Es gibt aber eine Restriktion, die tatsächlich ein guter Ansatz sein kann: intermittierendes Fasten. Dieser Trend etabliert sich seit einigen Jahren immer deutlicher. Sein Vorteil ist seine einfache Umsetzung: Man hält über Nacht möglichst lange Essenspausen ein, von mindestens zwölf bis zu 16 oder sogar 18 Stunden. Verboten ist dabei im Grunde nichts, doch man isst wieder bewusster und vermeidet das abendliche Snacken und Nebenbeiessen durch die zeitliche Grenze. Ernährungswissenschafterin Pabst sieht es als gute Möglichkeit, von etablierten Gewohnheiten und eingelerntem Essensverhalten loszukommen.

Auch wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen mittlerweile für diese Ernährungsform. Eine an der University of Alabama durchgeführte Studie, die in Cell Metabolism publiziert wurde, konnte zeigen, dass sich dadurch der Insulinhaushalt bei Menschen mit Prädiabetes wieder regulieren kann. Und Stoffwechselforscher Tittgemeyer erklärt: "Das ist gerade für stark übergewichtige Menschen ein guter Zugang. Die hormonellen Signale normalisieren sich wieder, man findet zurück zu einer besseren Körperwahrnehmung, und die Entzündungsvorgänge im Körper werden weniger." Nachvollziehbar also, dass viele diese Ernährungsform als gesund wahrnehmen. (Pia Kruckenhauser, 5.1.2023)