Kanzler und Vizekanzler sind in ihre Handys vertieft: Karl Nehammer und Werner Kogler sind auf der Suche nach Antworten auf die multiplen Krisen, die uns bewegen.

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Wien – Die Klausur werde ganz sicher keinen Neustart bringen, denn diesen brauche es nicht, versichern beide Seiten recht eindringlich. Die Regierung arbeite gut und stehe weit besser da als ihr Ruf. Auch wenn die Medien Katastrophenstimmung verbreiten würden: Man sei gut durch die Krise gekommen, die Wohnungen seien warm, die Gasspeicher trotz aller Skepsis gut gefüllt. Was die Teuerung betrifft, hat die Regierung jede Menge Hilfsgelder ausgeschüttet. Insgesamt, so rechnet das Kanzleramt vor, wurde im vergangenen Jahr die Summe von 37,3 Milliarden Euro für Entlastungsmaßnahmen ausgegeben. Das ist europaweit rekordverdächtig. Aber, so muss sich die Regierung eingestehen, im eigenen Land kommt das nur unzureichend an. Da überwiegt in der Bevölkerung eine negative Stimmung.

Auf ins letzte Drittel

Mit der Regierungsklausur, die am Dienstag und Mittwoch kommender Woche in Mauerbach in Niederösterreich abgehalten wird, werde das letzte Drittel dieser Regierungsperiode eingeläutet, nicht mehr und nicht weniger. Die schwarz-grüne Koalition will ein kräftiges Lebenszeichen absetzen, aber nicht gleich ihr ganzes Pulver verschießen. Es soll eine Umsetzungs- und keine Ankündigungsklausur werden. Die Regierung will nicht nur zeigen, dass sie arbeiten kann, sondern dass sich ÖVP und Grüne auch aufeinander zubewegen können. In manchen Fragen, nicht in allen. Ein paar Reizthemen bleiben bewusst ausgespart.

Der Zustand der Koalition

Ganz oben, an der Spitze, da sei die Stimmung jedenfalls ausgezeichnet. Karl Nehammer versteht sich prächtig mit Werner Kogler, immer noch. Zwischen den schwarzen Kanzler und den grünen Vizekanzler passe kein Blatt, die zögen an einem Strang. Auch auf der Ebene darunter passe es gut, August Wöginger, Klubchef der ÖVP, kann immer noch gut mit Sigrid Maurer, die viel mehr ist als nur grüne Klubchefin. Maurer ist bei den Grünen auch für die Strategie und den großen Kommunikationsstrang zuständig, da drängt sich Kogler nicht nach vorn, und ein grünes Mastermind gibt es nicht. So sorgt Maurer dafür, dass die Stimmung nicht kippt, dass alle happy sind oder zumindest so tun. Eine Stufe darunter ist das Verhältnis zwischen den Koalitionspartnern schon deutlich kühler und von einer Stimmung zwischen Skepsis und Pragmatismus getragen. Man mag sich nicht, bemüht sich aber darüber, einander zu schätzen. Auch das gelingt nicht immer. Was aber zusammenschweißt, ist die Einsicht, dass man sich keine Neuwahlen leisten kann, dass es im Grunde nur besser werden kann. Wer jetzt den Ausstieg aus der Koalition riskiert, verliert in jedem Fall. Dann sind entweder die Freiheitlichen dran oder die Sozialdemokraten, beides ein Albtraum, je nach Sichtweise. Für die Grünen bliebe dann möglicherweise gar kein Platz mehr in der Regierung, für die ÖVP, wenn überhaupt, nur die Rolle des Juniorpartners.

Also wird den Koalitionspartnern Zuversicht verordnet, von ganz oben. Man werde jetzt etwas weiterbringen, gemeinsam. Die ÖVP wird dabei einen großen Schritt auf die Grünen zugehen, auch demonstrativ. Und dabei ein eigenes Trauma aufarbeiten.

Kampf gegen Korruption

An zwei Materien wird derzeit intensiv gearbeitet, eine davon soll bei der Regierungsklausur als Ergebnis präsentiert werden: Die ÖVP wird entweder dem neuen Korruptionsstrafrecht oder dem Informationsfreiheitsgesetz zustimmen. Entweder oder. Beides wird noch verhandelt. Bis zum Wochenende war absehbar, dass das Korruptionsstrafrecht vorgezogen wird, für das Informationsfreiheitsgesetz brauche es mehr Zeit.

Was das Korruptionsstrafrecht betrifft, liegt ein fertiger Entwurf aus dem grün geführten Justizministerium auf dem Tisch. Die ÖVP hat bisher gezögert, dem zuzustimmen, und musste sich auch viel Kritik gefallen lassen: Dass gegen maßgebliche ÖVP-Proponenten und die Partei selbst wegen Korruptionsdelikten ermittelt und gleichzeitig eine Novelle blockiert wird, macht nach außen hin einen verheerenden Eindruck. "Wir wollen natürlich, dass es hier auch zu einer Lösung kommt", bekräftigt Klubchef Wöginger. Mit der Novelle sollen im Zuge der Ibiza-Affäre sichtbar gewordene Lücken geschlossen werden. Eckpunkte sind eine erweiterte Strafbarkeit des Mandatskaufs und die Ausweitung des Amtsträgerbegriffes bei Bestechlichkeit. Es soll auch strafbar werden, wenn ein Politiker eine bestimmte Leistung gegen Geld oder sonstige Vorteile zusagt, noch ehe er die entsprechende Funktion eines "Amtsträgers" hat, also etwa im Wahlkampf steht. Wöginger sieht darin juristisches Neuland, es gehe hier um "eine Bestimmung, die es derzeit in ganz Europa nicht gibt", warnt er. Dennoch sei eine Einigung absehbar.

Auch beim Informationsfreiheitsgesetz, das das Amtsgeheimnis ablösen soll, wird intensiv verhandelt, vor allem ÖVP-intern, wo es massive Widerstände der Länder und Gemeinden gibt. Die befürchten einen erheblichen administrativen Mehraufwand, wenn sie künftig jede Anfrage einer Bürgerin oder eines Bürgers beantworten müssen. Durch das Einspeisen von ohnedies vorhandenen Informationen in eine allgemein zugängliche Datenbank soll der bürokratische Aufwand für die Behörden vermindert werden. Die Grünen sind damit einverstanden, die zuständige Ministerin Karoline Edtstadler muss noch die Zustimmung der Länder einholen, abgesehen davon ist das eine Zweidrittelmaterie.

Zentrales Thema Energie

Das zentrale Thema der Klausur soll aber die Energiewende sein, die besonders von den Grünen propagiert, mittlerweile aber auch von der ÖVP mitgetragen wird. Es geht um konkrete Maßnahmen, wie die Abhängigkeit von russischem Gas weiter reduziert werden kann und wie man auch für den nächsten Winter die Gasspeicher gut gefüllt halten kann. Aktuell kommt Österreich offenbar gut über die Runden, jetzt geht es um Maßnahmen zur mittelfristigen Absicherung. Insbesondere die erneuerbare Energie soll rascher ausgebaut werden, hier braucht es noch etliche Maßnahmen, um die Unabhängigkeit voranzutreiben.

Lage in den Spitälern

Was die Regierung zwangsläufig beschäftigt, ist der Zustand in den Spitälern, auch wenn diese in den meisten Fällen in die Zuständigkeit der Bundesländer fallen. Die Personalnot und damit verbundene Missstände sorgen in der Bevölkerung bereits für Gesprächsstoff und negative Stimmung, die immer auch an die Bundesregierung adressiert wird. Gesundheitsminister Johannes Rauch soll daher beauftragt werden, gemeinsam mit den Ländern an einer Lösung der Krise in den Spitälern zu arbeiten. Erste Vorschläge werden bei der Klausur erwartet.

Sorge um den Arbeitsmarkt

Auch das Thema Arbeitsmarkt beschäftigt die Regierung. Die Daten sind zwar derzeit ganz gut, die Arbeitslosigkeit niedrig und das Wirtschaftswachstum positiv, beides wird sich aber ändern: Die Arbeitslosigkeit wird weder steigen, das Wirtschaftswachstum abflachen. Hier sucht die Regierung noch nach geeigneten Maßnahmen, um gegenzusteuern.

Ein ÖVP-Thema, das noch Platz bei der Klausur finden soll, ist die Gebührenbefreiung beim ersten Eigenheim. Damit würde klassisch ÖVP-Klientel bedient. Ob das kommt und sich umsetzen lässt, ob sich das vor allem in der Fülle der geplanten Maßnahmen auch verkaufen lässt, war zuletzt noch offen.

Was nicht besprochen wird

Was bei der Klausur ausgespart werden wird, die politische Stimmungslage zu Jahresbeginn aber beherrschen wird, sind die Themen Asyl und Migration. Da gibt es zwischen ÖVP und Grünen kaum Übereinstimmung, die ÖVP sucht diese allerdings auch gar nicht. Vom Koalitionsabkommen her fühlt sich die ÖVP an nichts gebunden, und ohne den koalitionsfreien Raum strapazieren zu wollen, wird die ÖVP hier ihren eigenen Weg gehen. Auf EU-Ebene sind die Parteien nicht an die Zustimmung des jeweils anderen gebunden. Kanzler Nehammer und Innenminister Gerhard Karner wollen ohne Rücksicht auf die Grünen weiterhin eine harte Linie in der Flüchtlingsfrage fahren.

Das Schengen-Veto Österreichs wurde erst gar nicht mit den Grünen verhandelt, auch bei künftigen Beschlüssen soll Vizekanzler Kogler bestenfalls informiert, aber nicht gefragt werden. Österreich will laut Nehammer weiterhin darauf drängen, dass der Grenzschutz massiv ausgebaut wird. Rumänien und Bulgarien sollen unter Druck gesetzt werden, ihre Außengrenzen effektiver zu schützen. Die Kooperation mit Ungarn, die vielen ein Dorn im Auge ist, auch auf europäischer Ebene, soll weiter forciert werden.

Die Erkenntnis, dass sich die Menschenrechtskonvention nicht ändern lässt, ohne dabei einen Austritt aus der EU hinzunehmen, hat sich auch in der ÖVP durchgesetzt. Gerade auch deshalb soll an allen großen und kleinen Schrauben gedreht werden, um den Zustrom von Asylwerbern nach Europa – und speziell nach Österreich – zu drosseln.

Schärfung des Profils

Dennoch ist der Koalitionsfriede nicht zwangsläufig in Gefahr, bietet dieses Thema doch bei den Parteien eine gute Gelegenheit, sich zu klar positionieren, auch gegeneinander. Was immer das Profil schärft, kann sowohl ÖVP als auch Grünen nur gelegen kommen. Der Wahlkampf kommt früher, als man denkt. (Fabian Schmid, Michael Völker, 6.1.2023)