Von Spaghetti bolognese über Wildlachs mit Gemüse bis zu Mirabelle in Apfel-Pfirsich mit Kürbis. All das gibt es im Glas. Die deutsch-schweizerische Hipp Holding mit Hauptsitz in Pfaffenhofen an der Ilm in Bayern ist der wohl bekannteste Babynahrungshersteller. Seit das Unternehmen in den 1950er-Jahren als erstes überhaupt Babybrei massenweise und industriell (zunächst) in Dosen füllte, zählt es zu den Größen der Branche.

Heute kann man Hipp-Produkte in den meisten Ländern Europas kaufen; produziert wird unter anderem im oberösterreichischen Gmunden. Das Gläschen mit dem knackenden Deckel – ob mit Fruchtbreien befüllt oder gleich mit kompletten Hauptgängen inklusive Beilage – ist aus dem Alltag vieler Kleinkinder nicht wegzudenken.

In dieser Geschichte soll es aber weniger um den Brei gehen als um eine knallige Aufschrift, die auf den Deckeln der Gläschen prangt, neben dem Bild eines Globus: "Klimapositiv" steht da, auf dem grünen Hintergrund einer angedeuteten Wiese.

Was soll das heißen? "Klimapositiv" ist die Steigerung von "klimaneutral". Während klimaneutral heißt, dass bei der Fertigung des Produkts dem Weltklima kein Schaden zugefügt wird, bedeutet klimapositiv gar, dass dem Klima nicht nur nicht geschadet, sondern genutzt wird. Ein hehrer Anspruch, den Hipp da postuliert. Streng genommen und etwas überspitzt gesagt, bedeutet er: Wenn wir alle ganz viele Hipp-Gläschen kaufen, lösen wir damit das weltweite Klimaproblem.

Viel Klimaschutz im Supermarkt

Die Rede vom klimapositiven Babybrei fügt sich in ein Muster. Es gibt kaum noch ein Unternehmen, das sein Engagement im Kampf gegen die Erderhitzung nicht hervorstreicht. Die Österreichische Post stellt laut Eigenangaben innerhalb Österreichs "CO2-neutral" zu. Die Kaffeekapseln des Lebensmittelkonzerns Nestlé sind seit heuer "klimaneutral". Die Marke Ppura des Drogeriemarktes DM teilt sich mit Hipp die Ehre, "klimapositiv" zu sein. Selbst der Flughafen Wien-Schwechat wird ab heuer "klimaneutral" funktionieren (wohlgemerkt nur der Flughafen, nicht die dazugehörigen Flugzeuge). Man verliert beinahe den Überblick vor lauter Klimaschutzansagen, die einem in der Produkt- und Dienstleistungswelt um die Ohren geschmissen werden.

Die Rede vom klimapositiven Babybrei fügt sich in ein Muster. Es gibt kaum noch ein Unternehmen, das sein Engagement im Kampf gegen die Erderhitzung nicht hervorstreicht.
Foto: Lukas Friesenbichler

Was aber ist, ganz konkret, dran an solchen Versprechen, beispielsweise im Fall des angeblich klimapositiven Babybreis? Per se handelt es sich bei den Gläschen um alles andere als klimafreundliche Produkte. Nicht nur sind sie häufig mit klimaschädlichen Lebensmitteln befüllt, von Rindsfilet bis Kabeljau. Auch die Art der Verpackung und Distribution weist keine gute Klimabilanz auf: Die Einweggläser müssen in jedes noch so kleine Dorf transportiert werden – das ist energieintensiv und somit klimaschädlich. Nach Gebrauch werden die Gläschen bei hohen Temperaturen eingeschmolzen – erneut ein energieintensiver, für das Recycling jedoch notwendiger Prozess. Doch das passiert freilich nur im besseren Fall: Im schlechteren landen sie im Restmüll statt im Glascontainer, womit die Klimabilanz noch schlechter aussieht. Der Hipp-Konzern legt die Latte also hoch, wenn er behauptet, "klimapositiv" zu sein.

Klimaschutzmaßnahmen

Ein Blick ins Internet. Hipp hat seiner Klimapositivität eine ganze Website gewidmet (bioweitergedacht.de). Darauf wird die Klimafreundlichkeit seiner Produkte umfassend dargestellt. Es findet sich beispielsweise ein Überblick über Klimaschutzmaßnahmen im Konzern ("Wir motivieren unsere Mitarbeiter, umweltfreundlich anzureisen, indem wir auf einen ökologischen Fahrtkostenzuschuss setzen.") Daneben finden sich komplizierte Grafiken und Zertifikate des deutschen Prüfinstituts TÜV Nord, die die angebliche Klimapositivität bestätigen. Der erste Eindruck: Die meinen es doch ernster, als man es ihnen anfänglich unterstellt hätte.

Die Produktion eines Hipp-Gläschens, liest man auf dieser Website, bringt im Durchschnitt (je 100 Gramm Babynahrung) 166 Gramm klimaschädliches CO2 hervor. Zum Vergleich: Das ist ungefähr so viel, wie ein Pkw auf einem Kilometer Fahrt ausstößt. Zugleich würden aber pro Gläschen ungefähr 350 Gramm an Klimagasen eingespart, geht aus einer Presseaussendung von Hipp hervor, mehr als das Doppelte des Ausstoßes. Deshalb also: "klimapositiv". "Rund 108 Millionen Baby-Gläschen halten fast 38.000 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre fern", schreibt Hipp.

Speziell am Weltumwelttag gibt es viele Ansagen zum Thema. So befindet sich auch die Brauerei Göss laut Brauunion "am klimapositiven Weg".
Foto: Brauunion

Aber wie kommt es zu diesen Einsparungen? Wer sich durch Websites und Aussendungen des Unternehmens wühlt, stellt fest: Hipp gibt zwar an, in welchem Umfang die angebliche CO2-Ersparnis den Ausstoß übersteigt. Aber: Der Weg dorthin fehlt, die genaue Rechnung. Aus welchen Posten setzen sich die Einsparungen zusammen? Wie kommt es zu einem Plus? Um einen betriebswirtschaftlichen Vergleich zu ziehen: Es ist, als würde ein Unternehmen einen Gewinn ausweisen – ohne zu sagen, welche finanziellen Aufwendungen und Erträge dahinterstecken.

Jedenfalls geht aus der Hipp-Website hervor, dass vieles vom Klimanutzen, den sich der Konzern auf die Fahnen heftet, aus sogenannten Offsetting-Projekten stammt. Das bedeutet, dass man CO2-Einsparungen zukauft. Vorgangsweise: Bei einem Projekt irgendwo auf der Welt werden Emissionen eingespart, beispielsweise durch die Aufforstung eines Waldes oder die Renaturierung eines Flusses. Eben diese eingesparten Tonnen kauft ein Konzern und schreibt sie gewissermaßen auf das eigene Produkt gut. In Großunternehmen ist Offsetting ein üblicher Vorgang.

Eine Komposthalde in Kapstadt

Im Fall von Hipp dient eine große Kompostierungsanlage in der südafrikanischen Stadt Kapstadt zur CO2-Kompensation. Dort wird Kompostabfall zu klimafreundlicher Pflanzenerde verarbeitet. Dazu kommt noch ein Waldschutzprojekt in Simbabwe, ebenfalls in Afrika. Laut Hipp-Website bringen diese Vorhaben enorme CO2-Einsparungen. Allein in Simbabwe etwa spare man so jährlich 3,5 Millionen Tonnen CO2 ein, schreibt Hipp auf seiner Website. Zum Vergleich: Das ganze Bundesland Vorarlberg stößt jährlich etwas mehr als zwei Millionen Tonnen aus.

Erneut bleiben die Informationen lückenhaft: Wie viele Einsparungen genau werden zugekauft? Wie viel wird im Unternehmen selbst gespart? Antworten darauf finden sich nicht.

Eine bei Konzernen beliebte Methode ist, CO2-Einsparungen zuzukaufen, beispielsweise durch die Aufforstung eines Waldes.
Foto: Reuters/Bruno Kelly

Experten kritisieren jedenfalls, dass es keine fixen Regeln und verbindlichen Standards gibt, unter welchen Voraussetzungen sich Unternehmen klimaneutral oder gar klimapositiv nennen dürfen. "Bei diesen Bezeichnungen herrscht Wildwuchs", sagt Raphael Fink, Nachhaltigkeitsexperte vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) in Wien. Einheitliche Leitlinien für Unternehmen, die für mehr Ordnung sorgen sollen, befinden sich gerade erst in der Entstehungsphase.

Beispielsweise arbeitet derzeit das österreichische Climate Change Center Austria (CCCA), ein Verbund von Wissenschaftern, an einem solchen Projekt. "Solange es keine Transparenz und zu lasche Regeln gibt, lässt sich bei den meisten Unternehmen nicht oder kaum nachvollziehen, wie genau die Rechnungen zustandekommen", sagt Fink. So wie im Fall Hipp.

Besonders skeptisch zeigt sich der Experte bei dem Anspruch, nicht nur klimaneutral zu sein, sondern klimapositiv. "Vor allem, wenn der postulierte Klimanutzen auf Offsetting-Projekten beruht, sehe ich das kritisch." Denn: Wer könne schon sagen, ob ein Wald, der zum Ausgleich von Klimaschäden gepflanzt wird, in zwei Jahrzehnten noch steht? Oder ob nicht zugleich ein danebenliegender Wald gerodet werde, sodass der Klimanutzen wieder zunichtegemacht ist? "Aus Unternehmenssicht ist das heikel; ich würde davon abraten, sich klimapositiv zu nennen", sagt Fink.

Foto: Lukas Friesenbichler

Um die Seriosität von Klimapositivitätsrechnungen à la Hipp trotzdem einigermaßen bewerten zu können, müsste man wissen: Wie viele Emissionen genau wurden im Unternehmen eingespart? Wie viel Ersparnis wird zusätzlich mittels Offsetting angekauft? Aus welchen Projekten? Und wie viel zahlt das Unternehmen eigentlich pro eingesparte Tonne CO2 bei Offsetting-Projekten? All dies hätte DER STANDARD gern von Hipp erfahren. Doch statt eine exakte Auflistung und Zahlen zu übermitteln, teilt der Konzern nur mit: "Alle Informationen zum Thema ‚Klimapositiv‘ finden Sie detailliert und transparent auf unserer Webseite."

Auf eben dieser Website lässt ein Satz aufhorchen, eine Art Warnhinweis: "Klimapositiv soll nicht suggerieren, dass ein Mehrkonsum dieses Produktes positiv für das Klima wäre", steht da. Warum nicht? Eben dies bedeutet "klimapositiv" doch – dass der Konsum gut für das Klima ist.

Oder etwa nicht? Ist womöglich Hipp am Ende gar nicht klimapositiv? Auf die Bitte nach der Aufklärung dieses Widerspruchs wollte der Konzern nicht antworten. (Joseph Gepp, 7.1.2023)