Martha Krumpeck (Mitte) zeigt, wie man bei einem Polizeieinsatz das Verletzungsrisiko möglichst gering hält.

Foto: Regine Hendrich

Wenn man sich als Aktivist den Autos entgegenstellt, sollte man eine Warnweste tragen und ein Banner hochhalten.

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Wer will, klebt die Hand auf den Asphalt.

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Wenn einmal die Polizei angerückt ist, hat man als Klimaaktivistin, die den Verkehr blockieren will, zwei Möglichkeiten: Man verharrt im "kompakten Paket" auf der Straße, überkreuzt die Beine und verschränkt die Arme darunter. Oder man setzt auf die "Gummipuppentaktik", lässt also ohne jede Spannung den Körper hängen. Bei Variante eins wird man von der Polizei relativ unkompliziert weggetragen. Variante zwei erschwert zwar den Polizisten ihren Job, und der schlaff herabhängende Körper verspricht wesentlich aufsehenerregendere Pressebilder – birgt aber auch eine größere Verletzungsgefahr.

Willkommen im Grundkurs Straßenblockade, den die Letzte Generation dieser Tage abhält. Es ist Dienstagmittag. In einem Innenhof eines Vereins in Wien übt eine Handvoll Menschen, wie man möglichst effektiv den Verkehr in der Hauptstadt zum Erliegen bringt. Mit solchen Störaktionen hat sich die Umweltschutzbewegung in Österreich einen Namen gemacht. Im vergangenen Oktober und November fand der zivile Ungehorsam in Wien immer montags am Morgen statt: Woche um Woche klebten Aktivistinnen und Aktivisten in der Bundeshauptstadt ihre Hände mit Superkleber auf den Asphalt. Danach versuchten sie, in den Bundesländern Fuß zu fassen.

Polizeiliche Vorbereitungen

Ab Montag plant die Letzte Generation nun sogar eine ganze "Aktionswoche", in der jeden Tag zentrale Verkehrsknotenpunkte in Wien blockiert werden sollen. Dafür sollen Mitstreiter und Mitstreiterinnen aus allen Teilen Österreichs nach Wien reisen, um gemeinsam den Verkehr in der Bundeshauptstadt möglichst weitgehend lahmzulegen.

Das weiß auch die Polizei. Sie gehe davon aus, dass Aktivisten ab Montag versuchen würden, "den Verkehr in Wien an mehreren Stellen zeitgleich oder auch versetzt lahmzulegen", sagt eine Sprecherin dem STANDARD. Die Polizei würde sich "darauf vorbereiten und entsprechende Kräfte dafür abstellen".

Theorie des Blockierens

Auch die Letzte Generation bereitet sich gewissenhaft vor. Deshalb die Aktionstrainings, in denen Interessenten und Sympathisantinnen lernen sollen, wie man sich verhält, wenn die Polizei erscheint oder genervte Autofahrer und -fahrerinnen aggressiv werden. Zu einem dieser Meetings sind auch Josef und Daniel gekommen, die nur ihre Vornamen nennen wollen. Sie sind eigentlich in der Tierschutzszene aktiv, überlegen nun aber, sich an den Blockadeprotesten kommende Woche zu beteiligen. Josef treibt die Verbindung zwischen der Massentierhaltung und dem Ausstoß von CO2 an. Daniel hingegen stört, "dass die Politik nur halbherzig etwas gegen den Klimawandel unternimmt".

Also verbringen sie nun den Tag mit einigen Mitgliedern der Letzten Generation, lernen hier Theorie und Praxis des Blockierens. Martha Krumpeck leitet die mehrstündigen Workshops. Sie ist eine der Mitbegründerinnen der Gruppe und eines der bekannteren Gesichter der österreichischen Bewegung.

Recht und Legitimität

Krumpeck saß bereits mehrere Freiheitsstrafen ab. Bekannt ist die 30-jährige Molekularbiologin außerdem für ihren 44 Tage und Nächte anhaltenden Hungerstreik vor der Wiener SPÖ-Zentrale in der Löwelstraße im vergangenen Jahr. Nun erklärt sie die Rechtslage: Es drohen Anzeigen nach dem Verwaltungsrecht und Geldstrafen von einigen Hundert Euro. Sie spricht über Recht und Legitimität und geht die einzelnen Schritte durch: Wenn die Ampel auf Grün schaltet, zieht die Truppe los, spannt Banner mit ihren Slogans auf, setzt sich, sobald die Autos keine Bewegung mehr machen, auf den Boden. Wer will, beschmiert eine Hand mit Kleber, drückt diese auf die Straße oder setzt sich darauf.

Für Rettungsgasse oder ärztliches Personal im Dienst bleibt immer eine Spur frei. Irgendwann kommt die Polizei, löst die nicht angemeldete Aktion auf und trägt die teilnehmenden Personen weg, beschreibt Krumpeck das Szenario weiter. Binnen 40 und 60 Minuten ist alles wieder vorbei. Krumpeck, zwei ihrer Mitstreiter und eine Mitstreiterin spielen die Szene auch praktisch durch.

"Depperte!"

Sie zeigen Josef und Daniel, wie das Banner gehalten werden soll, spielen das Händekleben mit Wasser nach, gehen pöbelnd auf die beiden los: "Depperte!", "Gschissene!", "Seids Langzeitstudenten?" Am häufigsten falle der Satz, ob sie denn keinen Beruf hätten oder irgendeine Idee, wie es sei, in der Arbeit pünktlich erwartet zu werden.

Die Aktivistinnen und Aktivisten kennen mittlerweile das ganze Spektrum an Aggressionen, die sie auslösen – in den sozialen Netzwerken im Internet, aber auch vor Ort. Zuletzt wetterte auch die Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) gegen "diese Chaostruppe", die "der Sache damit nichts Gutes tut" und "gleichzeitig die öffentliche Sicherheit" bedrohe. Selbst in der Klimaprotestszene gelten die Methoden der Letzten Generation als umstritten.

"Müssen nervig sein"

Immer und immer wieder betont Krumpeck, dass es umso wichtiger sei, "deeskalierend zu wirken" und nicht mit Gewalt zu reagieren. "Ich kann die Wut der Leute gut nachvollziehen", sagt sie. "Ich finde es auch scheiße, mich ihnen entgegenzustellen." Aber der Klimawandel lasse keine andere Wahl, als zum zivilen Widerstand zu greifen: Sie seien "die letzte Generation, die noch etwas unternehmen könne", um die drastischsten Folgen der Erderwärmung abzufedern – daher der Name. Demonstrieren gehen, Petitionen unterschreiben, mit politisch Verantwortlichen sprechen: All das habe bisher nicht gefruchtet. Deshalb "müssen wir so lästig und nervig sein mit unseren Aktionen".

Auch David Sonnenbaum, ebenfalls Mitglied der ersten Stunde, sagt, Strafen seien ihnen egal. Allein dass sie sich stets mit vollem Namen und unvermummtem Gesicht präsentieren, zeuge doch davon, "dass wir nichts zu verlieren haben. Der Klimawandel ist der absolute Notfall. Ja, wir sind so verzweifelt!"

Im Visier der Behörden

Die Bewegung, die einen sich durch den Asphalt kämpfenden Löwenzahn als Symbol hat, setzt sich für Tempo 100 auf der Autobahn sowie für ein Ende neuer Öl- und Gasprojekte ein. Nicht nur in Österreich, weltweit greifen Gruppierungen, die sich für Maßnahmen gegen den Klimawandel einsetzen, vermehrt zu Mitteln des zivilen Ungehorsams. Sie kleben sich auf die Straße oder die Sockel von Statuen, blockieren Autobahnausfahrten und Landebahnen auf Flughäfen, bewerfen Gemälde und Gebäude mit Suppe, Öl oder Farbe.

Mittlerweile stehen die Klimaschützerinnen und Klimaschützer auch im Visier der Behörden. Zumindest die Letzte Generation und Extinction Rebellion (übersetzt "Rebellion gegen das Aussterben", kurz XR genannt) werden dem Vernehmen nach in Österreich beobachtet. Ein Instrument dafür wäre die "erweiterte Gefahrenerforschung". Sie erlaubt den Behörden eine ganze Menge an Methoden, um Informationen einzusammeln: von Observationen und technischer Überwachung bis hin zu verdeckten Ermittlungen.

Verhinderte Aktionen

Die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) gibt jedoch nicht bekannt, welche Gruppen Gegenstand der erweiterten Gefahrenerforschung sind. "Im Fokus der Verfassungsschutzbehörde steht in der Früherkennung nicht der Klima- oder Umweltaktivismus als solcher, sondern jene Elemente der Klimabewegung, die sich zu einer ernstzunehmenden Bedrohung entwickeln könnten", heißt es aus dem Innenministerium. DSN und das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz (LVT) konnten jedenfalls schon einige Störaktionen verhindern, etwa beim Neujahrskonzert.

Das soll, wenn es nach der Letzten Generation geht, kommende Woche nicht gelingen. Sie will am ersten Schultag nach den Ferien im Morgenverkehr für Verspätungen sorgen. Ihr Ziel bleibt Empörung und damit Aufmerksamkeit. (Anna Giulia Fink, Fabian Schmid, 6.1.2023)