Michel Houellebecq sorgt mal wieder für Wirbel.

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In letzter Zeit hatte sich Michel Houellebecq eher zurückgehalten: Mit seinem Roman "Vernichten" (2022) fokussierte sich der 66-Jährige auf private Fragen wie die Sterbehilfe. Und für "Serotonin" (2019) hatte das Enfant terrible des Pariser Literaturbetriebs von Präsident Emmanuel Macron sogar die Ehrenlegion entgegengenommen.

Jetzt provoziert er wieder. Dabei beschränkt er sich nicht auf die Fiktion eines islamistischen Wahlsiegs, über die er 2015 in seinem bekanntesten Roman "Unterwerfung" fabuliert hatte. Jetzt versucht sich der Goncourt-Preisträger als politischer Historiker. In einem vierzig Seiten langen Zwiegespräch mit dem Philosophen Michel Onfray in dessen Zeitschrift "Front populaire" sagt Houellebecq Dinge wie: "Als die Reconquista, dieses Modell der Rückeroberung, einsetzte, war Spanien unter muslimischer Herrschaft. Heute sind wir zwar noch nicht so weit. Was man aber feststellen kann, ist, dass sich die Leute bewaffnen. Sie verschaffen sich Gewehre und nehmen Kurse am Schießstand. Und das sind keine Knallköpfe. Vermutlich wird es zu Widerstandsaktionen kommen, wenn ganze Gebiete unter islamistischer Kontrolle sind. Dann wird es Attentate und Schießereien in den Moscheen und von Muslimen besuchten Cafés geben, kurz, ein umgekehrtes Bataclan."

Nach diesem Hinweis auf den Terroranschlag in dem Pariser Konzertlokal von 2015 mit 131 Toten führt der Autor weiter aus: "Der Wunsch der französischen Bevölkerung ist nicht, dass sich die Muslime assimilieren, sondern dass sie aufhören, sie zu bestehlen und anzugreifen. Oder dass sie weggehen."

Anzeige eingereicht

Ist das noch Provokation Houellebecq'scher Art – oder eher die Entlarvung derselben? Auf jeden Fall hagelt es nun geharnischte Reaktionen. Der Rektor der Großen Pariser Moschee, Chems-Eddine Hafiz, gab bekannt, dass er gegen Houellebecq Anzeige wegen "Aufruf zum Hass gegen die Muslime" eingereicht habe. Wenn der Schriftsteller von einem "umgekehrten Bataclan" spreche, sei das, als rufe er die Leute implizit auf, sich zu bewaffnen, erklärte der als weltoffen geltende Rektor. Diese "unsägliche Brutalität" sei nicht mehr durch die Pressefreiheit abgedeckt.

Denn auf die Pressefreiheit stützt sich nun Herausgeber Onfray, um Houellebecq zu verteidigen. Dass der auf der Insel La Réunion im Indischen Ozean geborene Exzentriker alle Muslime mit gefährlichen Islamisten gleichsetze, sei eine intellektuell zulässige "Verallgemeinerung". Auch die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" greife zu provokanten Darstellungen, die unter die Meinungfreiheit fielen.

"Bescheuertste Religion"

Der Vergleich mit den Mohammed-Karikaturen sei falsch, entgegnet die islamkritische Feministin Caroline Fourest: "'Charlie Hebdo' kritisiert die Religion, ohne zum Hass aufzurufen. Das ist die entscheidende Nuance, die Houellebecq mit seinen Aussagen missachtet." Aus diesem Grund geben Juristen der Klage der Pariser Moschee gute Chancen. Vor zwanzig Jahren war der streitbare Autor noch freigesprochen worden, als er den Islam als "bescheuertste Religion" bezeichnet hatte. Das Gericht sah darin eine freie Meinungsäußerung, die nicht zum Hass anstifte.

Erstaunlicherweise vermeidet es Moschee-Rektor Hafiz, in seiner Klage explizit auf einen rassistisch motivierten Mordfall einzugehen, der sich in Paris am Tag vor Weihnachten ereignete und der landesweit hohe Wellen schlägt. Ein 69-jähriger Franzose hatte im zehnten Stadtbezirk, wo viele Immigranten aus dem Mittleren Osten leben, drei ihm unbekannte Kurden erschossen.

"Pathologischer Hass auf Ausländer"

Der ehemalige Zugführer war erst Mitte Dezember aus dem Gefängnis entlassen worden, nachdem er gut ein Jahr zuvor schon Migranten mit einem Säbel angegriffen hatte. Er bekannte sich in der Einvernahme zu einem "pathologischen Hass auf Ausländer". Die Kurden verabscheut er in seinem Wahn speziell, weil sie, wie er erklärte, unter der Terrormiliz "Islamischer Staat" Gefangene machten (statt sie zu töten).

Dieser Mordanschlag vor dem kurdischen Kulturzentrum ließe sich durchaus als "umgekehrtes Bataclan" lesen. Doch die Pariser Medien stellen gar nicht erst die Frage, ob möglicherweise ein Bezug zur zweistimmigen Brandrede von Houellebecq und Onfray – die seit Ende November im Handel ist – bestehe. Belege für einen Zusammenhang, etwa eine Aussage des Mörders, sind nicht bekannt.

Dennoch stellt sich die Frage, ob sich "pathologische Rassisten" – wie sich der Todesschütze gegenüber der Polizei selber bezeichnete – von Houellebecqs Bewaffnungsfantasien nicht inspiriert fühlen könnten. Die Öffentlichkeit vermeidet die Frage vielleicht wegen des Starstatus des meistgelesenen französischen Schriftstellers. Das Gericht wird der heiklen Frage allerdings nicht ausweichen können.

Gespräch mit Houellebecq

Mittlerweile verlautete aus Kreisen der Pariser Moschee, Rektor Hafiz habe Houellebecq persönlich getroffen; dieser habe seine umstrittensten Äußerungen als "ambivalent" bezeichnet und teilweise zurückgenommen. Die Moschee gedenke deshalb, die Anzeige zurückzuziehen. (Stefan Brändle aus Paris, 10.1.2023)