Die Atridentochter Elektra (Nina Stemme) hadert mit dem Schatten ihres Vaters. Und findet anschließend zu gleißender Stimmkraft.

Foto: Michael Pöhn

Beide sind tanzfreudige Königstöchter, deren familiäres Umfeld als eine unrunde Angelegenheit bezeichnet werden muss. Ihre Väter sind tot oder abwesend, ihre Stiefväter gewalttätig oder lüstern, und die Beziehungen zu ihren Müttern sind angespannt. Und beide werden zu Rächerinnen, die ihre Widersacher lustvoll durch fremde Hände morden lassen. Ja: Die Wiener Staatsoper beginnt das neue Jahr mit Strauss’ gewaltigen Einaktern Elektra und Salome blutrot.

Der Racheakt der bipolaren Prinzessin aus Galiläa wird Anfang Februar von Cyril Teste neu in Szene gesetzt. Im Rahmen einer medial begleiteten Geburtstagsfeier eines Nahostpotentaten sollen, so liest man, die Opernbesucher hier durch filmische Rückblicke auf Missbrauchserfahrungen Salomes als Kind aufmerksam gemacht werden.

Ein traumatisches Erlebnis hat auch Elektra zu verdauen: Ihre Mutter Klytämnestra und deren Lover Aegisth haben vor Jahren Elektras Vater, König Agamemnon, im Bade erschlagen. Orest, Elektras Bruder, wurde noch als Kind ins Exil verschickt. Wie ein Tier vegetiert die Königstochter in einer Hofecke dahin, muss bei den Hunden essen. Einzig der Gedanke an Rache nährt noch ihren Lebenstrieb. In der reaktivierten Inszenierung Harry Kupfers hasst Elektra abgrundtief zu Füßen der enthaupteten Statue Agamemnons. Nach einem etwas behäbigen ersten Monolog mit mauer Mittellage kam Nina Stemme in der Konfrontation mit ihrer Mutter auf Betriebstemperatur und fand in der Wiedervereinigungsseligkeit mit Orest (in jeder Hinsicht ein Gewinn: Christof Fischesser) zu gleißender Kraft.

Spitz wie Juwelen

Violeta Urmana zeichnete die Klytämnestra als königliche Erscheinung mit herrischem Gebaren: funkelnd und spitz wie ihre Juwelen ihr Mezzo in der Höhe, kraftvoll die Tiefe. Wie ein Zwillingsgewürm hingen Miriam Kutrowatz und Alma Neuhaus als Vertraute und als Schleppträgerin an der übellaunigen Allmächtigen. Energisch, wenn auch nicht durchgehend verständlich, richteten die Mägde Elektra aus.

Die makelloseste Leistung bot Simone Schneider als Chrysothemis: Differenziert und prägnant im Piano, überstrahlte ihr runder Sopran auch im heftigsten Gewoge sternengleich das Orchester, dessen Leitung Alexander Soddy anvertraut war. Der 40-jährige Brite, der mit Strauss’ Salome im Oktober 2020 hatte aufhorchen lassen, bot auch bei der Elektra eine souveräne, mitreißende Vorstellung; im leisen Schwelgen wäre vielleicht noch mehr Innigkeit möglich gewesen. Das Staatsopernorchester fand im Lauf des Abends Zutrauen in seine Fähigkeiten und fesselte mit dämonischer Schwärze und packender Wucht. (Stefan Ender, 6.1.2023)