Der Portier der Garage San Marco blickte so abfällig an mir vorbei, wie es nur italienische Portiere können. Das heißt, er musterte den Wagen, nahm Maß, ließ den Blick nach vorne schweifen, dann wanderte sein Blick langsam zurück, die ganzen fünf Meter entlang. Geistig wog er den Wagen, die zweieinhalb Tonnen hätte er nie erraten, dachte ich mir, aber wer weiß, italienische Garagenportiere haben da Erfahrung. Dann blickte er mir doch noch fest in die Augen, sein rechter Mundwinkel zuckte kurz, und er dachte sich, diesem Geldsack mit seinem Angeberauto werd ich’s zeigen. Und er sagte: "Siebter Stock."

Wer die Garage San Marco kennt, weiß, dass Mercedes-Fahrer, die in den fünften Stock geschickt werden, im dritten zu weinen beginnen, so eng sind dort die Kurven. Die Kanten und Löcher an den Wänden der Garagenauffahrt zeugen von zehntausenden Begegnungen, immer auch zulasten der Autos. Der siebte Stock mit einem ausgewachsenen Range Rover ist so etwas wie ein Hinrichtungsurteil, genauso gut hätte er mir auch sagen können: "Stürz dich ins Meer mit deiner goldenen Seegurke." (Die Farbe des Testwagens heißt Sunset Gold, das ist sicher gut gemeint.)

Auf der Fahrt nach Venedig ist Zeit und Muße für Abstecher links und rechts der grob geplanten Reiseroute. Wenn im Wagen einmal alles gesagt ist, kann man sich auch auf das hauseigene Entertainmentprogramm konzentrieren.
Foto: Michael Völker

Ich aber fragte fröhlich: "Siebter Stock? So weit unten? Herzlichen Dank, junger Mann!", und schaltete gelassen in den Drive-Modus. Die sieben Stockwerke tänzelten wir hinauf wie eine junge Gämse. Der Range Rover denkt und lenkt auch hinten mit. Die Allradlenkung ist serienmäßig verbaut, sonst müsste man Garagen im Allgemeinen und die italienischen im Besonderen meiden. Lediglich mit der Breite, also einer Popschspannweite von tatsächlich mehr als zwei Metern, muss man etwas aufpassen.

Der Cousin vom Portier

Oben angelangt, federte ich ziemlich lässig aus dem Wagen und warf den Schlüssel dem Siebten-Stock-Portier, der mit Sicherheit ein Cousin des Erdgeschoß-Portiers war, zu, und wäre mir die italienische Leichtigkeit etwas mehr zu eigen, hätte ich ihm wohl geholfen, seine Kinnlade wieder hochzuklappen. Das mit dem Schlüsselzuwerfen macht man hier übrigens so, man mag sich nicht ausmalen, was sie in deiner Abwesenheit im Wagen zu suchen haben. Auch hierüber tröstete mich der Gedanke an die Allradlenkung hinweg.

Lange vorbei sind die Zeiten des kantigen Defender, heutzutage sind wird rundlicher unterwegs. Was hier aussieht wie ein Computer Rendering eines Elektroautos ist weder noch. Der Range Rover steht da in Fleisch und Blut (bzw. Diesel)
Foto: Michael Völker

Die aufmerksamsten unter Ihnen hellwachen Leserinnen und Lesern werden sich wohl schon längst eine andere Frage gestellt haben: Warum schon wieder Venedig? Hat er denn gar nichts gelernt? Der letzte Ausflug mit der langen Mercedes S-Klasse, die uns als Reisefahrzeug als das beste Auto der Welt erschien, hat auch ein kleines Shitstürmchen entfacht, weil: erstens Auto, zweitens lange Strecke und drittens Systemleistung 510 PS. Das war der Mercedes. Was aber für den Mercedes wie auch für den Range Rover gilt: Bei normaler und vernünftiger Fahrweise, unser zweiter und dritter Vorname, verbrauchen beide nicht um Ecken mehr als ein Mittelklasse-Škoda. Beim Range Rover sind es gemäßigte 350 PS, und die 100 Kilometer sind mit acht Litern Verbrauch zu schaffen. Das verdient keinen Öko-Preis, ist aber auch kein Umweltverbrechen. Der Mildhybrid-Reihensechszylinder-Diesel erweist sich als absolut unaufgeregte Antriebsmaschine für die lange Strecke, das ist feinster Fahrkomfort.

Natürlich kann man auch mit dem Zug fahren, Kollege Gluschitsch würde das auch tun, das können Sie im Mobilitätsteil nachlesen. Wir konkurrieren nicht, wir ergänzen einander. Aber mit dem Zug, das muss ich jetzt schon sagen, kann man schwerlich Ausflüge nach links und rechts entlang der Strecke machen, und die besten Osterien des Landes blieben einem so verwehrt. Über die richtige Art der Fortbewegung kann man lange streiten, und viele Leute tun das auch. Wir versuchen heute einmal friedlich zu bleiben.

"Wann sind wir daaa?", eine Frage, die Sie in diesem Auto nie wieder hören müssen.
Foto: Michael Völker

Was man sich zu sagen hat

In der subjektiven Wertung der besten Reiseautos der Welt, die eben das kosten, was sie kosten, ist der Range Rover gerade am Mercedes vorbeigefahren. Dieser Koloss bietet einen unglaublichen Komfort auf höchstem Niveau, und das hat natürlich auch mit den Platzverhältnissen zu tun. Der Verarbeitung ist hinreißend, die Ausstattung bietet alles, was ein Auto bieten kann. Das Entertainmentsystem kann praktisch jeden Platz einzeln bespielen, auf den hinteren Plätzen gibt es Schirme, auf denen ein individuelles Programm abgerufen werden kann. Das ist gerade auf längeren Fahrten hilfreich, wenn man sich nichts mehr zu sagen hat, weil man eben schon alles gesagt hat.

Was der Range Rover abseits seiner Qualitäten als Reiselimousine tatsächlich besser kann als der Mercedes, sind seine Fertigkeiten als Geländewagen. Auch wenn der Wagen so vornehm ausschaut, auch wenn die güldene Lackierung und das feine, weiße Leder der Polsterung laut "Nein!" brüllen, der kann sich auch richtig schmutzig machen. Der Range Rover ist ein vollwertiger Geländewagen mit brachialem Kletterdrang, man glaubt es kaum.

Look at that subtle off-white coloring. Hier drin wird nicht gegessen.
Foto: Michael Völker

Der Range Rover D350 SV kostet, so wie er dasteht, eine Viertelmillion Euro, da kann man schon einmal durchschnaufen. Das SV steht für die Ausstattungsserie "Special Vehicles", das ist nicht leichtfertig gewählt, da ist schon ein gewisser Anspruch dahinter.

Und Venedig war auch sehr nett. Danke der Nachfrage. Der Garagenportier und sein Cousin grüßten zum Abschied übrigens freundlich. Der Wagen stand beim Abholen an einer anderen Stelle, als ich ihn abgestellt habe. Das sei so üblich, zuckte der Cousin mit der Schulter. (Michael Völker, 13.1.2023)