Schwarzenberg als Gründer der liberalen Partei Top 09 und ehemaliger Außenminister bei den tschechischen Parlamentswahlen 2021.

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Karl (Karel) Schwarzenberg ist ein bedeutender mitteleuropäischer Politiker und Osteuropaexperte. Geboren 1937 in Prag, floh er 1945 mit der Familie nach Wien, unterstützte in den 80er-Jahren die tschechischen Dissidenten, vor allem Vaclav Havel. Nach der Samtenen Revolution 1989 wurde er Havels Kanzler, später zweimal tschechischer Außenminister.

DER STANDARD

STANDARD: Ist 2022 tatsächlich das Jahr der "Zeitenwende" gewesen, in dem alles anders geworden ist ?

Schwarzenberg: Nicht alles, man übertreibt gerne, es ist ein Wandel, aber man soll ihm keine übertriebene Bedeutung geben. Die letzten 1.000 Jahre war immer Krieg in Europa, warum soll das plötzlich aufhören?

STANDARD: Weil man gedacht hat, nach dem Zweiten Weltkrieg wird man sich besinnen?

Schwarzenberg: Nein, die Menschen bleiben die gleichen bösartigen, fleischfressenden Affen, die sie immer waren, und deswegen schlagen sie sich gerne tot. Jeder Krieg in Europa hat die Lage verändert, ob es der Erste oder der Zweite Weltkrieg war oder die napoleonischen Kriege. Das ist normal, das passiert in jedem Jahrhundert ein- bis zweimal.

STANDARD: Müssen wir uns fürchten? Jetzt überfällt eine Atommacht ein großes europäisches Land.

Schwarzenberg: Natürlich ist das eine gefährliche Situation. Aber Gott sei Dank hat die Ukraine den Mut und die Mittel gefunden, sich zu verteidigen. Vielleicht wird das Ergebnis dieses Krieges sein, dass wir uns weniger fürchten müssen als vorher.

STANDARD: In einem Interview haben Sie gesagt, Russland wird zerfallen.

Schwarzenberg: Jeder verlorene Krieg hat seine Auswirkungen. In den 90er-Jahren ist die Sowjetunion zerfallen und hat seine zentralasiatischen Gebiete verloren. Das Baltikum ist frei geworden. Wir dürfen nicht vergessen, es gibt viele Gebiete, die von anderen Völkern als den Russen bewohnt sind, und wenn die sehen, dass der Wohlstand verloren geht, dann könnten sie kein Interesse mehr daran haben, zu bleiben. Im Kaukasus gibt es etliche Gebiete, die unabhängig werden wollen, auch in Sibirien. Die große Frage ist aber, wie lange sie unabhängig bleiben würden. Denn am anderen Ende Sibiriens befindet sich China, und das ist überbevölkert.

STANDARD: Das hängt natürlich auch davon ab, wie sehr die Ukraine unterstützt wird. Wie würden Sie die Haltung des Westens beurteilen?

Schwarzenberg: Überraschend positiv! Ich war sehr überrascht, dass sich der Westen ermannt hat – natürlich die Vereinigten Staaten, aber auch in Europa Großbritannien. Auch andere Länder, zum Beispiel die Tschechische Republik, leisten ganz ungeheuer viel. Gott sei Dank ist die Causa der Ukraine sehr populär geworden, und es begreifen alle, dass der Ukraine geholfen werden muss.

STANDARD: Die Tschechische Republik hat viel geholfen, die Slowakei sogar ein Luftabwehrsystem gespendet. Haben sie Angst, die Nächsten zu sein?

Schwarzenberg: Mit Recht! Wir dürfen nicht vergessen, wenn die Ukraine verlieren würde, dann hätte die Slowakei die Russen an ihrer Grenze, und diese Aussicht begeistert sie wenig.

STANDARD: Wie soll man mit Ungarn umgehen? Viktor Orbán agiert in der Russland-Frage wie ein Gegner der EU.

Schwarzenberg: Ungarn ist zwar unser unmittelbarer Nachbar, aber Österreich benimmt sich wie ein Verbündeter Ungarns. Das ist überflüssig.

STANDARD: Wie stehen Sie zu Österreichs Neutralität? Ist sie zeitgemäß?

Schwarzenberg: Im Prinzip finde ich sie richtig. Seit den 50er-Jahren hat sie sich sehr gewandelt. Trotzdem würde ich sie nicht offiziell aufgeben.

STANDARD: Dieses Jahr 2022 hat etwas anderes gezeigt. Die Illusion, dass man im Umgang mit autoritären Systemen einen Wandel durch Handel herbeiführen kann …

Schwarzenberg: … das war der deutsche Glaube. Das glaubt niemand mehr.

STANDARD: Die Demokratie scheint weltweit unter Druck zu geraten, das zeigen auch die Ereignisse in den USA.

Schwarzenberg: Ich bin eher optimistisch. Ich habe ein tiefes Vertrauen in die amerikanische Demokratie. Sie ist sehr stabil.

STANDARD: Noch einmal zurück zu Österreich – hat Österreich eine Außenpolitik?

Schwarzenberg: Ich hoffe es.

STANDARD: Wenn man dieses Schengen-Veto gegen Rumänien betrachtet …

Schwarzenberg: … das ist eine törichte Idee. Wann immer jemand Außenpolitik aus innenpolitischen Gründen verändert, ist es wirklich ein Blödsinn.

STANDARD: Wie sollen wir mit Serbien umgehen? Sie wollen angeblich in die EU, flirten aber mit Russland.

Schwarzenberg: Wir müssen akzeptieren, dass die Serben immer eine sehr bewusste nationale Politik betrieben haben. Nur müssen wir ihnen klar sagen, dass sie sich entscheiden müssen.

STANDARD: Man müsste also gegenüber Serbien und Ungarn eine klarere Sprache sprechen?

Schwarzenberg: Ja. Beides sehe ich nicht, beide werden vom Ballhausplatz als Verbündete betrachtet. Ich wäre ja auch dafür, dass wir ein gutes Verhältnis zu diesen Staaten haben, aber nicht unter diesen Umständen. (Hans Rauscher, 9.1.2023)