"Ich will meinen Vater zurück. Ich will meinen Bruder zurück", beteuerte Harry im ITV-Interview.

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Ein Frontalangriff auf die Londoner Boulevardpresse, schwere Anschuldigungen gegen seinen Bruder William und seine Stiefmutter Camilla, detaillierte Schilderung privater Unterhaltungen – im Interview mit dem Privatsender ITV hat Prinz Harry (38) am Sonntagabend die riesige Distanz zur britischen Monarchie unter seinem Vater König Charles bekräftigt.

Der Fünfte der Thronfolge ...

  • beteuerte, er habe kein Problem mit der Monarchie an sich: "Mein Streit war nie mit dem Konzept der Monarchie. Was mich stört, ist der Umgang der Presse mit der Institution. Ich liebe mein Land. Und ich glaube, dass die Medien ihm erheblichen Schaden zufügen." Vom ITV-Interviewer Tom Bradby nach seiner Zukunft als Teil der Monarchie gefragt, wich Harry aus: "Das weiß ich nicht. Es hat nichts mit meiner Hoffnung zu tun." Sollte ihn sein Vater darum bitten, könnte er sich einen Dienst im Commonwealth mit seinen 54 Mitgliedern gewiss vorstellen. Auch die Frage nach der Teilnahme an Charles‘ Krönung im Mai blieb unbeantwortet: "Bis dahin kann noch viel passieren."
  • beschuldigte seine "ziemlich große, sehr alte, sehr dysfunktionale" Familie der emotionalen Kälte: "Als ich sie am meisten brauchte, waren sie nicht für mich da." Charles III. habe als alleinerziehender Vater versagt und das bei einem Vieraugengespräch über Harrys mentale Probleme auch zugegeben: "Es tut mir leid, ich nehme an, es war meine Schuld. Ich hätte dir viel früher die Hilfe zukommen lassen sollen, die du brauchtest."

Obwohl er intime Details aus dem Familienleben ausplauderte, gab sich Harry versöhnungswillig. "Ich verstehe nicht, was Ehrlichkeit mit einem Flammenwerfer zu tun hat", erwiderte er auf entsprechende Vorhaltungen des Interviewers. Er sei zur Aussöhnung bereit, obwohl viele Menschen ihn fragen würden, ob er seiner Familie jemals verzeihen könne. "Das ist hundertprozentig möglich. Ich will meinen Vater zurückhaben, meinen Bruder zurückhaben. Auch wenn ich sie derzeit nicht so richtig verstehe, so wie sie umgekehrt wohl auch mich nicht verstehen. Aber eine Aussöhnung wäre wundervoll für mich und fantastisch für sie."

  • bezichtigte die britische Boulevardpresse der Hauptschuld am Unfalltod seiner damals 36-jährigen Mutter Diana in einem Pariser Straßentunnel 1997. "Damals hieß es, die Dinge würden sich ändern. Aber es hat sich nichts geändert."

Schon als junger Mann geriet der Prinz mit den häufig brutal vorgehenden Londoner Paparazzi aneinander. Eine Radikalisierung der Feindschaft machte sich bemerkbar, als 2016 die Amerikanerin Meghan Markle in sein Leben trat. Öffentlich bestätigt wurde die Beziehung in einer bis dahin beispiellosen Erklärung aus Harrys damaligem Wohnsitz Kensington-Palast: Die Tochter einer schwarzen Mutter und eines weißen Vaters sei "einer Welle von Schmähungen und Belästigungen", Anspielungen auf ihre Hautfarbe und ihr Vorleben in der Presse sowie "offenem Sexismus und Rassismus" im Internet ausgesetzt. Ausdrücklich widersprach der Prinz damals der weitverbreiteten Meinung, so etwas müssten Prominente nun einmal aushalten. "Das ist kein Spiel."

Vom Partyprinzen zum Heldenprinzen

In der aktuellen Neuauflage ihrer glänzenden Charles-Biografie "Mit dem Herzen eines Königs" hat Catherine Mayer die Beziehung zwischen dem einst als Partyprinz verhöhnten, später als Heldenprinz gefeierten Harry und den britischen Medien analysiert. Deren Reaktion auf die selbstbewusste, geschiedene Schauspielerin habe sich von Anfang an weitgehend zwei Kategorien zuordnen lassen: "giftig oder picksüß". Vor allem die Boulevardblätter hätten sich der Herzogin gegenüber "unerbittlich rassistisch und frauenfeindlich" verhalten, urteilte die Autorin und Mitgründerin der Gleichberechtigungspartei Women's Equality Party am Sonntag in einem BBC-Interview.

Das Herzogspaar befindet sich, wie ITV-Mann Bradby aufzählte und Harry bestätigte, im Rechtsstreit mit mehreren großen Londoner Verlagshäusern. In den britischen Medien ist davon kaum jemals die Rede. Drei Verfahren sind allein gegen News UK anhängig, wo "Sun" und "Times" erscheinen. Je ein Verfahren richtet sich gegen das Boulevardblatt "Mirror" und die "Daily Mail". In letzterem Zivilprozess geht es um illegales Abhören von Telefonen, ja sogar einen Einbruch. Sämtliche Verlage bestreiten die Vorwürfe. "Die Medien wollen uns kontrollieren, okay. Aber wer kontrolliert sie? Mein Vater riet mir von den Verfahren ab und sagte, das sei wahrscheinlich eine Selbstmordaktion. Aber ich will versuchen, etwas zu bewirken, und das ist es mir hundertprozentig wert."

  • gab dem Königshaus eine Mitschuld am Verhalten der Boulevardpresse: "Einige Mitglieder der Königsfamilie gehen mit dem Teufel ins Bett. Ich halte das für falsch, aber das ist deren Entscheidung. Wenn es aber zum Nachteil anderer geschieht und sich gegen meine Familie richtet, habe ich etwas dagegen." Konkret warf Harry Charles' damaliger Geliebter, seiner heutigen Frau Camilla, vor, diese habe sich zu Beginn des Jahrhunderts bei der Presse beliebt machen wollen. So seien Details aus einem Treffen Camillas mit Prinz William in der Zeitung gestanden. "Die kamen nicht von William, konnten also nur von der einzigen anderen Person im Raum kommen."

Gemeinsam hätten die Brüder ihren Vater gebeten, die Frau seines Herzens nicht zu heiraten: "Wir unterstützen dich, wir heißen Camilla gut, aber bitte heirate sie nicht." Von Bradby ungläubig gefragt, warum er sich dann am Hochzeitstag im April 2005 als "glücklich" beschrieb, erwiderte der Prinz: "Es ist die Entscheidung meines Vaters. Die beiden waren damals sehr glücklich und bleiben das bis heute."

Jedenfalls sei das vielzitierte Königshaus-Motto "Keine Erklärung, keine Beschwerde" gegenüber den Medien Unsinn: "Es wird dauernd erklärt und reklamiert. In den vergangenen sechs Jahren wurden dauernd von Familienmitgliedern Dinge an die Medien weitergegeben. Meine Familie hat sich zum Komplizen gemacht in dem Leidensprozess meiner Frau."

  • beschrieb die für ihn enttäuschenden ersten Begegnungen seines Bruders William und dessen Frau Kate mit Meghan: "Die kamen vom ersten Moment an nicht gut miteinander aus." Auf welcher Seite die Schuld dafür lag, machte Harry umgehend deutlich: Bruder und Schwägerin hätten die Frau an seiner Seite "nicht willkommen" geheißen. "Es gab da viele Stereotype, also amerikanische Schauspielerin, geschieden, birassisch." Zwar habe William nie direkt versucht, ihm die Heirat mit der drei Jahre älteren Frau auszureden. Aber schon recht früh habe er sich besorgt gezeigt: "Das wird richtig schwer werden für dich." Was genau damit gemeint gewesen sei, wisse er, Harry, bis heute nicht. Vielleicht habe William die negative Haltung der Medien gegenüber Meghan vorhergesehen.
  • schwärmte von seinem neuen Leben im kalifornischen Montecito: "Ich war noch nie glücklicher." Seine Familie – neben Meghan auch die beiden Kinder Archie und Lilibet – leben in Sicherheit, und das sei seine Priorität. "Ich lebe im Frieden mit mir, ich habe zwei wunderschöne Kinder und eine tolle Frau." Manche Leute – gemeint war auch hier die Königsfamilie – hätten damit wohl Schwierigkeiten, "die finden das peinlich". Aber immer, wenn er nachgefragt habe, was seine Fehler seien, habe er keine Antwort bekommen.

Das Schreiben des Memoirenbandes sowie die sechsteilige Netflix-Serie – beides vergütet mit zweistelligen Millionenbeträgen – beschrieb Harry als "schmerzhaften, aber teilweise auch kathartischen Prozess". (Sebastian Borger aus London, 9.1.2023)