Andrej Babiš kann erleichtert in die bevorstehende Präsidentschaftswahl gehen.

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Turbulentes Wahlkampffinale in Tschechien: Der ehemalige Premierminister und aktuelle Präsidentschaftskandidat Andrej Babiš sowie seine ehemalige Beraterin Jana Nagyová wurden Montagfrüh im Prozess rund um die Affäre "Storchennest" freigesprochen. Nagyová waren Subventionsbetrug und Schädigung der finanziellen Interessen der EU zur Last gelegt worden, Babiš stand wegen des Vorwurfs der Beihilfe vor Gericht. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Bei der Präsidentschaftswahl, die am Freitag beginnt, dürfte es für Babiš aber einige Pluspunkte bringen – auch wenn in dessen Kernwählerschaft die meisten ohnehin nie an seiner Unschuld gezweifelt haben.

Der Ursprung der Causa um das mittelböhmische Freizeitresort Čapí hnízdo (Storchennest) liegt fast 15 Jahre zurück. Damals, im August 2008, wurden dem Storchennest umgerechnet etwa zwei Millionen Euro an EU-Subventionen zugesprochen – und zwar aus einem Topf zur Förderung von Klein- und Mittelbetrieben. Das Problem: Nur zwei Jahre zuvor hatte eine Firma aus der Unternehmensgruppe Agrofert das Areal erworben – der Holding des Agrarmilliardärs und späteren Regierungschefs Babiš.

Bald darauf wurde die Firma umbenannt und aus der Holding ausgegliedert. Als 2008 über die Förderanträge entschieden wurde, war das Storchennest somit eine eigenständige Aktiengesellschaft mit anonymen Eigentümern, wie es das damalige Gesetz erlaubte. Das Resort, das auch als Konferenzlocation dient, wurde 2010 eröffnet, 2013 kehrte es schließlich in den Schoß der Agrofert zurück.

Legal oder illegal?

Das Gericht musste nun im Wesentlichen darüber urteilen, ob es sich bei dem Herumgeschiebe um eine Straftat handelt oder lediglich um eine trickreiche, aber nicht illegale Transaktion eines Milliardärs, der an EU-Gelder für Klein- und Mittelbetriebe kommen wollte. Babiš wies jede Schuld von sich und stilisierte die Verhandlung zum "Politprozess", der ihn mundtot machen solle: "Wenn ich nicht in die Politik gegangen wäre, dann würde ich gar nicht vor Gericht stehen", lautete sein oft wiederholtes Mantra.

Auch dass die bereits kassierten Fördergelder inzwischen zurückgezahlt wurden, führte Babiš immer wieder zu seiner Verteidigung an. Dies geschah im Juni 2018 – "freiwillig", wenngleich erst nach Aufforderung der zuständigen mittelböhmischen Regionalbehörde. Zuvor hatte bereits die europäische Betrugsbehörde Olaf Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Förderantrags geäußert, das tschechische Finanzministerium hatte das Storchennest danach vom Bezug weiterer EU-Mittel abgeschnitten.

Die Details der Affäre, die die tschechische Politik nun bereits seit vielen Jahren begleitet, sind längst nicht nur Leckerbissen für juristische Feinschmecker. Vieles von dem, was bisher ans Tageslicht kam, hat auch Debatten über moralische Anforderungen an Politiker und Politikerinnen ausgelöst – und darüber, ob Babiš ihnen gerecht wird. Dieser hatte etwa behauptet, er habe zur Zeit des Förderantrags nichts mit dem Storchennest zu tun gehabt. Später räumte er im Parlament ein, die Aktien hätten damals seinem gleichnamigen Sohn und seiner Tochter aus erster Ehe sowie dem Bruder seiner aktuellen Partnerin gehört. Warum er zuvor nur von "irgendeiner Firma" gesprochen habe, über die er nichts Näheres wisse? "Um meine Familie zu schützen", antwortete Babiš. "Sie ist das Wertvollste, was ich habe."

"Menschlicher Abschaum"

Gerade vor diesem Hintergrund sorgte es für großen Wirbel, als besagter Sohn, der angeblich unter Schizophrenie leidet, später vor Journalisten erklärte, Babiš habe ihn gegen seinen Willen auf die Schwarzmeerhalbinsel Krim bringen lassen. Auch die erwähnte Tochter aus erster Ehe soll laut Babiš unter einer psychischen Erkrankung leiden. Kritiker des ehemaligen Regierungschefs sahen in all dem stets auch Manöver, mit denen er Aussagen seiner eigenen Kinder zu verhindern oder zu diskreditieren versuchte.

Sollte das stimmen, so hat es nicht viel genützt: Andrej Babiš junior etwa erklärte später vor Gericht, er habe nie Storchennest-Aktien erworben, die Unterschrift auf den Dokumenten sei gefälscht. Sein Vater drehte vergangene Woche aber einmal mehr den Spieß um: Wer "die kranken Kinder eines Politikers gegen diesen verwendet", den könne er "nur als menschlichen Abschaum bezeichnen", ließ er am Rande des Prozesses die Medien wissen. Journalistinnen und Journalisten, die sich mit der Causa befassten, nannte Babiš wiederholt "Hyänen".

Aufwind vor der Wahl

Bei der am Freitag beginnenden Präsidentschaftswahl zählt der Chef der liberal-populistischen Partei Ano zum Favoritenkreis. Sozialdemokraten und Kommunisten sind nicht mehr im Abgeordnetenhaus vertreten, nun stilisiert sich der Milliardär Babiš als Oppositionschef zum Vertreter der sozial Schwachen im Land. Außer ihm werden noch dem ehemaligen Armeegeneral Petr Pavel und der Ökonomin Danuše Nerudová reale Chancen eingeräumt, zwei Wochen später in die Stichwahl um die Nachfolge von Miloš Zeman einzuziehen. Beide erhalten Unterstützung aus der rechtsliberalen Regierung von Premier Petr Fiala.

Eine Teilnahme an der großen TV-Debatte am Sonntagabend hatte Babiš abgelehnt, sein Platz auf dem Podium blieb den ganzen Abend über leer. Doch gab es auch dort einen Paukenschlag, der ihn gefreut haben dürfte: Der weitgehend chancenlose Gewerkschaftsboss Josef Středula, einer der zuvor neun Bewerber, zog vor laufender Kamera seine Kandidatur zurück. Zwar rief Středula zur Wahl von Nerudová auf, doch viele glauben, dass die Sympathien seiner Klientel nun eher einem anderen gehören werden: Andrej Babiš. (Gerald Schubert, 9.1.2023)