Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten blockierten am Montag mehrere Kreuzungen in Wien.

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"Klimablockaden" müssten härter bestraft werden, findet Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). "Wer seine Freiheit dazu missbraucht, das Leben seiner Mitmenschen zu gefährden, dem muss der Entzug seiner Freiheit drohen." Konkret fordert Mikl-Leitner eine Strafverschärfung nach deutschem Vorbild. Wer Straßen blockiere und damit Menschenlebe gefährde, solle strafrechtlich belangt werden und nicht nur verwaltungsrechtlich, wie das derzeit der Fall sei.

Dass Mikl-Leitner, die sich seit einigen Wochen im Wahlkampf befindet, gerade jetzt zu einer schärferen Gangart gegen Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten aufruft, mag politisch wenig überraschen. Aber ist die Forderung rechtlich überhaupt sinnvoll? Mehrere renommierte Strafrechtsprofessoren, die DER STANDARD kontaktiert hat, stellen das in Abrede. Die Forderung sei "Anlassgesetzgebung", "rechtlich nicht durchdacht" und "klar abzulehnen".

Extremfälle schon jetzt strafbar

Mikl-Leitner hatte in ihrem Interview mit der APA auf den deutschen Tatbestand des "Gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr" verwiesen und eine ähnliche Vorschrift in Österreich gefordert. Nur: Der angesprochene Tatbestand kommt im Fall von Klimablockaden in Deutschland nicht zum Einsatz. "Der Straftatbestand ist ziemlich eng und kaum anwendbar für Klimakleber", erklärt Ingeborg Zerbes, Strafrechtsprofessorin an der Universität Wien.

Infrage kommt der Tatbestand nur, wenn Menschen ganz konkret einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt sind, zum Beispiel bei Geisterfahrten, sagt Klaus Schwaighofer, Strafrechtsprofessor an der Universität Innsbruck. Für solche Fälle gibt es aber auch in Österreich strafrechtliche Verbote, die hierzulande etwas breiter formuliert sind – etwa die "fahrlässige Gemeingefährdung" nach Paragraf 177 Strafgesetzbuch (StGB).

Wenn durch Blockaden Rettungskräfte behindert werden und Menschen Schaden nehmen, gibt es schon nach aktueller Gesetzeslage rechtliche Handhabe, sagt Alois Birklbauer, Strafrechtsprofessor an der Johannes-Kepler-Universität Linz. Infrage kommen etwa Delikte wie die fahrlässige Körperverletzung. Ist ein Rettungswagen unmittelbar hinter den Aktivisten, sind im Extremfall sogar Vorsatzdelikte wie Körperverletzung denkbar. Voraussetzung dafür wäre, dass die Aktivisten bewusst in Kauf nehmen, dass Menschen zu Schaden kommen.

Reine Blockaden nur in Deutschland strafbar

In einem Punkt ist die Rechtslage in Deutschland aber tatsächlich anders als hierzulande: Reine Blockaden, die niemanden gefährden, werden in Deutschland mit dem strafrechtlichen Tatbestand der "Nötigung" verfolgt, weil der Begriff der "Gewalt" von den Gerichten sehr weit ausgelegt wird. In Österreich lehnt das der Oberste Gerichtshof (OGH) ab. Infrage kommen daher "nur" Verwaltungsdelikte, die mit ein paar hundert Euro Strafe geahndet werden.

Den Vorschlag, ungefährliche Blockaden ins gerichtliche Strafrecht zu heben, lehnen die kontaktierten Fachleute ab. "Die deutsche Judikatur zur Nötigung ist sehr umstritten", sagt Schwaighofer. "Bei uns ist das bisher zum Glück anders." Die Forderung Mikl-Leitners sei rechtlich nicht durchdacht und "klar abzulehnen". Birklbauer sieht das ähnlich. Der Vorstoß sei ein Fall von "Anlassgesetzgebung".

Auch Manfred Ainedter, Präsident der Vereinigung österreichischer Strafverteidiger, hält vom Vorschlag Mikl-Leitners wenig. "Wir Strafrechtler sind keine Freunde von jedweder Anlassgesetzgebung", sagt der Rechtsanwalt. "Es ist ein altes Problem, dass sofort nach Strafverschärfung gerufen wird, wenn ein neues gesellschaftlich verpöntes Phänomen auftaucht." Der Anwalt verweist aber darauf, dass bei mehrmaliger Begehung von Verwaltungsdelikten auch Ersatzfreiheitsstrafen von bis zu zwei Wochen möglich sind.

Mildere Strafen als bisher?

"Das System ist in Deutschland ein anderes", sagt Birklbauer. "Manche Delikte sind dort im gerichtlichen Strafrecht geregelt, die bei uns ins Verwaltungsrecht fallen." Für Täter kann das gerichtliche Strafrecht sogar von Vorteil sein, weil es im Gegensatz zum Verwaltungsstrafrecht sozial gestaffelte Strafen und eine bedingte oder teilbedingte Strafnachsicht gibt. "Die Strafen könnten im Einzelfall sogar niedriger ausfallen", erklärt Birklbauer. "Vor allem bei erstmaliger Tatbegehung."

Ähnlich sieht das Schwaighofer. Strafen werden im gerichtlichen Strafrecht nach Tagsätzen berechnet. Wird ein Student, für den ein Mindesttagsatz von vier Euro gilt, etwa mit 100 Tagsätzen bestraft, wären das insgesamt 400 Euro. Würde der Richter oder die Richterin wie üblich die Hälfte oder drei Viertel der Strafe bedingt nachsehen, blieben 100 Euro über. Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren können sogar zur Gänze bedingt nachgesehen werden. Das ändert sich erst bei mehrmaliger Verurteilung.

"Strafen werden bewusst in Kauf genommen"

Dass Klimaaktivisten ihre Aktionen mit dem Klimaschutz rechtfertigen, ist zumindest aus Sicht des gerichtlichen Strafrechts nicht relevant, erklärt Birklbauer. "Das ist ein moralisches Argument, aber kein juristisches." Ein rechtfertigender Notstand käme nur dann infrage, wenn ein bestimmtes "Individualrechtsgut" betroffen ist – also etwa das Leben einer bestimmen Person.

Letztlich gehe es bei den Aktionen um zivilen Ungehorsam. Die Aktivistinnen und Aktivisten nehmen Strafen bewusst in Kauf. Höhere Strafen würden laut Birklbauer daher kaum präventiv wirken. "Es geht ja um Menschen, die aus Überzeugung handeln." (Jakob Pflügl, 9.1.2023)