Auch die Aktenberge sollen bald der Vergangenheit angehören. Neuanträge werden nun elektronisch erfasst.

Foto: imago stock&people

Zwei Millionen Minuten: So lange telefonierten die Mitarbeiter des neuen Callcenters der Wiener Einwanderungsbehörde MA 35 im vergangenen Jahr mit Menschen, die Fragen zu ihren Dokumenten, Aufenthaltstiteln und Fristen hatten. Von den in 400.000 geführten Gesprächen behandelten Fragen hätten zwei Drittel direkt geklärt werden können – der Rest sei innerhalb weniger Tage weiterbearbeitet worden. Zügiger würden nun auch die Verfahren im Bereich Einwanderung gehen – die zuvor ob der langen Dauer für reichlich Aufsehen gesorgt hatten.

Diese vorläufige Bilanz präsentierte der zuständige Stadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) am Montag im Rahmen eines Hintergrundgesprächs mit MA-35-Leiter Georg Hufgard-Leitner vor Medienvertreterinnen und -Vertretern – und das mit einem gewissen Stolz: War es doch sein deklariertes Ziel, mit Reformen die Verfahrensdauer zu reduzieren, die Behörde serviceorientiert und kundenfreundlich zu gestalten – und so das Schmuddelimage der MA 35 endlich loszuwerden. Doch ganz gelingen will das angesichts anderer Baustellen in der Behörde noch nicht.

Geläuterte Behörde?

Zunächst: Das Image haftet der Behörde nicht ganz ohne Grund an. Im Sommer 2021 kam es zu einer regelrechten Implosion der MA 35: Mitarbeiter reagierten nicht mehr auf Anrufe oder E-Mails. Während die einen von Überforderung angesichts der 150.000 Verfahren pro Jahr redeten, erreichten den STANDARD auch Berichte von Betroffenen, die auf Behördenwillkür, die von vereinzelten Mitarbeitern kultiviert wurde, hindeuteten: Da wurden Dokumente mehrmals und ohne Grund angefordert, und es wurden Fristen ignoriert. Für Betroffene steht dabei viel auf dem Spiel: der Arbeitsplatz, die Sozialleistungen und auch die neue Heimat.

Die Politik musste handeln: Aus diesem Grund wurde im Dezember 2021 ein Reformprozess mit telefonischem Callcenter, zusätzlichen Mitarbeitern und externer Begleitung durch eine Beratungsfirma gestartet. All das habe laut Wiederkehr bereits erste Früchte getragen. Im Bereich der Einwanderung sei einerseits die Verfahrensdauer stark reduziert worden – von durchschnittlich 71 auf 52 Tage. Um rund 15 Prozent mehr Verfahren seien zudem abgeschlossen worden, zeigte sich Wiederkehr erfreut.

Stadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) fordert Gesetzesreformen im Bereich der Einwanderung – die Vorgaben seien "schikanös".
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Langer Stau im Bereich Staatsbürgerschaften

Wo es sich allerdings mehr als zuvor staut, ist der Bereich der Staatsbürgerschaften. 350 Tage, also bis 2024, müssen Antragsteller bis zum nächsten freien Beratungstermin warten. "Zu lange", wie Wiederkehr auf Nachfrage einräumt. Ein Grund dafür ist die gestiegene Nachfrage, die zu einem Großteil auf die Nachkommen von NS-Opfern zurückgeht – für die allein die MA 35 zuständig ist. Diesem Antragsplus will man nun mit Gruppenterminen für Informationsgespräche und mehr Personal begegnen: Momentan würden 95 Personen geschult, die Ende des Jahres eingesetzt werden sollen. Bis dahin heißt es weiter warten.

Allerdings wäre das aus rechtlicher Sicht gar nicht notwendig. Österreicherinnen und Österreicher in spe könnten ihre Anträge nämlich auch schriftlich einreichen – die MA 35 müsste diese entgegennehmen. Einen zeitlichen Vorteil hat die Behörde durch die jetzige Praxis jedoch: Erst wenn der Antrag bei der Behörde vorliegt, fängt ihre Frist an zu laufen. Die MA 35 hat dann sechs Monate Zeit für die Bearbeitung. Schafft sie das nicht, kann eine Säumnisbeschwerde eingereicht werden.

Erleichterungen im Gesetzesdschungel

Dass die Behörde diese nicht unwesentliche Information vorenthält, rechtfertigt Hufgard-Leitner mit der komplexen Rechtsmaterie: "Es muss individuell abgeklärt werden, wo und wie lange die Person etwa in einem anderen Land gewohnt hat. Je nachdem werden dann auch Strafregisterauszüge, Einkommens- und Wohnungsnachweise fällig." Laut Hufgard-Leitner hätte hier die Behörde – entgegen der Meinung von Fremdenrechtsexperten– keinerlei Handlungsspielraum.

Wiederkehr pflichtet ihm bei: "Wer hat denn alle Einkommensnachweise der letzten sechs Jahre noch bei der Hand oder gar eine Wohnsitzmeldung von vor acht Jahren?" Die gesetzlichen Vorgaben seien hier völlig "überschießend" und "schikanös". Wie der SPÖ-Partner in Wien plädiert er daher für eine gesetzliche Änderung auf Bundesebene, um die Verfahren "zu entbürokratisieren". Das müsse entkoppelt von ideologischen Debatten stattfinden, sagt der Stadtrat. (Elisa Tomaselli, 9.1.2022)