Ganz selten kommen zur Faschingszeit Leute ins Star-Frisuren-Geschäft in der Meidlinger Hauptstraße, die sich eine Peppi zum Spaß aufsetzen wollen. Manchmal verlangen Damen nach einer Perücke, um typverändert den Gatten beim Fremdgehen zu überwachen. Für die meisten aber, die Frau Uschi und Frau Sabine – so nennen sie ihre Kunden und so wollen sie in diesem Text genannt werden – aufsuchen, ist der Weg mit einem ernsten Schicksal verbunden. "50 Prozent kommen wegen Haarausfalls infolge Chemotherapie. Die andere Hälfte wegen altersbedingten Haarausfalls, der Alopecia totalis." 90 Prozent von ihnen seien Frauen. Gerhard Wagner, der Chef, erklärt das so: "Wenn ein Mann eine Glatze kriegt, hat er halt kein Haar mehr. Wenn eine Frau eine Glatze kriegt, ist das eine Katastrophe."

Und nicht die Ausnahme. "Je älter man wird, umso mehr nehmen die Hormone ab und umso dünner werden die Haare", sagt Frau Sabine. Meist gehe dem Schritt in ihr Geschäft eine längere Leidensphase voraus. Zuerst versuchen Frauen noch – wie die Männer –, die wenigen verbliebenen Haare zu legen, oder sie verwenden Härchen, die man hineinstreut. "All das ist aber keine Lösung!", sagt Frau Uschi. Ebenso wenig wie Tinkturen, die einen Stopp des Haarausfalls versprechen.

Frau Uschi, Frau Sabine (sie wollen so genannt werden) und Star-Frisuren-Chef Gerhard Wagner (v. li.) haben 6.000 Perücken im Lager.
Foto: Regine Hendrich

Eine Frage der Eitelkeit

Wie schnell sich die Dame für eine Perücke entscheidet, hänge vom Grad der Eitelkeit ab. "Frauen sind sehr eitel!", sagt Frau Sabine. "Ich war eine schöne Frau, jetzt kann ich mich nimmer anschauen", hört sie oft. "Ich brauche Haare fürs Selbstwertgefühl." Die meisten Kundinnen sind 60 bis 70 Jahre alt, "in letzter Zeit betrifft es aber immer mehr junge Frauen." Wie etwa die Aktrice Jada Pinkett Smith, die bei der letzten Oscarverleihung wegen ihres kreisrunden Haarausfalls (Alopecia areata) von Comedian Chris Rock verhöhnt wurde. Ehemann Will Smith watschte ihn dafür ab. "Die meisten Männer stehen zu ihren Frauen", sagt Frau Uschi. Für die Frauen selbst aber seien die Büschel in den Bürsten kaum zu ertragen.

Kaum eine Dame bringt ein "Früher"-Foto mit, das sie mit vollen Haaren zeigt. Das sei auch nicht nötig, "denn wir wissen auf den ersten Blick, was sie braucht. Zu 90 Prozent ist die erste Perücke, die wir probieren, die passende. Das ist Erfahrung!" Frau Uschi ist seit 30 Jahren im Geschäft, Frau Sabine seit elf. Beide raten zu kommen, bevor die Haare ganz weg sind. Als Erstes fragen sie, ob man Farbe und Länge behalten möchte. "Meine Mitarbeiterinnen sind Friseurinnen", sagt Gerhard Wagner. Sie können an der Perücke noch alle gewünschten Veränderungen vornehmen. Außerdem sorgen sie dafür, dass es keine Schwellenangst gibt: "Wir haben Mitbewerber, da steht die tätowierte 25-Jährige bei der Türe, und dann soll sich die 70-Jährige bei ihr wohlfühlen?"

Echthaarperücken kosten bis zu 1.000 Euro, jene aus Kunsthaar 390 Euro.
Foto: Regine Hendrich

Alle 6.000 Perücken sind made in Asia. "Die einzigen Perückenknüpfer, die es bei uns noch gibt, sitzen im Theater." Für Echthaarperücken, die über 1.000 Euro kosten, werde indisches Haar oder solches aus Rumänien und Bulgarien verwendet. Egal, wie kohlpechrabenschwarz die Haare sind – sie werden gebleicht, bevor sie in der Wunschfarbe gefärbt werden. "Bis auf Grau, das geht nicht."

Kunsthaare kommen aus Japan. Um die 8.000 Einzelhaare werden für eine Vollhaarperücke (ab 390 Euro) mit der Hand geknüpft. "Die perfekte Perücke", sagt Frau Uschi, "ist eine Mischung aus Handarbeit beim Knöpfen und Maschine beim Nähen", dann fühle sie sich luftig an. Die Kunsthaarperücke ändere sich auch nach dem Waschen ("Einmal im Monat lauwarm mit Shampoo und Balsam") nicht, sie springe immer in ihre Frisur zurück, während die Echthaarperücke in Fasson gebracht werden müsse. Für Damen, die gerade eine Chemotherapie durchmachen und deren Schicksal oft herzerweichend sei, halten sie zwei Kabinen mit Vorhang bereit, hinter dem sie sich mit der Perücke vertraut machen können.

Waschgang fürs Kunsthaar

Die Pannen, die man aus Komödien kennt – Wind, der durchfährt; das Kind, das hineingreift – gibt es bei modernen Perücken nicht. "Die haben einen Klettverschluss, mit dem man die Größe verstellen kann." Unfälle gab es allenfalls, als noch mehr geraucht wurde. "Kunsthaar schmilzt dahin wie nix." Es gibt Kunden, die pro Jahr mehrere Perücken kaufen und eine stattliche Sammlung zu Hause haben, "die tragen sie von in der Früh bis in die Nacht", erklärt Frau Uschi. Wenn man aber nur eine ein Jahr lang durchträgt, dann werde sie von Schweiß, Fett und Dreck stumpf wie richtiges Haar auch.

Kunsthaar springt in die Frisur zurück, Echthaar muss in Fasson gebracht werden.
Foto: Regine Hendrich

In letzter Zeit würden sich wieder mehr Damen die alte Perücke servicieren lassen, auch hier merke man die Angst vor den steigenden Kosten. Eine Angst, die Frau Gruber nicht kannte. "Die hat bei uns fast 200 Perücken gekauft, vor kurzem ist sie verstorben", erzählt Frau Uschi. Alle ihre Perücken waren mächtig, mit blonden Locken – American Style eben, der sonst hier unverkäuflich sei.

Darum bestellt Wagner auch nie in Amerika. Solche Haarberge sähen unecht aus, das Wichtigste bei einer guten Perücke sei aber, dass sie nicht auffällt. Kein Problem mit Auffallen hingegen hätten Transgender-Personen. Nicht wenige von ihnen kämen mit der Gattin herein und spazierten mit ihr als Frauenpaar wieder hinaus.

Das Wichtigste einer guten Perücke ist, dass sie nicht auffällt.
Foto: Regine Hendrich

Von Sport mit Perücke raten die Verkäuferinnen ab. "Obwohl mich mal ein Kunde gefragt hat", erzählt Frau Uschi, "ob die Peppi hält, wenn er einen Handstand macht. Sag ich: Das kann ich nicht versprechen. Also hat er hier einen gemacht!" Und hat sie gehalten? "Freilich!" Die Perücke passte halt perfekt zu seiner Kopfgröße. Was die angeht, weiß Gerhard Wagner: "Am Balkan haben die Menschen größere als in Österreich, unsere Köpfe sind eher klein." Richtige Plutzer gibt es also erst ab südlich der Steiermark, was manch heimischem Großkopferten die Haare zu Berge stehen lassen wird.

So er noch welche hat. (Manfred Rebhandl, 10.1.2023)