Im syrischen Idlib, das unter türkischer Kontrolle steht und während des Krieges zum Zufluchtsort syrischer Rebellen wurde, demonstrierten die Menschen gegen eine Annäherung Ankaras an Damaskus.

Foto: AFP / Omar Haj Kadour

Die USA sind "not amused", aber es könnte auch zur Herausforderung für die europäische Syrien-Politik werden: Die Karten im Nahen Osten würden neu gemischt, wenn es tatsächlich zur türkisch-syrischen Versöhnung kommt. Diese Möglichkeit hat der türkische Präsident Tayyip Erdoğan selbst aufs Tapet gebracht, sogar ein persönliches Treffen mit dem syrischen Machthaber Bashar al-Assad.

Am Mittwoch sollen laut arabischer Zeitung "Asharq al-Awsat" die Außenminister der Türkei und Syriens, Mevlüt Çavuşoğlu und Faisal al-Mikdad, in Moskau zusammentreffen. Allein schon der Ort ist Washington, der Nato und der EU ein Dorn im Auge. Aber auch die Uno muss sich mit ihren jahrelangen Bemühungen, in Verhandlungen in Genf das Assad-Regime zu politischen Konzessionen der syrischen Opposition gegenüber zu bringen, ausgebootet fühlen, wenn Ankara Assad wieder umarmt.

2011, als der Aufstand gegen das Regime in Syrien losbrach, war der türkische Präsident einer der Ersten, die nach Assads Abtreten riefen. Die Türkei wurde während des folgenden Krieges zu einem der wichtigsten Unterstützer eines Teils der syrischen Opposition – die zum Teil in Ankara und Istanbul ansässig ist – und kontrolliert mithilfe von syrischen Rebellen Teile Syriens im Westen und Nordwesten. Dort ist nun nahezu Panik ausgebrochen, es kam zu Protesten gegen die neue türkische Politik.

Wahlversprechen

Hingegen zeigen Umfragen in der Türkei, dass eine Normalisierung mit Syrien populär wäre. Das gehört auch zu den Wahlversprechen von Teilen der Opposition. Man will, dass möglichst viele der etwa vier Millionen syrischen Flüchtlinge wieder nach Hause gehen können, die die türkische Wirtschaft, neben allen anderen Problemen, stark belasten. Erdoğan muss spätestens im Juni in Parlaments- und Präsidentenwahlen gehen. Seine Popularität hat zuletzt massiv abgenommen.

Der türkische Präsident hat, wenn er die Fühler nach Damaskus ausstreckt, auch noch ein anderes Ziel, das aber ebenfalls mit den Flüchtlingen thematisch verbunden ist: Er will die syrisch-kurdische PYD-Partei mit ihren YPG-Milizen von der syrisch-türkischen Grenze zurückdrängen. Seit Monaten droht er mit einer unilateralen Militäroperation, nun hofft er vielleicht auf die Kooperation von Damaskus. Die PYD/YPG sind für Ankara identisch mit der türkisch-kurdischen PKK.

Geplante Pufferzone

Die Türkei verfolgt seit Jahren den Plan, jenseits der Grenze, auf syrischem Territorium, eine 30-Kilometer-Pufferzone zu errichten, wohin sie auch syrische Flüchtlinge bringen könnte. Für alle türkischen Operationen in dem Gebiet war jedoch ein Konsens mit Russland nötig, von dem das Assad-Regime abhängig ist. Die türkisch-syrische Annäherung ist nicht zuletzt ein russisches Projekt. In Moskau haben auch die ersten Treffen stattgefunden: am 28. Dezember auf Verteidigungsminister- und Geheimdienstebene.

Für die USA zusätzlich frustrierend muss sein, dass sich die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), ein alter westlicher Partner, ebenfalls diesbezüglich engagieren: "Asharq al-Awsat" berichtet, dass sich Abu Dhabi sogar angeboten habe, Austragungsort eines Erdoğan-Assad-Gipfels zu werden.

Ob Assad dem türkischen Präsidenten, unter dessen Schutz in der syrischen Provinz Idlib neben normalen Rebellen auch syrische Hardcore-Jihadisten stehen, tatsächlich Wahlhilfe leisten will, bleibt noch zu sehen. Aber er hat durch eine Wiedererlangung der Gebiete, die sich bisher seiner Souveränität entziehen, viel zu gewinnen.

Eindämmung Irans

Der Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Abdullah bin Zayed, war vor wenigen Tagen zum zweiten Mal in Damaskus. Die VAE betreiben – bisher erfolglos – die Wiederaufnahme des 2012 suspendierten Syrien in die Liga der arabischen Staaten. Abu Dhabis Ansatz ist, dass Syrien nicht völlig dem iranischen Einfluss überlassen werden, sondern von den Arabern wieder integriert werden soll.

Dass der Iran und seine Vasallen, vor allem die libanesische Hisbollah, in Syrien noch stärker werden, fürchtet hingegen Israel. Das wäre zweifellos der Fall, wenn die Türkei die von ihr kontrollierten Gebiete Assad wieder übergibt. Israel ist ja auch schon damit konfrontiert, dass Russland in der Ukraine überdehnt ist und dadurch Syrien nicht die gleiche Aufmerksamkeit schenkt.

Für die syrischen Kurden, die sich während des Aufstands eine Autonomie im Nordwesten aufgebaut haben, ist die Entwicklung existenzbedrohend. Die YPG-Milizen sind außerdem ein Stück der US-Politik: Sie wurden bewaffnet und ausgebildet, um den "Islamischen Staat" zu bekämpfen und in Schach zu halten. Die USA haben selbst ein paar Hundert Soldaten in diesem Gebiet.

Die PYD/YPG-Kurden beziehungsweise die PKK sind auch Streitpunkt zwischen Schweden und Finnland auf der einen und der Türkei auf der anderen Seite. Ankara stellt Forderungen dafür, im Parlament den Beitritt beider Staaten zur Nato zu ratifizieren. (Gudrun Harrer, 10.1.2023)