Erhöhte Bedenken hinsichtlich der Nachhaltigkeit von Medien vor dem Hintergrund um sich greifender Inflation und ein massiver Einschnitt bei den Haushaltsausgaben: So umreißt der Medienwissenschafter Nic Newman vom Reuters Institute in Oxford seine Prognosen unter dem Titel "Journalism, Media, and Technology Trends and Predictions 2023". Als eine Hauptsorge macht die Studie, für die 303 Führungskräfte aus dem Medienbereich in 53 Ländern befragt wurden, die Vermeidung von Nachrichten aus.
Die russische Invasion in der Ukraine, die Auswirkungen der Klimaerwärmung und die Nachwirkungen der Covid-Pandemie hätten Ängste bei vielen Menschen zur Folge. Zwar sei Journalismus unter solchen Bedingungen oft gut gediehen, aber die deprimierende und unerbittliche Art der Nachrichten treibe viele Menschen davon weg. Newman stellt denn die Frage, ob 2023 das Jahr sein könnte, in dem Newsunternehmen ihre Angebote überdenken, um der Nachrichtenvermeidung entgegenzuwirken – mit "mehr Hoffnung, Inspiration und Nützlichkeit".
Bei der Befragung von Führungskräften zeigten sich die meisten Newsunternehmen (72 Prozent) über die zunehmende Nachrichtenvermeidung besorgt, speziell wenn es eben um wichtige und oftmals deprimierende Nachrichtenthemen wie die Ukraine und den Klimawandel geht. Nur zwölf Prozent sind diesbezüglich nicht besorgt. Als Gegenstrategie halten die Befragten erklärende Inhalte (94 Prozent), Frage-Antwort-Formate (87 Prozent) und inspirierende Geschichten (66 Prozent) für wichtig oder sehr wichtig. Die Produktion von mehr positiven Nachrichten gilt vergleichsweise mit 48 Prozent als nicht so wichtig.
Online statt Print
Mehr Zeitungen werden laut Newman in diesem Jahr die tägliche Printproduktion wegen erhöhter Druckkosten und geschwächter Verteilungsnetzwerke einstellen. Und mehr renommierte Titel könnten heuer auf Online-only-Modelle umstellen. Bei Kündigungen im Medienbereich sieht Newman die Bereiche TV- und Radionachrichten an vorderster Front, während sie mit Nachrichtenmüdigkeit und der Konkurrenz von Streamingdiensten zu kämpfen haben.
Insgesamt sind die Führungskräfte aus dem Medienbereich laut der Reuters-Umfrage hinsichtlich ihrer Geschäftsaussichten heuer deutlich weniger zuversichtlich als im vergangenen Jahr. Weniger als die Hälfte (44 Prozent) der Befragten blicken zuversichtlich auf 2023, rund ein Fünftel (19 Prozent) hat nur geringes Vertrauen.
Mehr Medienhäuser investieren laut der Umfrage heuer in Abo-Modelle und Mitgliedschaften. Eine Mehrheit von 80 Prozent hält dies für eine der wichtigsten Umsatzquellen, noch vor der Werbung. 68 Prozent erwarten sich trotz sinkender Ausgaben für den Konsum ein Wachstum bei Paid Content.
Tech-Plattformen unter Druck
Große Tech-Plattformen geraten laut der Reuters-Prognose zunehmend unter Druck, und zwar nicht nur wegen des wirtschaftlichen Abwärtstrends. Soziale Netzwerke der ersten Generation wie Facebook und Twitter hätten mit der zunehmenden Langeweile von älteren Nutzern zu kämpfen, während jüngere zu Netzwerken wie Tiktok wechseln würden. Es gebe aber auch die Hoffnung, dass neue Netzwerke und Modelle entstehen, die verstärkt auf Inhalte setzen, die gut für die Gesellschaft sind, statt Hass und Zorn zu befördern.
Laut der Befragung der Führungskräfte wollen Newsunternehmen weniger auf Facebook (minus 30 Prozent) und Twitter (minus 28 Prozent) setzen. Stattdessen sollen mit Tiktok (plus 63 Prozent), Instagram (plus 50 Prozent) und Youtube (plus 47 Prozent) Plattformen forciert werden, die sich an ein jüngeres Publikum richten.
In Sachen Innovation wollen die Befragten verstärkt in Digitalaudio (72 Prozent) und E-Mail-Newsletter (69 Prozent) investieren – beides Kanäle, die sich beim Aufbau von Loyalität zu neuen Marken bewährt haben.
Künstliche Intelligenz
Eine wesentliche technische Innovation, nämlich künstliche Intelligenz, ist laut der Reuters-Studie bereits angekommen. Künstliche Intelligenz habe Medienunternehmen schon im vergangenen Jahr etwa bei der Bewältigung der Informationsbewältigung geholfen, werfe aber auch existenzielle und ethische Fragen in Zusammenhang mit Deep Fakes und anderen synthetischen Medien auf. Vor diesem Hintergrund hätten Medien, die den digitalen Wandel nicht voll mittragen, massive Nachteile.
Entscheidend in den nächsten Jahren sei nicht, wie schnell wir uns der Digitalisierung anpassen, sondern wie schnell digitale Inhalte transformiert werden, um rasch sich ändernden Publikumserwartungen zu entsprechen. (glicka, 10.1.2023)