An einem Fenster in Ostsarajevo ist ein Emblem für "Putins Bewegung" mit seinem Abbild zu sehen.

Im gesamten Landesteil hingen an den Häusern Flaggen des Staates Serbien, so als würde man zum Nachbarland und nicht zu Bosnien-Herzegowina gehören. Am 9. Jänner begehen die regierenden serbischen völkischen Nationalisten in dem bosnischen Landesteil Republika Srpska jedes Jahr den "Tag der Republika Srpska", der vom bosnischen Verfassungsgericht verboten wurde. Sie feiern dabei den 9. Jänner 1992, als die "Versammlung der Serben in Bosnien und Herzegowina" die "Republik des serbischen Volkes" ausrief – ein illegaler Akt laut dem internationalen Recht. Die vom Nachbarstaat Serbien unterstützte Armee der Republika Srpska begann vier Monate später einen Krieg gegen den damals bereits unabhängigen Staat Bosnien-Herzegowina, um Teile des Staates abzuspalten und an ein Großserbien anzuschließen.

In der Folge wurden von dieser Armee der damals illegalen Republika Srpska zwischen 1993 und 1995 die Nichtserben systematisch vertrieben, gefoltert, in Konzentrationslager gesteckt und im Genozid gegen die Bosniaken rund um Srebrenica ermordet. Das Kriegsziel war es, ein "ethnisch" einheitliches Gebiet zu schaffen, wo nur noch Bosnier und Bosnierinnen leben sollten, die sich als Serben und Serbinnen verstehen – was in der Region seit dem 19. Jahrhundert mit dem Bekenntnis zum orthodoxen Glauben gleichgesetzt wird.

Nachtwölfe in Sarajevo

Heute, 31 Jahre danach, wollen die völkischen Nationalisten, allen voran der Chef der Partei SNSD, der Präsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, weiterhin ein Großserbien schaffen und damit den eigenen Staat Bosnien und Herzegowina zerstören. Die jahrzehntelange Propaganda wirkt. Viele bosnischen Serben und Serbinnen folgen dem Narrativ von Dodik. Dies war auch bei der Veranstaltung am Montag zu bemerken. Dodik hatte den verbotenen Feiertag nicht wie sonst in Banja Luka abhalten lassen, sondern im Osten Sarajevos, das zur Republika Srpska gehört. Das löste im anderen Teil Bosnien-Herzegowinas große Ängste aus – zumal schwerbewaffnete Polizisten in Ostsarajevo defilierten.

Die meisten Menschen hinter den Absperrungen hielten Fahnen mit den serbischen Nationalfarben in den Händen und winkten Dodik und dem serbischen Außenminister Ivica Dačić begeistert zu, als diese auf die Bühne traten. An der Parade nahmen nicht nur Sportgruppen, Postler, Rettungsleute und schwerbewaffnete Gendarmerie-Einheiten teil, sondern auch die Nachtwölfe, eine prorussische Biker-Truppe, die gar nichts mit der Verwaltung der Republika Srpska zu tun haben, aber auf die Ideologie verweisen, die Dodik prägt. Einen Tag zuvor hatte der Pro-Kreml-Politiker noch dem russischen Staatschef Wladimir Putin den höchsten Orden der Republika Srpska (RS) "für Patriotismus und die Liebe zur RS" verliehen.

Putins Jugend

An einem Fenster in Ostsarajevo, dort, wo die Parade stattfand, war ein Emblem für "Putins Bewegung" mit seinem Abbild zu sehen. Zu dem Aufmarsch waren viele Familien, auch mit kleinen Kindern, gekommen. Es gab zwar nichts zu essen und zu trinken, aber es herrschte Volksfestatmosphäre, und die Leute schienen die politische Inszenierung als völlig normal zu erachten. Die Parade findet schon seit Jahren statt, aber angesichts von Putins Krieg gegen die Ukraine achten westliche Kräfte mehr und mehr auf die expansionistischen und hegemonialen Ambitionen von völkisch-nationalistischen Serben, die ein Großserbien – genannt die "Serbische Welt" – schaffen wollen, analog zu den Zielen des Kremls, der ein Großrussland – genannt die "Russische Welt" – erschaffen, also die Nachbarstaaten einnehmen, will.

Das Vorhaben der Landnahme ist auf dem Balkan sichtbar – zu sehen sind Flaggen des Staates Serbien auch im Norden des Kosovo, und immer wieder gibt es auch politische Störmanöver in Montenegro, wo serbische Nationalisten Teil der Regierung sind. Bereits in den Kriegen gegen Kroatien (1991–1995) und gegen Bosnien-Herzegowina (1992–1995) sowie im Kosovo (1999) ging es den völkischen Nationalisten darum, einen "Staat für alle Serben" zu schaffen, eigentlich also um Territorium. Vor einigen Jahren noch beschwichtigten westliche Botschafter, dass es Dodik bloß um Rhetorik gehe. Sie nahmen seine großserbischen Ideen nicht ernst, doch in all den Jahren hat sich seine Propaganda jedenfalls als realistisches Szenario in den Köpfen der Menschen festgesetzt.

Feuerwerk in Sarajevo zu sehen

Besonders bedrohlich wirkte am Montag, dass die Parade nur 500 Meter von der Verwaltungsgrenze des zweiten bosnischen Landesteils, der Föderation, abgehalten wurde. Auch das Feuerwerk der Feiernden war noch in der Nacht in der Stadt Sarajevo selbst zu sehen. Sarajevo wurde im Krieg dreieinhalb Jahre von der Armee der Republika Srpska eingekesselt und beschossen.

Dodik selbst betonte bei seiner Rede in Ostsarajevo, dass der Raum der Republika Srpska den Serben gehöre und "wir bereit sind, für unsere Freiheit zu kämpfen". Er erwähnte dabei freilich nicht, dass in der Republika Srpska auch Nichtserben leben. "Wir sind in Bosnien und Herzegowina geblieben, weil wir mussten, weil das Dayton-Abkommen zu einem neuen politischen System geführt hat", führte er weiter aus. "Diese Nation will Freiheit", sagte er. Dodik beschwört die Bevölkerung schon seit vielen Jahren, dass die Serben nur dann frei wären, wenn sie in einem homogen Ethno-Staat zusammenleben würden.

"Es lebe das serbische Volk"

Er stellte sich zudem gegen das Verfassungsgericht, dass den Tag der Republika Srpska (RS) verboten hat. "Wir können nicht akzeptieren, dass ein falsches Gericht die Gründung der Republika Srpska bestreitet", sagte er und behauptete, dass die RS in Frieden gegründet worden sei, der Staat Bosnien-Herzegowina hingegen "mit Blut". Er erwähnte freilich nicht, dass es die Armee der Republika Srpska war, die den Staat Bosnien-Herzegowina angriff und ihn vernichten wollte. "Es lebe Serbien, es lebe die Republika Srpska, es lebe das serbische Volk", sagte Dodik am Ende. Auch der Sohn des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić, Danilo Vučić, war bei der Parade anwesend.

Die US-amerikanische Botschaft in Bosnien-Herzegowina übte Kritik an der Abhaltung des illegalen Feiertags. Die Republika Srpska werde sich selbst und ihre Umgebung mit der Geschichte der Unabhängigkeit zerstören, verlautete die Botschaft. Die Entscheidung von Dodik, Putin auszuzeichnen, jenen Mann, der eine unprovozierte Invasion in der Ukraine gestartet hat, die zum Tod tausender Zivilisten und zur massiven Zerstörung der Infrastruktur geführt hat, sei verwerflich, so die Erklärung. Dodik meinte dazu: "Ich werde meine Erklärung abgeben, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika den 4. Juli feiern. Ich weiß nicht, was ihr Problem ist. Ich weiß nicht, was sie von uns wollen. Sollen wir der Geschichte entsagen?"

Dodik will Staatseigentum

Dodik betonte auch, dass die RS sich an dem Tag an die Staatsverfassung anpassen werde, an dem ihr alles zurückgegeben werde, "was uns von Kriminellen der internationalen Gemeinschaft gestohlen wurde, die versuchen, uns die Freiheit zu nehmen". Bereits im Vorjahr wurde ein Gesetz in der RS veröffentlicht, wonach Immobilien, die im Staatsbesitz stehen, in den Besitz der RS übergehen sollen. Das Gesetz ist verfassungswidrig. Denn der Verfassungsgerichtshof hat festgestellt, dass nur das Parlament von Bosnien-Herzegowina über offene Fragen des Staatseigentums entscheiden kann.

Der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft, Christian Schmidt, hat deshalb im Vorjahr das Gesetz für "null und nichtig" erklärt. Nun hat die RS wieder ein Gesetz zu den Immobilien verabschiedet. Obwohl die Erläuterung des Gesetzes behauptet, dass die Kommentare des Verfassungsgerichts respektiert wurden, blieb der Kern des Gesetzes tatsächlich derselbe.

Nationalisten-Show in Višegrad

Auch andernorts in der Republika Srpska wurde der Tag gefeiert. Die Fans des Belgrader Fußballclubs "Roter Stern" organisierten in Višegrad einen Fackelzug auf der berühmten Mehmed-Pascha-Sokolović-Brücke. Rauchwolken in den Farben der serbischen Flagge wurden entzündet. Auf einem Transparent stand: "Gottes Hand ist stärker als das Gericht". Gerade in Višegrad wurden im Jahr 1992 viele Bosniaken Opfer von Massakern durch serbische Nationalisten. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 10.1.2023)