Auslöser der Proteste war der Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini im September 2022. Das Foto zeigt eine unverschleierte Frau, die auf einem Fahrzeug steht, während sich Tausende am 40. Tag des Todes von Amini auf den Weg zu ihrem Grab machten.

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Teheran/Genf – Nach Informationen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International droht mindestens 26 Demonstranten im Iran die Todesstrafe. Laut Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte ist auch eine Frau darunter, die Berichten zufolge wegen der Teilnahme an Protesten zum Tode verurteilt worden sind. Zwei Hinrichtungen stünden unmittelbar bevor, wie der Verantwortliche des Büros für die Region Mittlerer Osten und Nordafrika, Mohammad Al Nsour, am Dienstag in Genf sagte.

Der Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, appellierte an die Regierung in Teheran, die Vollstreckung auszusetzen. Bisher sind vier Demonstrationsteilnehmer hingerichtet worden. Zuletzt waren es zwei junge Männer am 7. Jänner, denen der Tod eines Sicherheitsbeamten vorgeworfen worden war.

Vage Vorwürfe und durch Folter erzwungene Geständnisse

Nach Angaben von Türk sind die Vorwürfe gegen die Angeklagten stets vage, und die Mindestgarantien für faire Gerichtsverfahren werden nicht eingehalten. Nach Informationen des Büros werden vermeintliche Geständnisse durch Folter erzwungen. Die Exekutionen kämen "staatlich sanktionierten Tötungen gleich", teilte Türk mit.

Die Behörden nutzten die Verfahren, um Menschen zu bestrafen, die ihre Grundrechte ausübten. Sie wollten Angst und Schrecken verbreiten, um abweichende Meinungen zu unterdrücken. "Dies verstößt gegen die internationalen Menschenrechtsnormen", so Türk. Der österreichische Hochkommissar hat angeboten, nach Teheran zu reisen, um mit den Behörden zu sprechen, teilte sein Büro mit. Zunächst finde in Kürze ein Gespräch in Genf statt. Solche Begegnungen gehörten zur Routinearbeit des Hochkommissars. Wer daran genau teilnimmt, werde aus Gründen der Vertraulichkeit nie kommuniziert.

Weiteres Todesurteil

Wie das Justizportal Misan am Dienstag mitteilte, wurde Jawad R. wegen seiner Beteiligung als "Rädelsführer der Unruhen" in der nördlichen Hafenstadt Noshahr für schuldig befunden und zum Tod verurteilt. Gemäß islamischer Rechtsauffassung wurde der Mann wegen "Kriegsführung gegen Gott" und "Korruption auf Erden" angeklagt. Gegen das Urteil kann noch Berufung eingelegt werden.

Ein Sportjournalist der über die Proteste berichtet hatte, wurde zu 18 Jahren Haft verurteilt. Gleichzeitig wurde der inhaftierte Journalist Mehdi Beyk der Zeitung "Etemad" auf Kaution freigelassen.

Strikte Bestrafung bei Kopftuch-Verstoß

Angesichts der anhaltenden Proteste im Iran gegen die Unterdrückungsmaßnahmen der islamischen Führung ist die iranische Polizei laut einem Agenturbericht angewiesen worden, Verstöße gegen die Kopftuch-Pflicht "strikt zu bestrafen". Wie die iranische Nachrichtenagentur Mehr am Dienstag berichtete, veröffentlichte die Generalstaatsanwaltschaft eine Anweisung an Polizei und Gerichte, "jeden Hijab-Verstoß strikt zu bestrafen". Die Gerichte im Land müssten bei derartigen Verstößen die Täterinnen aburteilen, sie mit Geldstrafen sowie mit "zusätzlichen Strafen wie Exil, Verboten, bestimmte Berufe auszuüben, und Schließung ihrer Arbeitsstätte" belegen, zitierte Mehr aus der Anordnung.

Auslöser der landesweiten Proteste gegen den repressiven Kurs der Regierung und das islamische Herrschaftssystem war der Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini im September. Sie starb in Polizeigewahrsam, nachdem sie wegen Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden war.

Belgischer Entwicklungshelfer im Iran wegen Spionage verurteilt

Weiters ist im Iran ein belgischer Staatsbürger unter anderem wegen angeblicher Spionage zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden. Wie das Justizportal Misan am Dienstag bekanntgab, wurde der Entwicklungshelfer Olivier Vandecasteele zu insgesamt 27,5 Jahren Haft verurteilt. Das Revolutionsgericht in Teheran verhängte demnach jeweils 12,5 Jahre Haft wegen angeblicher Spionage und Kooperation mit dem Erzfeind USA.

Darüber hinaus wurde der Belgier wegen angeblichen Geldschmuggels zu 2,5 Jahren Haft, einer Geldbuße sowie 74 Peitschenhieben verurteilt. Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden. Bereits im Dezember hatten Angehörige von Vandecasteele von der Verurteilung berichtet, die Begründung dafür war damals noch nicht bekanntgegeben worden.

Ausländische Gefangene als politische Geiseln

Derzeit sind mehrere europäische Staatsbürger im Iran inhaftiert. Viele von ihnen haben auch die iranische Staatsbürgerschaft. Die Sicherheitsbehörden begründen die Festnahmen üblicherweise mit dem Vorwurf der Spionage. Kritiker werfen dem Iran hingegen vor, ausländische Staatsbürger als politische Geiseln festzusetzen.

Die Beziehungen zwischen dem Iran und Belgien sind angespannt. Im Dezember hatte das belgische Verfassungsgericht einem umstrittenen Gefangenenaustausch mit dem Iran einen Riegel vorgeschoben. Vandecasteele sollte im Rahmen eines Abkommens mit einem verurteilten iranischen Diplomaten ausgetauscht werden. Der iranische Diplomat A. war 2021 wegen eines versuchten Anschlags auf ein Treffen iranischer Oppositioneller in Frankreich zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. (APA, dpa, 10.1.2023)