Ein Semester lang beschäftigten sich Forschende der Uni Wien im Zuge der Semesterfrage mit dem Spannungsfeld von Digitalisierung und Demokratie.
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Das Vertrauen in die Politik ist in Österreich dramatisch gesunken. Mit diesem Befund steht das Land jedoch keineswegs alleine da. Weltweit gerät der Glaube an politische Systeme ins Wanken, mit teils drastischen Folgen. Als Auswüchse davon können der Sturm auf das US-Kapitol im Jahr 2021 ebenso gewertet werden wie die jüngsten Angriffe auf Kongress, Höchstgericht und Präsidentenpalast in Brasiliens Hauptstadt Brasília.

Virtuelle Echokammern, digitale Filterblasen und in Windeseile verbreitete Falschmeldungen fachen Verdruss und das Misstrauen in die Politik vielfach an. Gleichzeitig eröffnen digitale Angebote jedoch auch neue Möglichkeiten gesellschaftlicher Partizipation und erlauben – zumindest theoretisch – den uneingeschränkten Zugang zu virtuell verfügbarem Wissen.

Kann der digitale Wandel demnach dabei helfen, die Demokratie wieder zu stärken? Diese Frage stand im Mittelpunkt der abschließenden Diskussion zur Semesterfrage "Was macht Digitalisierung mit der Demokratie?" der Universität Wien. Auf dem Podium standen die Datenethikerin Sandra Wachter, der politische Theoretiker Oliver Marchart, die Kommunikationswissenschafterin Sophie Lecheler und der Datenschutzexperte Christof Tschohl. Nana Siebert, stellvertretende Chefredakteurin des STANDARD, moderierte die Diskussion.

Was macht Digitalisierung mit der Demokratie? Im Rahmen der Semesterfrage der Uni Wien beschäftigten sich Expertinnen und Experten mit dieser Frage, die auch im Mittelpunkt der abschließenden Podiumsdiskussion stand.
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Neue Technologien als stille Rechtsbrecher?

Den Auftakt der Veranstaltung machte die Juristin und Datenethikerin Sandra Wachter von der Universität Oxford mit dem Impulsreferat "Künstliche Intelligenz & Demokratie: Wenn neue Technologien zu stillen Rechtsbrechern werden".

"Fake News, Deepfakes, Fehlinformationen und Online-Manipulation bereiten uns Kopfzerbrechen und stellen unsere Welt vollkommen auf den Kopf", beginnt Wachter. Der Ernst der Lage zeige sich etwa daran, dass Menschen zur Vorbeugung von Covid Bleichmittel tranken oder Falschmeldungen zu eskalierender Gewalt führten.

So tragisch aktuelle Ereignisse sind, zeigt ein historischer Abriss allerdings, dass Fake News immer Thema waren. Bespiele aus der Geschichte sind Königin Elisabeth I., der man nachsagte, sie sei ein Mann – einer Frau wurden ihre Errungenschaften wohl nicht zugetraut. Marie Antoinette wurde das Zitat "Lasst sie doch Kuchen essen" in den Mund gelegt. Der wahre Urheber Jean-Jacques Rousseau verbreitete das Gerücht, um der Französischen Revolution Vorschub zu leisten.

Sandra Wachter von der Universität Oxford sprach in ihrer Keynote über Technologien, die unbemerkt und im Stillen zu Rechtsbrechern werden.
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Fake News einst und heute

Was unterscheidet heutige Falschnachrichten von den Flunkereien der Historie? Mit Technologie gekoppelte Fehlinformationen generieren eine neue und immense Reichweite. War es früher nur elitären Gruppen möglich, Informationen oder Gerüchte weit zu streuen, bekommt heute jeder eine Bühne. Alleine Facebook zählt weltweit rund 2,6 Milliarden aktive Userinnen und User, und Millionen folgen fragwürdigen Accounts von Verschwörungstheoretikern oder Extremisten.

Weiters sind die heutigen Fakes um ein Vielfaches realistischer. Bilder und Videos können sogar ausgewiesene Fachleute täuschen. Wie schwer die Analyse fällt, belegt eine aktuelle Studie, in der Forschende bewerten sollten, ob es sich bei einer wissenschaftlichen Arbeit um eine Fälschung handelt. Die befragten Wissenschafterinnen und Wissenschafter konnten in nur 68 Prozent der Fälle erkennen, ob es sich um ein Fake handelte oder nicht.

Fragmentierte Realität

Als möglicherweise bedenklichste Unterscheidung zu früheren Falschinformationen führt Wachter letztlich die Stille an: "Algorithmen arbeiten abseits der Wahrnehmung, sie ziehen wie ein Puppenspieler im Hintergrund und nicht erkennbar die Fäden", sagt sie. Das führe zu einer fragmentierten Realität, in der jeder etwas anderes sehe – andere Suchergebnisse, andere Nachrichten, andere Postings.

"In unserer Bubble sieht alles neutral aus", erklärt Wachter. 80 bis 90 Prozent der Menschen glauben, dass sie sehen, was auch andere sehen. Dadurch komme auch kein Misstrauen auf – obwohl Informationen nicht nur gefiltert werden, sondern manche Stimmen gänzlich ausgeklammert werden. Etwa jene von Minderheiten und nichtweißen Menschen oder jene aus der LGBTQ-Community.

Von Anfangseuphorie zu Micro-Targeting

Nana Siebert, stellvertretende Chefredakteurin des STANDARD, moderierte die Podiumsdiskussion, in der der Politikwissenschafter Oliver Marchart an die anfänglich libertäre Idee vom digitalen Raum erinnerte.
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In der anschließenden Diskussion verortet der Politikwissenschafter Oliver Marchart, Uni Wien, die Debatte zwischen Euphorie und Depression. In den Anfängen herrschte mit der kalifornischen Ideologie große Hoffnung. Die Vorstellung, dass der digitale Raum ein zu besiedelnder neuer Kontinent sei, bewertet er als sehr libertäre Idee. "Dieser Raum sollte demokratische Möglichkeiten bieten, es Communitys erlauben, sich unabhängig vom Staat zu organisieren", erklärt er. Heute sei hingegen eine weitgehende Privatisierung dieses neuen Kontinents zu beobachten.

Angesichts dessen stellt sich die Frage, wie stark Micro-Targeting an den Grundfesten der Demokratie rüttelt. Hier beruhigt Sophie Lecheler, Kommunikationswissenschafterin an der Uni Wien mit Fokus auf Politische Kommunikation. "Wählen ist ein komplexes Verhalten, das nicht fundamental durch ein Posting verändert werden kann", sagt sie. Da der Einfluss von Micro-Targeting jedoch wachse, brauche es neue Regelwerke auf nationaler Ebene, um Prozesse transparenter zu machen und diese gegebenenfalls kontrollieren zu können.

Der Einfluss von Micro-Targeting steige und mache ein neues Regelwerk notwendig, argumentiert die Kommunikationswissenschafterin Sophie Lecheler von der Uni Wien.
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Potenzial zum Guten und Schlechten

Am Ende der Diskussionsrunde steht die Frage: Wird und wurde die Demokratie durch Digitalisierung nun gestärkter oder geschwächt?

Das komme darauf an, was man damit mache, befindet Wachter. "Social Media kann auch dazu beitragen, dass sich Leute zusammenfinden, die sich real nie getroffen hätten, und Ideen austauschen oder Proteste organisieren." Auch Wissen und Bildung werden digitalisiert und bieten großartige Möglichkeiten.

Der Datenschützer und Jurist Christof Tschohl plädierte für einen risikobasierten Ansatz im AI-Act der Europäischen Union.
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Gewaltige Potenziale zum Guten und Schlechten ortet auch der Jurist und Datenschutzexperte Christof Tschohl. Der AI-Act der Europäischen Union brauche daher einen risikobasierten Ansatz, plädiert er. Jemand, der eine KI auf die Welt loslasse, müsse auch eine Risikoabschätzung durchführen und nötigenfalls Maßnahmen ergreifen, diese Risiken zu eliminieren. "Nur mit diesem Ansatz kann man der Komplexität Herr werden", sagt er.

Wachter rät außerdem dazu, Ruhe zu bewahren: Jedes Mal, wenn eine neue Technologie entwickelt wurde, sei die Hölle los gewesen, auch beim Buchdruck. "Wir müssen Gesetze schaffen, die den goldenen Mittelweg finden, die Gutes zulassen und Schlechtes bestmöglich ausmerzen", schließt die Datenethikerin. (Marlene Erhart, 17.1.2023)