H. P. Baxxter lässt sich das Feiern auch im Lockdown nicht verbieten. Hier sieht man den Norddeutschen 2022 in seinem natürlichen Habitat während eines Auftritts von Scooter: "God Save the Rave!"
Foto: Avanti Media Fiction 2022

Es sind wohl die einsamsten Momente, die man sich im Leben eines kreativen Menschen vorstellen kann. Das leere Blatt Papier. Der "horror vacui", die Angst vor der Leere, gilt in der Kunstgeschichte als das Bedürfnis, möglichst jede freie Stelle in einem Werk zu füllen, und sei es nur mit Ornamenten. Wer fühlt sich nicht beim Eintreten in eine Barockkirche erschlagen? Erst in der Moderne begann sich dann als Gegenpol der Mut zur Leere durchzusetzen. Schon sind wir bei Techno und dessen systemischem Minimalismus angelangt, der an den Bars in den Clubs und in den Tabaktrafiken einst für Umsatzrekorde sorgte, weil die partywütigen Gäste sonst nicht wussten, was sie mit den Händen anfangen sollten. Die ganze Nacht die Hände in die Höhe zu recken ist sicher nicht abendfüllend.

Kirtag und Vollnarkose

In der Kinodokumentation FCK 2020 – Zweieinhalb Jahre mit Scooter der deutschen Regisseurin Cordula Kablitz-Post sehen wir den Kettenraucher H. P. Baxxter in diesem künstlerischen Minenfeld zwischen Opulenz und Reduktion im Studio sitzen und nach Worten ringen. Das neue Album seiner weltweit seit drei Jahrzehnten erfolgreichen Technoband Scooter (Hyper Hyper) muss fertiggestellt werden. Die bewährt überwältigenden und mit Beats und Bässen im Zeichen von Kirtag und Vollnarkose vollgestopften Tracks ballern aus den Boxen, H. P. greift zum Federkiel: "Lyrical, magical, mystical ..." Das erzeugt ein emotionales Spannungsfeld – aber wie soll man dieses bloß auflösen?! H. P. Baxxter dichtet: "That’s why they call me Bimm-Bamm!"

Seinen bis Ende 2022 aktuellen zwei musikalischen Mitstreitern Michael Simon und Sebastian Schilde fällt nun die heikle Aufgabe zu, diesen Text nicht ganz so gut zu finden. Immerhin ist die Rollenverteilung bei Scooter klar. Sie lautet: H. P. Baxxter ist Scooter, der Rest ist austauschbar. Wichtig bei der Band ist erst zweitens eine ständige musikalische Weiterentwicklung auf dem Nullpunkt. Bei der blieben schon frühere für die Musik zuständige Mitglieder wie vor allem Baxxters Jugendfreund Rick J. Jordan ausgebrannt auf der Strecke. Zentraler Bestandteil des unterkomplexen Scooter-Universums ist allererstens die Party! Wer da nach einem Auftritt nicht mitmachen will, der ist bald einmal draußen.

KinoCheck Indie

Der "Barzwang", sich also auf professioneller Ebene seit den frühen 1990er-Jahren die Hucke mit Wodka Red Bull und "allem, was so gewünscht wird", vollzuknallen, wird von H. P. Baxxter sehr ernst genommen: "Das ist das Gesetz Scooter!" Beim Einstellungsgespräch mit einem potenziellen neuen Crewmitglied ist die Einstiegsfrage unseres Helden nicht ganz ironisch gemeint: "Seit wann bist du Alkoholiker?"

Regisseurin Cordula Kablitz-Post erwischt Scooter in den Jahren 2019 bis 2022 auf dem falschen Fuß. Wir schreiben die Zeit der Pandemie und der Lockdowns. H. P. Baxxter sitzt daheim in der Villa in Hamburg-Schnöseldorf mit seiner ziemlich jüngeren blonden Freundin und zwei Schoßhündchen. Das Haus ist in einer Mischung aus viktorianischem Herrensitz und Elvis Presleys Graceland eingerichtet. Viel nacktes Öl auf den roten Wänden, Tiger- und Leopardenfelle. Alles sehr sauber, darauf legt der pedantische Hausherr wert. Die Unordnung in seinem Kopf sei groß genug.

Manchmal sieht man Baxxter dann auch mit seinem Rolls-Royce durch die Gegend fahren. Der Lockdown ist hart, aber solange sein Friseur für ihn aufsperrt, ist die Welt nicht untergegangen: "Einmal pro Woche muss ich zu ihm, sonst dreh’ ich durch." Im Jaguar holt H. P. den Christbaum für die Mama. Und er macht Party in St. Tropez: "Das ist der Ballermann für Reiche." Gleich nach seiner Covid-19-Erkrankung geht das Leben gewohnt weiter: "Vielleicht habe ich es in St. Tropez ein wenig übertrieben."

20 Millionen Platten haben Scooter mit Hits wie How Much Is the Fish? oder Faster Harder Scooter und Balla-Balla-Lyrik verkauft. Ein kleines Geheimnis sei verraten: Die Texte sind dem Dichter egal. Sie kommen "random" daher, wie er sagt. Hauptsache, Kasernenton und Megafonverzerrung. Das zentrale Thema des großen, bald 60-jährigen Rave-Kids namens Hans Peter Geerdes war nie die Musik allein. Es war das Gesamtpaket: Es geht um das Aufwärmritual backstage vor den Auftritten und den Kater danach. Immerhin kann die Band in Tallinn auftreten und bei einem Festival in Manchester: "God Save the Rave!"

Triumph im Autokino

Nur bezüglich eines Lockdown-Auftritts in einem bayerischen Autokino verweigert Baxxter seinem Manager die Mitwirkung: "Hey, das find’ ich so scheiße. Wenn da wirklich richtig Sound wäre und das dröhnt, dass die Scheiben wackeln von den Autos, dann würde ich sagen: Okay. Aber so kommt das gar nicht infrage." Einen Bildschnitt darauf sieht man Scooter im Autokino auftreten. Band und Publikum sind begeistert. Die Party danach ist trotz Lockdown auch gesichert. Nach den Dreharbeiten steht Baxxter derzeit allerdings ohne Band da. Die beiden Herren Michael Simon und Sebastian Schilde wollten und konnten nicht mehr. (Christian Schachinger, 11.1.2023)