Alireza Firouzja, einer der weltbesten Schachspieler, kehrte dem Iran den Rücken, weil er nicht gegen Israelis spielen durfte. Jetzt tritt der 19-Jährige für Frankreich an.

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Schachschiedsrichterin Shohreh Bayat wanderte nach London aus.

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Die ganze Sportwelt? Nein. Der vom Putin-Vertrauten Arkadi Dworkowitsch geführte Weltschachbund Fide hört nicht auf, iranischen Antisemitismus zu tolerieren. Bei der WM im Schnell- und im Blitzschach traten Iraner, denen Israelis zugelost wurden, aus Staatsräson zu diesen Partien einfach nicht an – ohne dass die Fide bei dem Turnier kurz vor Jahreswechsel in Kasachstans Hauptstadt Almaty auch nur die geringste Sanktion verhängt hätte. So gesehen ist Schach im Sport außen vor, andere Verbände hatten sich zuvor – teils nach vielen Jahren – dazu durchgerungen, dem iranischen Antisemitismus entgegenzutreten.

Dworkowitsch kommt in einer Zeit, da Russland die Ukraine auch mit iranischen Drohnen bekriegt, möglicherweise nicht aus. Dass er auskommen wollte, kann bezweifelt werden. 2008 bis 2012 war er einer von fünf persönlichen Beratern Wladimir Putins. 2017 wurde er Aufsichtsratsmitglied der staatlichen russischen Rosselchosbank, seit 2018 steht er der Fide vor. Im Aufsichtsrat des russischen Schachverbands sitzt er schon länger, unter anderem neben Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Putins Pressesprecher Dmitri Peskow.

Zwischen den Stühlen

Mag sein, dass Dworkowitsch auch zwischen den Stühlen sitzt. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine musste die Fide die Schacholympiade von Moskau nach Chennai (Indien) verlegen und den Schachspieler Sergei Karjakin, der den Krieg und Putin gar zu laut gelobt hatte, ein halbes Jahr sperren. Daraufhin sah sich Dworkowitsch in Russland dem Vorwurf ausgesetzt, er sei ein Verräter.

Kein Wunder, dass die Fide auch der Schachschiedsrichterin Shohreh Bayat entgegentrat. Die Iranerin sorgte bei einem Turnier im Oktober in Reykjavík mit dem T-Shirt-Aufdruck "Women Life Freedom" für Aufsehen. Als Bayat von Dworkowitsch aufgefordert wurde, sich umzuziehen, erschien sie in den Ukraine-Farben Blau-Gelb. Daraufhin, sagt sie, habe die Fide festgestellt, sie sei als Referee ungeeignet.

Bayat hatte schon Anfang 2020 ihr Kopftuch abgelegt und dem Iran den Rücken gekehrt, um in London um Asyl anzusuchen. Im Exil wie im Iran sind viele Sportstars in Opposition – und das nicht erst, seit die Staatsgewalt den gewaltsamen Tod der 20-jährigen Mahsa Amini zu verantworten hat, brutal gegen Demonstrationen vorgeht und Todesurteile verhängt.

So hat der Iran neben Ansehen in den meisten Teilen der Welt bereits viele Talente verloren, nicht nur, aber auch im Sport – und auch im Schach. Zuletzt reiste Sara Khadem, die als Nummer 17 der Welt die WM mit offenem Haar bestritt, von Almaty direkt nach Spanien, wo sie mit ihrem Ehemann, dem Regisseur Ardeshir Ahmadi, und ihrem Sohn auf Asyl hoffen dürfte.

Zwischen den Ländern

Alireza Firouzja zählt mit seinen 19 Jahren schon seit geraumer Zeit zur Elite, aktuell ist er die Nummer vier der Weltrangliste. Dass er 2019 mit seinem Vater nach Frankreich übersiedelte, war dem iranischen Verbot geschuldet, gegen Israeli anzutreten. Mittlerweile ist Firouzja französischer Staatsbürger und tritt für Frankreich an.

Auch im Judo war Antisemitismus lange Zeit ein Thema. Nachdem iranische Judoka regelmäßig Kämpfe gegen Israeli verweigert hatten, war der Druck aufs Internationale Olympische Komitee (IOC) gewachsen, den Iran zu sanktionieren. Das IOC leitete diesen Druck an den Judoweltverband (IJF) weiter, der 2019 eine vierjährige Sperre über den Iran verhängte. Irans Weltklassejudoka Saeid Mollaei hatte sich bereits 2017 nach Deutschland abgesetzt. In weiterer Folge wurde er von der Mongolei eingebürgert, für die er auch 2021 die Olympischen Spiele in Tokio bestritt.

Paul Haber, Präsident des jüdischen Sportvereins Hakoah Wien, wünscht sich bei Antisemitismus im Schach ähnliche Sanktionen wie im Judo. Wobei ihm klar ist, "dass die Sportlerinnen und Sportler im Iran politische Opfer sind". (Fritz Neumann, 10.1.2023)