Lisa Schiller hat ihr Heimatdorf Immerstill hinter sich gelassen und betreibt einen kleinen Cupcake-Laden in Wien. Als ihre jüngere Schwester Marie und deren Freundin Natalie plötzlich verschwinden, kehrt sie zurück, um auf eigene Faust nach den Vermissten zu suchen. Doch Immerstill macht seinem Namen alle Ehre, und noch bevor Lisa mithilfe ihres Ex-Freundes, des Polizisten Patrick, einer richtigen Spur nachgehen kann, wird ein totes Mädchen in den Auen der Drau gefunden. Im Bild: Christina Cervenka (Lisa Schiller), Michael Glantschnig (Patrick Pollanc).

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Eva Spreitzhofer führte im ORF-"Landkrimi: Immerstill" Regie.

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In der Kärntner Gemeinde Immerstill verschwinden Frauen spurlos. Und keiner redet darüber. Die junge Lisa wollte das Kaff eigentlich hinter sich lassen und ging nach Wien. Jetzt kehrt sie zurück, um ihre Schwester zu suchen und das Schweigen zu brechen. Christina Cervenka spielt die Hauptrolle in diesem feministischen Krimi über Männer, Macht und Missbrauch. Eva Spreitzhofer sorgt in ihrer ersten Regie-Arbeit bei einem ORF-"Landkrimi" für eine beklemmende Atmosphäre ländlicher Gewalt. Es sei ihr darum gegangen, Gewalt an Frauen anders zu erzählen, "Frauen nicht nur als Opfer zu zeigen und Männer als die, die das aufklären – sondern auch darum, darauf zu schauen, was das mit einer Gesellschaft und dem Umfeld macht". Immerstill ist am 17. Jänner um 20.15 Uhr auf ORF 1 zu sehen.

STANDARD: Der Kriminalroman Immerstill von Roman Klementovic unterscheidet sich vom Film Immerstill wesentlich. Warum war die Änderung notwendig?

Spreitzhofer: Ich habe den Auftrag bekommen, dieses Buch zu verfilmen. Wenn ein Mann über das Verschwinden von jungen Mädchen oder auch älteren Frauen schreibt, hat er eine andere Perspektive als ich.

STANDARD: Es geht um ein für Frauen toxisches Umfeld, um Gewalt an Frauen und tödliche Schweigekultur im ländlichen Raum. Welches Umfeld hatten Sie beim Schreiben vor sich?

Spreitzhofer: Mir war wichtig, von Menschen zu erzählen, die man mag. Denn das macht es ja oft so schwierig, dass man mit Menschen zu tun hat, die schreckliche Dinge tun, gleichzeitig aber auch nett sind und sich in einem Umfeld mit freundlichen Leuten bewegen. Die Bösewichte im Film und im Fernsehen sind oft einfach nur böse, im echten Leben sind sie hingegen oft unsere Männer, unsere Freunde, unsere Geliebten, unsere Väter, unsere Söhne. Ich wollte zeigen, was wir alle kennen, in einer lustigen Runde zu sitzen – und auf einmal fallen Sätze, bei denen es einem den Magen aushebt. Aber man lacht dazu und macht weiter, weil man in diesem Umfeld nicht die Spaßbremse sein will. Diese Runden gibt es in der Stadt und auf dem Land. Und ich wollte Menschen von heute zeigen, die in einem Dorf leben, aber genauso damit konfrontiert sind, was sich weltweit alles ändert, und dass es eine große Sehnsucht gibt, wegzugehen, aber auch viel Ressentiments gegen die, die es tun.

STANDARD: Dagegen tritt die Hauptfigur Lisa, gespielt von Christina Cervenka, energisch an. Wie haben Sie die Figur kreiert? Schlagfertig musste sie jedenfalls sein.

Spreitzhofer: Genau. Wir müssen den Frauen Pointen schreiben, das ist ganz wichtig. Wo die Pointe ist, ist die Macht. In Fernsehfilmen, aber auch im Kino sehen wir sehr oft, dass Männer, auch wenn sie ganz grindig sind – Zuhälter, Frauenmörder, was auch immer – lustig sind. Frauen sind Opfer, sie weinen, sind traurig, schwach, und wenn sie stark sind, sind sie auch nicht lustig.

STANDARD: Missbrauch in Immerstill findet auf allen Ebenen statt: Verhaberung, Kleinreden, Vertuschen, Einschüchterung, die Scham der Opfer. Welche Ihrer eigenen Erfahrungen flossen in die Geschichte ein?

Spreitzhofer: Ich komme aus einer sehr politischen Familie und setze mich, seit ich denken kann, mit Themen von Macht, Autorität und Zusammenleben von Männern und Frauen auseinander. Was bedeutet es, dass 53 Prozent der Weltbevölkerung Frauen sind, aber in ihrer Macht wie eine Minderheit wahrgenommen werden? Jetzt, da sich ein bisschen etwas bewegt und tatsächlich Männer Machtverlust erleben, wirkt sich das aber so aus, dass Männer sagen: Um Gottes Willen, wir sind ja jetzt komplett die Loser geworden! Was interessant ist. Natürlich geht eine Veränderung von einem Ungleichgewicht nur, wenn denen, die mehr haben, genommen wird. Das kann nicht anders sein. Dass es von manchen so wahrgenommen wird, als würden sie alles verlieren, weil sie ein paar Privilegien verlieren, überrascht mich. Gleichzeitig gibt es immer mehr Männer, die verstehen, worum es geht. Beim Drehen von Immerstill zum Beispiel war ich diesbezüglich in einem ganz großen Glück – mit der Filmfirma, dem Team, den Schauspieler:innen, ZDF- und ORF-Redakteur:innen hatten wir alle eine sehr ähnliche Sicht auf diese Themen.

STANDARD: Wie sehr haben Sie beim Schreiben und Inszenieren an die Filmbranche mit einer #MeToo-Diskussion zuletzt auch in Österreich gedacht?

Spreitzhofer: Gar nicht. Ich glaube, es gibt keine Branche in keiner Ecke der Welt, wo es diese Mechanismen nicht gibt. Wenn ich eine Geschichte erzähle, denke ich in erster Linie an die Figuren und an die Situationen, und natürlich fließt alles ein, was ich erlebe und kenne. Wenn ich Filme sehe aus ganz anderen Ecken der Welt, sind es überall genau die gleichen Themen, weil wir alle miteinander die gleichen Probleme haben, aber sie aus unterschiedlichen Perspektiven erleben, deshalb ist Diversity so wichtig. Es geht nicht um eine theoretische Wokeness, sondern um die Auseinandersetzung mit unserer Situation und vor allem, um die Frage, wo wir hinwollen. Der Filmemachen bietet die Möglichkeit, etwas zu zeigen, was jetzt noch nicht so ist und so zu tun, als sollte es selbstverständlich sein. Der Bürgermeister in Immerstill ist der ärgste Macho, und trotzdem gendert er in der Ansprache im Dorf. Weil ich das so will.

STANDARD: 2022 war das Jahr von #MeToo im Film. Was im Nachhinein immer wieder zu hören ist: Den Frauen, die aufgezeigt haben, hat es das Leben und Überleben im Film nicht leichter gemacht.

Spreitzhofer: Für Menschenrechte zu kämpfen erleichtert das Leben nie. Natürlich könnte man es einfacher haben, wenn man sich nicht um Probleme kümmern und so tun würde, als würden wir in einer optimalen Welt leben.

STANDARD: Vielleicht geht es ums Überleben: Sie bekommt keinen Auftrag mehr.

Spreitzhofer: Das habe ich früher sehr viel schlimmer erlebt. Ein Schutz ist da eben auch die Frauenquote. Damit es um Qualität geht bei Besetzungen und eben auch die arbeiten können, die eine andere Haltung haben, anders agieren. Auch am Filmset. Man kann Konflikte auch auf Augenhöhe austragen. Bei mir gibt’s zum Beispiel kein Herumschreien am Set, von niemandem.

STANDARD: Gibt's das noch, das Herumschreien am Set?

Spreitzhofer: Ich kann nur von meinen Drehs reden. Bei meinen ist es weniger geworden. Dort, wo ich etwas dagegen tun kann, mache ich es. Wir arbeiten unter großem Stress, mit immer niedrigeren Budgets, in einer sehr hierarchischen Struktur. Arbeitsrecht, Kinderrechte, achtsamer Umgang auf Augenhöhe dürfen trotzdem kein Widerspruch zu künstlerischer Arbeit sein.

STANDARD: 2021 gab es eine Austrittswelle beim Regieverband wegen fehlender Dialogbereitschaft zur Quotenfrage. Was hat's gebracht?

Spreitzhofer: Alle diese Dinge passieren in erster Linie nicht, damit es unmittelbar etwas bringt. 2021 waren viele mit der Situation so unzufrieden und wollten etwas ändern. Es gab verschiedene Gründe und sehr unterschiedliche Sorgen zur Zukunft des Regieverbands. Aufsplitterung ist nie eine gute Idee, wenn man gemeinsame Interessen hat, da sehe ich im Moment noch keine gute Lösung, aber manchmal muss man einfach ein Zeichen setzen. Es ist aber auch gerade so, dass ich meine Themen im Moment lieber in meinen Filmen als in den Gremien einbringe. Egal ob das SOKO Donau ist oder Komödien, ich habe großen Spaß, wenn die Leute zusätzlich zu dem, was sie bestellt haben, etwas mitgeliefert bekommen, von dem sie überrascht sind oder was nicht im Vertrag war. Sie bekommen einen Benefit, den sie zu schätzen wissen.

STANDARD: Da gäbe es noch Möglichkeiten. Wie wäre es mit einer feministischen Folge von Weber & Breitfuß?

Spreitzhofer: Ich möchte, dass man über die Mächtigen lacht und nicht über die Schwachen. Man lacht mit Personen und nicht über Personen. Mein Humorverständnis ist Loriot, der Klischees bedient, sodass wir uns wieder erkennen, und nicht Stereotype bedient, in denen über eine Piepsblondine gelacht wird. Im konkreten Fall müsste es den Wunsch geben, eine Regie zu holen, die eine andere Perspektive mitbringt. Wo es darum geht, nicht die Lacher zu haben, bei denen man sich bestätigt fühlt, sondern wo man ein bisschen moderner lacht. Jede Person, die streamt und Patricia Arquette, Reese Whitherspoon, Amy Schumer, aber auch Mare of Easttown sieht, wird bemerkt haben, dass wir mit unserem Verständnis von Humor und Feminismus im öffentlich-rechtlichen Rundfunk etwas hinterherhinken.

STANDARD: Wie geht das mit einer romantischen Sisi-Manie zusammen, in denen überholte Geschlechterrollen bemüht werden?

Spreitzhofer: Wir leben im Patriarchat und im Kapitalismus, beide befördern bestimmte Machtmechanismen und sind durch enge Geschlechterrollen gekennzeichnet. Ich bin sicher, Romy Schneider würde Corsage lieben und würde gerne mit Marie Kreutzer arbeiten wollen. So ambivalent und so komplex ist die Welt.

STANDARD: Das Filmanreizmodell sieht auch eine Frauenförderung vor. Reicht das?

Spreitzhofer: Generell finde ich Frauenförderung das falsche Wort. Frauen brauchen keine Förderung. Frauen, die etwas können und aus irgendwelchen Gründen nicht in wichtige Positionen gekommen sind, hat es immer gegeben. Anreize sind gut, aber das Einzige, das wirklich etwas bringt, sind Quoten. Anreizmodelle sind dann gut, wenn sie Konsequenzen haben. So wird das immer mehr gedacht.

STANDARD: Ohne allzu viel zu spoilern, Immerstill endet nicht ganz gut. Gab's keine Möglichkeit für ein Happy End?

Spreitzhofer: Wenn in einer Familie etwas ganz Grauenvolles passiert ist, kann das Ende nicht gut sein, aber es geht um die Resilienz. Was machen die Leute, die übrig geblieben sind, und was hat sich dadurch verändert? In meinem Film haben einige Figuren etwas verstanden, und deshalb wird es anders weitergehen. Das soll heißen: Wir müssen weitermachen, weiterkämpfen, und das passiert ja auch.

STANDARD: Kommt von Womit haben wir das verdient? eine Fortsetzung?

Spreitzhofer: Ich habe einen zweiten Teil geschrieben, der an einem Weihnachtsabend spielt und vieles thematisiert, was uns gerade beschäftigt: Pandemie, veganes Essen, Transgender. Wir haben bereits die Förderung vom Filmfonds Wien, demnächst wird entschieden, ob wir die Förderung von ÖFI und ORF bekommen. Sollten wir sie bekommen, könnten wir im April zu drehen beginnen. Wenn alles gutgeht, kommt der Film Weihnachten 2023 ins Kino. (Doris Priesching, 16.1.2023)