Das Verwaltungsgericht Aachen lehnte zwei weitere Eilanträge der Aktivisten gegen das Aufenthaltsverbot in Lützerath ab.

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Die Polizei hat massive Kräfte in der Region zusammengezogen.

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Die Protestierenden wollen, dass "Lützerath bleibt".

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Erkelenz – Nach dem Start der Räumung des besetzten Braunkohleorts Lützerath im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen hat sich die Lage nach Angaben eines Polizeisprechers am Mittwochvormittag stabilisiert. Der Energiekonzern RWE gab bekannt, dass bereits am Mittwoch der Rückbau der Siedlung beginnen soll und auch ein Bauzaun errichtet werden soll. Die deutsche Bundesregierung verurteilte die gewaltsamen Ausschreitungen bei der Räumung des Orts.

VIDEO: Szenen der Räumung des Dorfes Lützerath – gewaltsame Zusammenstöße zwischen Polizei und Klimaaktivisten.
DER STANDARD

Einsatzkräfte hätten am Mittwoch den gesamten Bereich abgesperrt, niemand komme mehr unbefugt hinein, hieß es. Personen könnten sich, wenn überhaupt, nur noch eingeschränkt in dem Areal bewegen. Aktivisten wollen das Dorf dennoch weiterhin besetzen. Zu einer Demonstration am Samstag wird nun auch die international bekannte schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg erwartet, wie die Organisatoren der Proteste am Mittwoch mitteilten.

Gewalt verurteilt

Die deutsche Bundesregierung verurteilte indes die gewaltsamen Ausschreitungen bei der Räumung. Es gebe eine "eindeutige Rechtslage", und die gelte es zu akzeptieren, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch in Berlin. Die Bundesregierung erwarte, "dass das Recht eingehalten wird". Die Polizei sei dafür da, dies auch durchzusetzen. Hebestreit sagte mit Blick auf Widerstand bei der Räumung eines Protestcamps: "Diese Gewalt verurteilt die Bundesregierung ausdrücklich. Dafür haben wir kein Verständnis." Protest dürfe sich nur friedlich "und im Rahmen unserer Gesetze bewegen".

Hunderte Polizisten hatte am Morgen mit der Räumung von Lützerath begonnen. Dabei kam es auch zu gewalttätigen Zwischenfällen. Bei der Räumung seien Steine und Pyrotechnik in Richtung der Einsatzkräfte geworfen worden. Auch Molotowcocktails sind laut Polizei eingesetzt worden. Aktivisten hätten sich zudem mit Barrikaden und Menschenketten gegen die Räumung gewehrt. Zuvor seien laut dpa Gegenstände aus einem Haus in Richtung der Einsatzkräfte geworfen worden.

Die Besetzer von Lützerath erinnerten an das 1,5-Grad-Ziel.
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Eilanträge der Aktivisten abgelehnt

Das Verwaltungsgericht Aachen lehnte indes am Mittwoch zwei weitere Eilanträge der Aktivisten gegen das Aufenthaltsverbot in Lützerath ab. Das Gericht stufte die entsprechende Allgemeinverfügung des Kreises Heinsberg wie bereits in der Vorwoche als "voraussichtlich rechtmäßig" ein, wie das Gericht am Mittwoch mitteilte. Das Betreten von Lützerath könne nicht unter Berufung auf zivilen Ungehorsam infolge eines Klimanotstands gerechtfertigt werden. Bereits in der vergangenen Woche waren Klimaaktivisten mit einem Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht gescheitert. Nach Angaben des Verwaltungsgerichts haben die Klimaaktivisten weitere Eilanträge eingereicht. Hier gehe es um Versammlungsrecht und die Durchführung einer Mahnwache.

Der Energiekonzern RWE will den neben Lützerath befindlichen Tagebau Garzweiler ausdehnen und die unter dem Ort liegende Kohle abbauen, wozu das von den früheren Bewohnerinnen und Bewohnern verlassene Dorf abgerissen werden muss. Das Unternehmen ist inzwischen Eigentümer der Siedlung.

Aktivisten haben sich mit Barrikaden und Menschenketten gegen die Räumung gewehrt.
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Rückbau der Siedlung noch am Mittwoch

Wie die RWE erklärte, soll an diesem Mittwoch der Rückbau der Siedlung beginnen und diese anschließend "bergbaulich in Anspruch genommen werden". Als eine der ersten Maßnahmen werde "aus Sicherheitsgründen" ein gut eineinhalb Kilometer langer Bauzaun aufgestellt. "Er markiert das betriebseigene Baustellengelände, wo in den nächsten Wochen die restlichen Gebäude, Nebenanlagen, Straßen und Kanäle der ehemaligen Siedlung zurückgebaut werden", erklärte die RWE.

Der Konflikt um Lützerath hält seit Monaten an, der Ort ist ein zentrales Symbol für Klimaschutzaktivistinnen und Klimaschutzaktivisten aus ganz Deutschland. Die seit längerem angekündigte Räumung, bei der die Polizei in sogenannter Amtshilfe tätig wird, wird wegen möglicher Eskalationen mit Sorge erwartet.

Kohleausstieg vorverlegt

Hintergrund der Räumung ist ein im vergangenen Oktober vom deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck, der nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerin Mona Neubaur und RWE-Chef Markus Krebber vorgelegter Plan, nach dem der Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohleenergie in Nordrhein-Westfalen bereits 2030 und damit früher als geplant erfolgen soll. Kurzfristig soll aber angesichts der Energiekrise infolge des russischen Einmarsches in der Ukraine mehr Kohle abgebaggert werden. Lützerath müsse also weichen, um den Bedarf zu decken.

Laut Berechnungen des Energieriesen RWE werden mit dem früheren Aus für die Kohlekraftwerke im rheinischen Revier rund 280 Millionen Tonnen Klimagase weniger ausgestoßen. Lützerath müsse von RWE für den Braunkohleabbau in Anspruch genommen werden, hatte Neubaur eingeräumt, "auch wenn ich es mir anders gewünscht hätte". An der grünen Basis sind die Pläne indes umstritten. Eine entsprechende Abmachung zur Energiepolitik hatte auf einem Grünen-Bundesparteitag nur eine knappe Mehrheit erhalten. (APA, red, 11.1.2023)