Mit der Raketenwissenschaft ist es so eine Sache. Im englischen Sprachgebrauch gilt sie als sehr kompliziert, sodass "keine Raketenwissenschaft" zu sein ein Synonym für Einfachheit ist. Der Serien-Physiker Sheldon Cooper aus "Big Bang Theory" schmäht sie hingegen selbst als lächerlich einfach im Vergleich zu anderen Wissenschaftsfeldern. Es stimmt, dass Raketentechnik mehr Ingenieurskunst als Wissenschaft ist, in Stufen aufgebaute Raketen sind seit den 1950er-Jahren State of the Art, Revolutionen sucht man vergeblich.

Dass es anders geht, trat in den vergangenen Jahren durch ein Weltraumtourismusprojekt ins öffentliche Bewusstsein. Ein Raumschiff des US-amerikanischen Unternehmens Virgin Galactic brachte 2021 eine Gruppe von Menschen an den Rand des Weltraums. Das VSS Unity genannte Raumschiff wurde von einem eigens konstruierten Flugzeug in eine Höhe von rund zehn Kilometern transportiert, bevor es ausgesetzt wurde und seinen Raketenantrieb startete. Es ist kein Zufall, dass auch der in dieser Woche unternommene Versucht eines ersten Weltraumflugs von britischem Boden aus diese Technologie nutzte.

Die Rakete vor ihrer Montage auf das Trägerflugzeug.
Foto: Virgin Orbit via AP

Dahinter steht nämlich, wie auch im Fall des genannten Beispiels für Weltraumtourismus, ein Unternehmen aus der vom britischen Milliardär Richard Branson gegründeten Virgin Group. Was eine Demonstration einer Alternative für Raumflüge hätte sein sollen, endete spektakulär: Zwar gelang die Auskopplung vom Trägerflugzeug, einer umgebauten Boeing 747. Doch der Versuch der Rakete, eine Erdumlaufbahn zu erreichen, scheiterte. Noch nicht einmal die Position des Absturzes ist bekannt.

Verbleib ist ein Rätsel

Was genau geschah, ist noch unklar und wird derzeit von einem britischen Untersuchungsteam für Luftfahrtunfälle analysiert. Bislang ist laut dem britischen "Guardian" bekannt, dass die Rakete statt der 27.400 Kilometer pro Stunde, die nötig sind, um die Nutzlast in eine Umlaufbahn der Erde zu bringen, nur etwa 17.700 km/h erreichte.

Dass bisher nicht mehr Satelliten auf diese Weise gestartet wurden, ist eigentlich überraschend angesichts der Tatsache, dass die Technologie doch einige Vorteile bietet. Immerhin bestreiten wir ja auch Fernreisen per Flugzeug und nicht mittels Raketen. Den Auftrieb der Luft zu nutzen ist vergleichsweise effektiv. Außerdem kann das Fluggerät wieder landen – eine Fähigkeit, die ausgebrannte Raketenstufen erst seit kurzem und noch nicht sehr gut beherrschen.

Eine umgebaute Boeing 747 brachte die Rakete in eine Höhe von fast elf Kilometern, wo sie ausgekoppelt wurde und aus eigenem Antrieb weiterflog.
Foto: REUTERS/Henry Nicholls

Die Idee, ein kleineres Fluggerät von einem großen Mutterschiff aus zu starten, ist deutlich älter als die Raumfahrt. Um die Luftaufklärung flexibler zu machen, baute die US-Armee in den 1930er-Jahren zwei Zeppeline, die als Flugzeugträger fungierten und bis zu fünf kleine Aufklärungsflieger tragen konnten. Diese leichten Flugzeuge besaßen kein eigenes Fahrwerk, sondern dockten im Flug an eine Halterung an der Unterseite des Luftschiffs an, mit deren Hilfe sie hochgezogen und im Rumpf verstaut werden konnten. Sowohl die USS Akron als auch ihr Nachfolgeschiff, die USS Macon, stürzten letztendlich ab und besiegelten das Ende dieser spektakulären Technologie.

In den 1930er-Jahren gab es mehrere Zeppeline, die als Flugzeugträger fungierten, etwa die USS Akron und die USS Macon. Sie bildeten das Mutterschiff für bis zu fünf kleine Aufklärungsflugzeuge.
AIRBOYD

Von da an kam das Konzept vor allem für Testflugzeuge mit Raketentriebwerk zum Einsatz. Das Raketenflugzeug X-15 startete 1967 von einem B-52-Bomber und beschleunigte mit seinem Raketentriebwerk auf 7.274 Stundenkilometer. 1990 gab es schließlich einen ersten Raumflug, der von einem Flugzeug als Mutterschiff aus startete. Immerhin 44 Missionen bestritt dieses "Projekt Pegasus" bisher. Die Fracht darf 443 Kilogramm wiegen.

Die möglichen veränderten Triebwerksformen bieten Vorteile, etwa einen Geschwindigkeitsbonus beim Auskoppeln. Dem stehen verschiedene Nachteile gegenüber, auf die Space-X-Gründer Elon Musk im Zuge eines Vortrags bei der Royal Aeronautic Society hinwies. Dazu gehören die Deltaflügel von Pegasus, die nötig sind, um auf eine steilere Flugbahn umzuschwenken.

Zwölf Millionen Dollar

Dennoch setzte man bei Virgin Orbit auf das Mutterschiff-System. Das eigens für den Weltraumtourismus entwickelte Flugzeug erwies sich als zu klein, um konkurrenzfähig Nutzlast ins All zu bringen, weshalb eine 747 wortwörtlich zum Tragen kam. So kann die Rakete, die trotz des Starts vom Flugzeug aus dreistufig ist, theoretisch 300 Kilogramm Ladung in 500 Kilometer Höhe bringen.

Ein Video des Starts einer X-15 von ihrem Mutterschiff.
NASA Armstrong Flight Research Center

Die Kosten pro Flug betragen laut Angaben des Unternehmens zwölf Millionen Dollar. Für Virgin Orbit könnte der Misserfolg nun zum Problem werden. Das Magazin "Ars Technica" rechnet vor, dass das Unternehmen vermutlich in Geldnot steckt. Milliardär Branson hat Mittel zugeschossen und sich dafür Firmenrechte gesichert. Virgin Orbit beansprucht trotz des Misserfolgs den ersten Weltraumflug eines europäischen Landes für sich – schließlich sei der Start geglückt.

Diese Einschätzung dürfte sich nicht durchsetzen. Den Verlust der Rakete redet die britische Weltraumagentur UKSA klein. Das Raumschiff sei vermutlich ins Wasser gestürzt, Gefahr habe keine bestanden. Beim Unternehmen will man dem Konzept jedenfalls treu bleiben und Großbritannien als Weltraumnation etablieren. Dass die Technologie funktioniert, konnte Virgin Orbit 2021 demonstrieren, als man im Auftrag der US-Weltraumagentur Nasa sieben Satelliten ins All brachte.

Die Lorbeeren für den ersten Raumflug von Europa aus könnte sich stattdessen das schwedische Unternehmen SSC sichern, das am Freitag einen eigenen Weltraumbahnhof einweihte. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen feierte dies als "unabhängiges europäisches Tor zum Weltraum". Von dort aus werden allerdings konventionelle Raketen starten. (Reinhard Kleindl, 14.1.2023)