Foto: AFP/BRIJESH SATI

Durch das eine Wohnzimmer geht ein Riss. In einem anderen bröckelt die Wand ab. Auch in der lokalen Badminton-Halle klafft eine riesige Erdspalte. Und der Straßenasphalt ist an vielen Stellen zerrissen. Vor allem in den vergangenen zwei Wochen haben sich die Risse und Spalten überall in Joshimath rasant vermehrt.

Eilig haben lokale Behörden begonnen, Haushalte zu evakuieren. Schweres Gerät fuhr auf, um die Häuser abzureißen, die mittlerweile als zu gefährlich gelten.

Seit Monaten würden Bewohner und Bewohnerinnen die Behörden auf die haarige Situation aufmerksam machen, sagt Atul Sati der Nachrichtenagentur Reuters. Der Mann organisiert seit Jahren Proteste gegen die Untätigkeit der Behörden. Nun, als die Situation richtig schlimm zu werden begann, seien diese plötzlich "aus dem Tiefschlaf aufgewacht", sagt Sati. "Unsere Stadt versinkt, und wir müssen sie retten."

Joshimath liegt in den Hängen des indischen Himalaja, im Bundesstaat Uttarakhand, unweit der chinesischen Grenze. Der Ort mit etwa 20.000 Einwohnern ist ein beliebtes Reiseziel für Pilger und auch Trekkingtouristen. In den vergangenen Jahrzehnten entstanden in der Gegend auch mehrere Infrastrukturprojekte. Die steilen, wasserreichen Berghänge des höchsten Gebirges der Welt eignen sich zur Energielieferung für die wachsende Bevölkerung der zwei asiatischen Riesen.

Die Straßen haben Risse.
Foto: AP

Entlang des gesamten Himalaja entstehen viele Wasserkraftwerke, wobei sowohl China als auch Indien immer zum jeweiligen Nachbarn schielen, um zu sehen, wie rasch der mit den Bauten vorankommt. So dringend Energie in dem bevölkerungsreichen Indien benötigt wird – die massiven Bautätigkeiten stören das ohnehin fragile Ökosystem der Berge. So tötete in der Gegend um Joshimath eine riesige Sturzflut im Februar 2021 über 200 Menschen und verschlang Infrastruktur – darunter auch ein Wasserkraftwerk.

Grundwasserschicht gebrochen

Unterhalb des Ortes ist wahrscheinlich eine Grundwasserschicht gebrochen, gab der Chef des lokalen Katastrophenzentrums an. Das Einzige, was man nun tun könnte, ist, den Wasserstrom zu kanalisieren. Ein Bezirksleiter sagte außerdem, dass einige Straßenbauprojekte und der Bau eines Megakraftwerks in der Nähe eingestellt worden seien.

Manche Gebäude sollen ganz abgerissen werden.
Foto: Reuters

Dass das Absinken von Joshimath mit den Bautätigkeiten vom Kraftwerksbetreiber NTPC zusammenhängen könnte, weist das Unternehmen von sich. Der größte Energieversorger Indiens hätte die Tunnelgrabungen bereits vor rund zwei Jahren eingestellt, hieß es von offizieller Stelle. Es habe Sprengungen in "unvermeidbaren Fällen" gegeben, diese hätten aber mehrere Kilometer von der nun betroffen Stelle entfernt stattgefunden, gab die anonyme Quelle gegenüber Reuters an.

Klimakrise und Überbauung

In Joshimath zeigt sich nun hautnah, was bei dem verhängnisvollen Zusammenspiel von Klimakrise, schlecht kontrollierter Bebauung und Untätigkeit von Behörden passieren kann. Denn so dringlich die Sache in Joshimath nun ist, so wenig überraschend war sie gekommen: Wissenschafter weisen seit Jahren auf die verheerenden Folgen im fragilen Ökosystem Himalaja hin. Während diese nur schwer kurzfristig zu lösen sind, wurden gerade im Fall um Joshimath schon seit Monaten Warnungen ausgesprochen.

An vielen Orten finden sich Risse.
Foto: AFP

Seit über einem Jahr haben Einheimische auf die verheerenden Veränderungen aufmerksam gemacht. Die ersten Risse in den Häusern wurden bereits im Oktober vor mehr als einem Jahr beobachtet. Seitdem hat sich die Entstehung der Schäden beschleunigt. Vergangene Woche galten 600 Häuser als beschädigt. 193 Haushalte wurden kurzfristig umgesiedelt.

Diese Woche hat sich die Situation noch einmal zugespitzt. Weitere 200 Haushalte mussten evakuiert werden, 700 Häuser gelten nun als beschädigt. Auch die ersten Abrisse wurden beschlossen. Am Dienstag (Ortszeit) versammelten sich allerdings um die hundert Protestierende bei den ersten zum Abriss markierten Gebäuden, weil sie höhere Kompensationen fordern.

Am Mittwoch gab der Chief Minister von Uttarakhand bekannt, dass jede betroffene Familie 150.000 Rupien, also zirka 1.700 Euro, an Sofortkompensation erhalten würde. Im kommenden Monat landet der Fall dann beim indischen Obersten Gerichtshof. (Anna Sawerthal, 11.1.2023)