Die Chormädchen sind das Pendant zu den Sängerknaben. Ins Gymnasium gehen sie mit ihnen noch nicht. Das soll sich künftig ändern.
Foto: Lukas Beck

Ganz deutlich erkennt man das O, das Josefa in der ersten Reihe mit ihren Lippen zuspitzt. Beim A geht ihr Mund weit auf. Würde man sie nicht singen hören, würde man viele ihrer Worte erraten können, so sehr betont sie jeden einzelnen Buchstaben. Ihre Mimik erinnert stark an jene einer Opernsängerin. Das passt auch, denn Josefa malt sich ihre Zukunft in der Staatsoper aus. Oder sie wird Musiklehrerin, das lässt sie sich derzeit noch offen – sie ist schließlich auch erst acht Jahre alt. Konzentriert liest sie den Text von einem Notenblatt ab, die Hände legt sie dabei auf die Brust. Doch manchmal, wenn sie sich beobachtet fühlt, kommt ihr junges Alter durch. Da rutscht ihr ein schelmischer Grinser, eine kleine Grimasse durch.

Josefa ist acht. Wenn sie erwachsen ist, will sie in die Staatsoper. Oder Musiklehrerin in der Schule ihrer Schwester werden.
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Josefa ist eines von rund 21 Wiener Chormädchen, die an diesem Abend in den Räumlichkeiten der weltbekannten Sängerknaben im Augarten üben. Am Donnerstag singen die Mädchen bei der Eröffnung des Parlaments. Bevor aber die Bundeshymne und Beethovens "Ode an die Freude" bei der Probe noch einmal wiederholt werden, stehen noch Stimmübungen an. "Tschtschtsch", schallt es durch die Reihen, bevor das Zischen von einem "Nononono" abgelöst wird.

"Wichtiges Signal"

"Man muss die Stimme aufwärmen. Das ist wie bei der Gymnastik. Singen ist Sport, auch wenn man vielleicht nicht ganz so viele Kalorien verbraucht", sagt Tina Breckwoldt. Sie ist für die Pressearbeit der Sängerknaben verantwortlich, gerade in letzter Zeit interessiere man sich aber auch besonders für die Mädchen, erzählt sie. Es war schließlich eine kleine Sensation, dass beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker erstmals auch zehn junge Frauen in strahlend weißen Outfits, die an Matrosenanzüge erinnern sollen, von der Galerie des Musikvereins trällerten.

Uniformen haben die Chormädchen erst seit kurzem. Sie sollen an den Matrosenanzug der Sängerknaben erinnern.
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Zwar wurden die Chormädchen bereits im Jahr 2004 gegründet, doch das sei "lange niemandem aufgefallen", sagt Breckwoldt. Beim Neujahrskonzert jedoch wurden sie sichtbar. "Wir hoffen, dass es viele Mädchen inspiriert. Es ist in vieler Hinsicht ein wichtiges Signal."

Denn was vor rund 18 Jahren mit nur zehn Sängerinnen begann, ist heute ein Kammerchor von 30 Mädchen im Alter zwischen acht und 15 Jahren. An diesem oberen Ende der Altersskala steht Livia. Die Gymnasiastin kam vor zweieinhalb Jahren zum Schnuppern vorbei. "Es hat mir so gut gefallen, dass ich gleich danach zum Vorsingen gekommen bin", erzählt die 15-Jährige. Sie war eines jener zehn Mädchen, die ausgewählt wurden, beim Neujahrskonzert mit ihren männlichen Pendants zu singen. "Es war schon sehr aufregend für mich, vor einem Millionenpublikum zu singen. Das war definitiv ein großer Schritt für uns alle, und ich fühle mich auch sehr geehrt, dass ich dabei sein konnte", sagt sie.

Gemischter Oberstufenchor

Mit etwa 15 Jahren beenden sowohl die Mädchen wie auch die Buben für gewöhnlich ihre Karrieren in den geschlechtergetrennten Chören. Dann wechseln sie in einen gemischten Oberstufenchor. "Kinderstimmen sind extrem belastbar, in der Pubertät ändern sie sich – und werden zu den Stimmen junger Erwachsener. Das ist auch bei den Mädchen so", sagt Breckwoldt. Dann müsse die Stimme anders trainiert werden, damit man sie nicht "kaputtsinge". Den Stimmbruch merkt etwa auch Livia ein wenig: "So hohe Töne wie Josefa kann ich nicht mehr treffen."

Zweimal pro Woche probt der Mädchenchor.
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Die Mädchen werden mit den Methoden der Wiener Sängerknaben unterrichtet – aber eben in der abgespeckten Variante. Zweimal pro Woche probt ihr Chor. Sie singen ihre eigenen Konzerte, sind bei Projekten mit den Knaben dabei, fahren auf Sommercamps. Einen großen Unterschied gibt es jedoch: Die Mädchen können zwar die Volksschule des Sängerknaben-Vereins besuchen, in der Unterstufe, die als Internat geführt wird, ist aber momentan noch kein Platz für sie.

Öffnung für Mädchen

Livia begann vor der Pandemie, sich bei den Chormädchen zu engagieren. Nun denkt sie über die Matura nach und darüber, was danach kommt.
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Gäbe es ein Internat für die Chormädchen, wäre Josefa fix dabei.
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Marlene ist 14 Jahre alt und singt seit circa zwei Jahren bei den Chormädchen.
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Das soll sich ändern. "Solange wir noch kein Schulangebot haben, ist es natürlich schwieriger, sie weiterzubringen", erklärt Breckwoldt. Die Mädchen, die im Augarten die Volksschule besuchen, würden bereits "auf einem sehr hohen Level" Musik machen. Zehn Stunden Musik stehen für die Kleinen in der Woche auf dem Stundenplan. "Sie sind auf demselben Level wie die Knaben, die danach ins Internat bei uns einsteigen. Da war schon klar, dass man für sie auch etwas finden muss."

In den kommenden Jahren sollen die Chormädchen ins Gymnasium der Sängerknaben aufgenommen werden. Die Eltern der rund 90 Buben, die aus den verschiedensten Nationen der Welt kommen, zahlen dort pro Monat 120 Euro Schulgeld – zehnmal im Jahr.

Für Livia, die schon an die Matura denkt, wird das nicht mehr schlagend. Ob Josefa ins Internat wechseln würde? "Das ist mein größter Traum. Ich stelle mir das so vor: Da ist man mit seinen besten Freundinnen gemeinsam im Zimmer und hat viel Spaß."

Dass Josefa etwas von Spaß versteht, merkt man auch bei der Probe. Da schunkelt sie schwungvoll und Arm in Arm mit ihren Sitznachbarinnen im Takt. Eingehakt ist da auch die 14-jährige Marlene. Sie absolvierte bereits die Volksschule der Sängerknaben, heute geht sie im dritten Bezirk ins Gymnasium. "Es ist schon sehr zeitintensiv. Und es stellt sich die Frage: Zahlt es sich für einen persönlich aus? Für mich schon, weil ich wirklich gerne singe", erzählt Marlene. Früher habe sie auch noch Gitarre gespielt, aber dann herausgefunden, "dass es nicht so zu mir passt. Ich bleibe lieber beim Singen, meine Stimme ist mein Instrument."

Töchter und Söhne

Damit die Mädchen ihren Gesang bei den renommierten Sängerknaben trainieren können, zahlen ihre Eltern jedes Semester einen Beitrag von 260 Euro. Die Proben dauern eine Stunde und 15 Minuten. Wenn ein Auftritt bevorsteht, kommt noch die Generalprobe vor Ort dazu.

Zweimal die Woche leitet Stefan Foidl den Chor.
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"Am meisten Sorgen bereitet mir noch die Bundeshymne", sagt Kapellmeister Stefan Foidl, der am Klavier die Töne vorgibt. Die Hymne wird daher an diesem Abend im Augarten noch intensiv geübt – bis auch die schwierigen Stellen sitzen. Die Chormädchen singen – ganz klar und voller Inbrunst – übrigens von der Heimat "großer Töchter und Söhne". Und dabei zieht Josefa ihre Ös wieder gaaaaanz lang. (Oona Kroisleitner, 12.1.2023)