Screenshot: Blacktail
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Foto: Blacktail

Kaum eine Figur findet sich in der slawischen Sagenwelt so häufig wie die Baba Jaga. Die Erzählung variiert je nach ihrer geografischen und zeitlichen Herkunft und beschreibt eine "Waldfrau" oder Hexe, der mitunter auch die Bedeutung einer Erdgöttin zugesprochen wird. Häufig wird Baba Jaga, die in einigen Versionen der Legende in einer Hütte auf riesigen Hühnerbeinen im Wald wohnt, jedenfalls als Unheilsbringerin dargestellt. Missernten, Fehlgeburten, verschwundene Kinder und andere Katastrophen gehen demnach auf ihr Konto.

Diesem Mythos widmet sich auch "Blacktail", ein Action-RPG des Studios Parasight aus dem polnischen Krakau. Der im Dezember für den PC (Gog, Epic, Steam), Xbox Series S/X und Playstation 5 erschienene Titel versetzt den Spieler in die Rolle der 16-jährigen Jaga. Die junge Frau wird verdächtigt, mit der Hexe im Bunde zu stehen, und wurde aus ihrem Dorf ausgestoßen. Nun schlägt sie sich allein durch Wälder und über Wiesen auf der Suche nach der Quelle des Unglücks, das über das Land gekommen ist – und ihrer eigenen Vergangenheit. DER STANDARD hat sich dieser Reise angeschlossen.

Focus Entertainment

Aufbruch in eine wunderschöne Welt

Das Geschehen nimmt im Frühling seinen Lauf. Jaga lernt ihre innere Stimme kennen, die auch durch das erzählte Tutorial führt, welches dem Spieler die Grundlagen des Games lehrt. Dazu gehört auch ein sehr simples Crafting-System, über das sich Pfeile und Tränke herstellen lassen. In dieser Einführung beginnt aber auch die eigentliche Erzählung, in der Jaga nach ihrer Schwester Zora sucht, deren Geisterscheinung ihr begegnet.

Diese Suche führt sie alsbald weg vom Waldrand und zur Hexenhütte, deren magischer Utensilien sie sich bedienen kann. Sie ist auch die Basis für die Reise in die vier Jahreszeiten, über die sich die offene Welt des Spiels erstreckt. Schon auf diesen ersten Schritten in "Blacktail" wird klar, dass die Entwickler sehr viel Liebe in die audiovisuelle Umsetzung ihrer Spielwelt gesteckt haben.

Ein Eindruck, der sich im weiteren Verlauf immer wieder bestätigt. Egal ob malerische Sommerheiden, der Herbstwald im Laubregen, nebliges Sumpfgebiet oder düstere Höhlen, man fühlt sich immer buchstäblich wie im Märchen. Zu diesem Charme tragen auch kleine Details wie der Nachthimmel mit Sternen und Mond bei, die aus der Illustration eines Kinderbuchs stammen könnten. Obwohl The Parasight nicht über die Möglichkeiten eines großen Studios verfügt, findet man hier eines der zweifellos schönsten und atmosphärisch stärksten Games der letzten Jahre.

Screenshot: Blacktail

Erkunden (fast) wie in "Skyrim"

Die Welt fällt nicht nur recht groß aus, sie ist auch gut gefüllt. Es kreucht und fleucht überall. An vielen Ecken und Ende gibt es Schätze, spannende Orte und Charaktere zu entdecken. Immer wieder begegnet man Vertretern eines kauzigen Volks lebendiger Pilze, aber auch einer größenwahnsinnigen Ameisenkönigin oder einem mit einem Vertragsangebot ausgestatteten Dämon. Dazu kommt eine zwar nicht sehr große, aber dafür kunterbunte Auswahl an Feinden, die sich nahtlos in die Flora und Fauna dieser Sagenwelt einfügen. "Blacktail" weckt dabei auch jenen Erkundungsdrang, von dem auch Blockbuster-Games wie "Skyrim" leben.

Die Musikuntermalung mit ihrem 14 Stücke starken Soundtrack unterstreicht die Atmosphäre und nimmt meist an passenden Stellen an Lautstärke zu. Sämtliche Dialoge sind vertont und das, jedenfalls in der englischen Fassung des Games, auch sehr ordentlich.

Screenshot: Blacktail

Schwächen

In Sachen Gameplay gewinnt "Blacktail" allerdings keine Innovationspreise. Die Entscheidung, auf ein Schnellreisesystem zu verzichten und stattdessen auf "Steintore" zu setzen, mit denen man sich durch Benutzung oder Pfeilbeschuss teleportieren kann, entspricht zwar dem Setting, sorgt aber stellenweise für längere Fußwege, die nicht unbedingt hätten sein müssen. Einzig zu Babas Hütte (und wieder retour an den vorherigen Aufenthaltsort) gelangt man durch die Interaktion mit einem mysteriösen schwarzen Kater.

Dazu kommt ein sich eher schwerfällig anfühlendes Bewegungssystem, das gerade bei Kämpfen auf engem Raum für Frust sorgen kann. Jaga setzt sich fast ausschließlich mit ihrem Bogen zur Wehr, Abstand zu den Gegnern halten ist also angesagt. Immer wieder kann man sich auch Bossgegnern stellen, wobei diese Kämpfe teilweise recht originelle Mechaniken mitbringen. Der Schwierigkeitsgrad variiert hier allerdings sehr stark.

Screenshot: Blacktail

Die Rollenspielelemente beschränken auch auf neue passive und aktive Fertigkeiten, die sich teilweise einfach mit sammelbaren Ressourcen und Gegenständen in der Hütte zusammenbrauen lassen und teilweise erst durch das Auffinden von "verlorenen Seiten" freigeschaltet werden müssen. Das ermöglicht eine gewisse Individualisierung des eigenen Spielstils, ohne aber neue Maßstäbe zu setzen.

Mitreißend erzählt

Im Laufe der Streifzüge trifft man während der Erfüllung von Aufträgen und auch abseits davon immer wieder kleine Entscheidungen. Diese schlagen sich in einem Moralsystem zwischen Gut und Böse nieder. Erreicht man einen Endbereich der Skala, erhält man in manchen Dialogen neue Optionen, unterschiedliche Quests, und es gibt auch Auswirkungen auf den finalen Abschnitt des Spiels.

Auch das ist keine brandneue Mechanik, sie passt aber gut zu der Geschichte, in der Jaga mehr über sich selbst erfährt, als ihr lieb sein dürfte. Was sehr gefällt, ist, dass die Entwickler die Geschichte auf unterschiedliche Weise erzählen. Man erfährt in Dialogen, gezeichneten Zwischensequenzen und auch in unterschiedlichen Minispielen, was sich in Jagas Vergangenheit zugetragen und was es es dabei mit der sagenumwobenen Hexe auf sich hat. Diese Geschichte hat es ziemlich in sich und ist weit entfernt von einem netten Kindermärchen.

Screenshot: Blacktail

Fazit

"Blacktail" mag technisch nicht "State of the Art" sein, gewinnt keinen Gameplay-Innovationspreis und hat auch kleinere "Durchhänger", dennoch sollte man diese Reise durch die slawische Folklore nicht auslassen. Seine Defizite macht das Werk aus Krakau mit seiner unglaublich atmosphärischen und lebendigen Welt sowie den starken erzählerischen Qualitäten mehr als nur wett.

Man darf das 20 bis 30 Spielstunden lange Erlebnis zu Recht zu den Indie-Perlen des vergangenen Jahres zählen. Wer ein Soloabenteuer sucht, in dem man sich so richtig schön verlieren kann, dem kann man "Blacktail" nur wärmstens empfehlen. (Georg Pichler, 15.1.2023)