Tag für Tag schlagen sie derzeit in Wien zu: die Aktivistinnen und Klimakleber der Letzten Generation. Am Mittwoch legten sie den Frühverkehr am Gürtel lahm – über eine Stunde dauerte es, bis die Polizei die Straßenblockade aufgelöst hatte. Zwölf Personen wurden vorübergehend festgenommen.

Am Mittwochmorgen blockierten die Aktivistinnen und Aktivisten den Wiener Frühverkehr auf dem Gürtel.
Foto: APA / Tobias Steinmaurer

Die Aktion, die laut dem Autofahrerklub ÖAMTC in kürzester Zeit einen Stau in beiden Richtungen verursachte, versetzte die Verkehrsteilnehmer zum Teil in Rage. Ein Video zu der Blockade, das auf Twitter verbreitet wurde, zeigt, wie ein Passant die Aktivisten angreift. Die Einsatzkräfte waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht am Ort des Geschehens eingetroffen.

Bereits am Dienstag waren bei einer anderen Klebeaktion Aktivistinnen und Aktivisten in Polizeigewahrsam genommen worden. Doch die möglichen Konsequenzen schrecken sie offenbar nicht davon ab weiterzumachen. "Handschellen und Gefängnis werden uns sicher nicht aufhalten", hieß es in einer Aussendung. "Es geht um unsere Zukunft, es geht darum, dass Menschen in ein paar Jahrzehnten überhaupt noch ein gutes Leben auf dieser Erde haben können."

Gesprächsverweigerung

Der Regierung warfen die Umweltschützenden in einer Aussendung Gesprächsverweigerung vor. Trotz einer desaströsen Treibhausgasbilanz und obwohl sich bereits abzeichne, dass "sämtliche Klimaziele" verfehlt würden, werde über die "einfachsten, billigsten Maßnahmen" wie Tempo 100 auf Autobahnen "nicht einmal diskutiert".

Doch was würde es bringen, die Geschwindigkeit auf den Autobahnen hierzulande zu drosseln? Wie viel Sprit ließe sich damit sparen? Was bedeutet das für den Fahrspaß? Ein Überblick, was für und was gegen Tempo 100 spricht.

Was für Tempo 100 spricht

Tempo 100 als großer Aufhänger wird von den Aktivisten deswegen gefordert, weil es besser für die Umwelt ist, wenn wir die Höchstgeschwindigkeit reduzieren. Damit sinkt der Energieverbrauch für den Antrieb, der Reifenabrieb, der Bremsabrieb. Um wie viel die Umweltbelastung dadurch zurückgeht, darüber lässt sich trefflich streiten. Laut einer Studie des Umweltbundesamts würde man mit der Reduktion von 130 auf 100 km/h rund 23 Prozent Sprit sparen können. Und damit auch 460.000 Tonnen CO2. Und selbstverständlich weitere Schadstoffe.

Die Reduktion des Spritverbrauchs würde laut Umweltbundesamt bei 180 Millionen Liter pro Jahr liegen. Gleichzeitig hat man bei geringerem Tempo mit einer Tankfüllung eine höhere Reichweite. Win-win.

Durch eine Temporeduktion würde gleichzeitig die Verkehrssicherheit steigen. Unfälle würden seltener passieren und wären wegen der geringeren Aufprallenergie vermutlich weniger schwer. Und auch wenn beherzte Schnellfahrer gerne das Gegenteil behaupten: Tempo 100 ist entspannter als 130, 145 oder 159.

Fährt man in der Folge auch abseits der Autobahn gelassener, vorausschauender und weniger gestresst, dann sinkt der Spritverbrauch weiter. Bei entsprechender Fahrweise sind Realspritverbräuche unter dem angegebenen Normverbrauch möglich.

Damit spart man langfristig Kosten. Persönlich, aber auch als Gesellschaft. Das Auto wird weniger belastet, die Erhaltungskosten verringern sich. Sinken die Unfallzahlen, sinken die Kosten für die Allgemeinheit.

Die würden aber auch deshalb sinken, weil wir dann weniger Straßen bauen müssten. Mit Tempo 100 bringt man in der Praxis mehr Autos von A nach B als mit höherem Tempo. Die Idealgeschwindigkeit, um die maximale Menge an Autos über ein Teilstück zu bringen, liegt bei rund 80 km/h.

Eine Reduktion der Höchstgeschwindigkeit senkt zudem die Attraktivität des Automobils. Dadurch wird der Umstieg auf andere Verkehrsmittel erleichtert – im Gegenzug gewinnen die Bahn und der Bus, der dann die gleiche Höchstgeschwindigkeit fahren dürfte, an Attraktivität. Wenn mehr Leute mit den Öffis als mit dem Auto fahren, dann – jetzt wieder das bekannte Lied – sinken der Verkehr, die Abgase, die Unfallzahlen und die Kosten für die Allgemeinheit.

Wer langsamer fährt, fährt auch leiser. Da geht es gar nicht um das Motoren-, sondern um das Reifenabrollgeräusch. Das ist bei Autobahntempo so laut, dass sich ständig Anrainergemeinden von Autobahnen belästigt fühlen, sodass inzwischen an vielen Autobahnabschnitten Lärmwände errichtet werden mussten. Von diesen hässlichen Ungetümen könnte man sich einige ersparen – und damit auch eine Menge Beton und Baumaterial, das ja auch nicht besonders umweltfreundlich ist.

Weil die Faktenlage so umfassend ist und nicht bei Tempo 100 aufhört, fordern die Aktivistinnen und Aktivisten folglich auch Höchstgeschwindigkeiten von 80 km/h auf Straßen im Freiland und von 30 km/h im Ortsgebiet.

Was gegen Tempo 100 spricht

Um es gleich vorwegzunehmen, aus Umweltschutzsicht spricht nichts gegen eine Temporeduktion. Der oft gebrachte Vorwand, im Ortsgebiet bei Tempo 30 hochtourig in einem niedrigen Gang fahren zu müssen, was mehr Emissionen bedeute, zeugt allein von Unwillen, Unfähigkeit oder einer Kombination aus beidem.

Selbst der ÖAMTC lehnt eine Reduktion der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen nicht deshalb ab, weil es nichts bringen würde, sondern weil es seiner Ansicht nach einfach zu wenig bringen würde. Doch statt immer nur mit dem Finger auf andere zu zeigen, gibt es tatsächlich gute Gründe, die gegen Reduktionen auf 100, 80 oder 30 km/h sprechen.

Da ist einmal der Zeitverlust: Wer schneller fährt, ist schneller am Ziel. Wer jeden Tag pendeln muss, weiß, dass dabei jede Minute zählt und die sich übers Jahr summieren.

Das wichtigste Argument, das gegen eine weitere Temporeduktion spricht, ist aber: Schnellfahren macht einfach Spaß, wenn man weiß, wie es geht – oder man zumindest selbst der Überzeugung ist, dass man wisse, wie gut Autofahren geht. Dem Argument folgend müsste man die Tempolimits sogar erhöhen. Und da kommen wir zum nächsten Punkt: der Politik.

Denn wer bei den nächsten Wahlen auch Stimmenzugewinne feiern will, muss eher striktere Tempolimits verhindern – stattdessen wird sogar ab und an eine Erhöhung auf 140 km/h auf Autobahnen getestet.

Es gibt nur wenige Politikerinnen und Politiker, die sich lieber für den Klimaschutz einsetzen und dafür riskieren, bei der nächsten Wahl aus dem Amt gewählt zu werden. Eben weil die Demokratie gegen neue Temporeduktionen spricht. Die Politik ist offenbar überzeugt davon, dass die Österreicherinnen und Österreicher nicht generell langsamer fahren wollen. Gleichzeitig kommt dazu, dass jene Menschen, die doch auf die Bremse treten wollen, ja schon jetzt aus freien Stücken 100, 80 und 30 km/h schnell fahren können.

Und gegen den gerne vorgebrachten Sicherheitsaspekt gibt es tatsächlich klare Argumente. Die Unfallzahlen auf den Straßen sowie die der verletzten und getöteten Menschen sinken seit Jahren kontinuierlich. Tödliche Unfälle auf Autobahnen sind mittlerweile die Ausnahmen in der Statistik, und selbst in Deutschland, wo man schneller fahren darf, sind es nicht Sicherheitsbedenken, weshalb dort vorsichtig ein Tempolimit auf Autobahnen andiskutiert wird.

Außerdem würden Tempo 100 auf Autobahnen und Tempo 30 im Ortsgebiet, wenn sie wirklich etwas bringen sollen, viel Geld kosten. Denn dann müsste man das neue Limit genau und flächendeckend kontrollieren – durch einen Vollausbau der Section-Control auf Autobahnen und eine enorme Anzahl an Exekutivbeamten – und von Letzteren haben wir auch jetzt schon zu wenige. Ohne strengere Kontrolle wird einfach so weitergefahren wie bisher, mit rund 150 am Tacho. Damit ist niemandem geholfen, außer den Herstellern der Schilder, auf welchen die neuen Limits stehen. (Guido Gluschitsch, Oona Kroisleitner, 12.1.2023)